Die Spitze des Eisbergs
Viele Arzneimittel, die das Abnehmen erleichtern sollten, mussten in den vergangenen Jahrzehnten bald nach der Zulassung und Markteinführung wieder aus dem Handel gezogen werden. Am häufigsten geschah dies, weil die Präparate das Herz-Kreislaufsystem schädigten. Dies gilt beispielsweise für D-Norpseudoephedrin (z. B. Recatol®), Dexfenfluramin (Isomeride®), Fenfluramin (Ponderax®) oder Sibutramin (Reductil®). Es verwundert daher nicht, dass viele Menschen Nahrungsergänzungsmittel als verträgliche Alternative zu Arzneimitteln ansehen.
Wenige, die auf solche Produkte setzen, wissen allerdings, dass ausgerechnet Sibutramin in vielen angeblich pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln steckt und weiterhin verkauft wird – ohne dass der Wirkstoff auf der Packung deklariert ist. Sibutramin wurde wegen seiner bedrohlichen Schadwirkungen wie Herzinfarkt, Herzstillstand und Schlaganfall 2010 als Arzneimittel verboten.
Die Behörden sind hilflos. Sie können nur wenigen der skrupellosen Anbieter das Handwerk legen. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) räumt ein, dass der Markt unkontrollierbar ist. Die FDA betont, dass sie nicht alle Produkte testen kann, die als Nahrungsergänzungsmittel angepriesen werden. Den Kontrollbehörden anderer Länder geht es genauso. Es muss also damit gerechnet werden, dass viele Produkte im Internet als „natürlich“ verkauft werden, die in Wirklichkeit potenziell schädliche Bestandteile enthalten. Alle Hinweise auf derart gepanschte Nahrungsergänzungsmittel repräsentieren also nur die Spitze des Eisberges.
Das gilt auch für die GPSP-Datenbank im Internet, die inzwischen fast 1.000 gepanschte Produkte nennt und damit wohl das größte Nachschlagewerk zu gepanschten Nahrungsergänzungsmitteln im deutschsprachigen Raum sein dürfte. Wer „sein“ Nahrungsergänzungsmittel nicht in der GPSP-Datenbank findet, sollte dennoch vorsichtig sein – vor allem, wenn er oder sie das Produkt über eine Internetseite bestellt, deren Adresse nicht eindeutig erkennbar ist (illegaler Anbieter) oder bei Versandhändlern, die nicht aus Deutschland oder dem nahen europäischen Umfeld stammen.
Übrigens: Zeitgleich mit dieser GPSP-Ausgabe haben wir 20 weitere Produkte in unsere Datenbank aufgenommen (www.gutepillen-schlechtepillen.de → Gepanschtes).
Neue gefundene gepanschte Produkte
Black Ant King Tabletten, Bullet Proof, Cave Diver, Get It Up, MMC Maxman V Kapseln*, Night to Remember, Reloaded, Super Cheetah, Super Power, True ProLife Vegrow, Vicerex, Yong Gang Tabletten, X Zen Platinum
Bei diesen angeblich rein pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln, die eine Erektion fördern sollen, stießen amtliche Prüfer auf die verschreibungspflichtigen Wirkstoffe Sildenafil (Viagra®), Tadalafil (Cialis®) und/oder einer ihrer chemischen Varianten, deren Wirkungen niemals systematisch bei Menschen untersucht worden ist. Belegt ist aber, dass solche nicht deklarierten – also verheimlichten – Substanzen lebensbedrohliche Folgen haben können, beispielsweise wenn Herzkranke Nitropräparate wie Isosorbiddinitrat (ISDN) oder ähnliche Arzneimittel wegen ihres Angina-pectoris-Risikos einnehmen (GPSP 2/2013 S. 4). In Kombination mit einem Erektionsförderer kann der Blutdruck so stark abfallen, dass er sich bisweilen selbst durch rasche ärztliche Hilfe sehr schwer korrigieren lässt. Das mit einem Sternchen (*) markierte Produkt enthält zusätzlich Phenolphthalein, ein Abführmittel, das in Deutschland schon vor Jahren aus dem Handel genommen worden ist. Es kann Krebs auslösen.
ExtenZe Plus
Dieses Produkt, das eine Erektion fördern soll, enthält chemische Wirkstoffe, die nur in verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erlaubt sind: Die Hormone Pregnenolon und DHEA (Dehydroepiandrosteron). Beide können die Spiegel von weiblichen und männlichen Hormonen im Körper erhöhen und möglicherweise das Risiko von Krebs der Prostata, der Brust, der Eierstöcke und anderer auf Hormone reagierende Krebserkrankungen steigern.
Bethel 30, SLIMDIA Revolution, XIYOUJI QINGZH Kapseln, Yixiu-L-Carnitine Slimming Kapseln
In diesen angeblich natürlichen Produkten zum Abnehmen wurde der appetithemmende Wirkstoff Sibutramin (Reductil®) gefunden, der seit Anfang 2010 in Europa wegen Herz-Kreislauf-Schädlichkeit verboten ist.
Flutulang
Dieses Produkte soll gegen Rheuma, Rückenschmerzen und Muskelkrämpfe helfen. Bei einer Überprüfung wurde darin das schlecht verträgliche Rheumamittel Phenylbutazon (Ambene® u.a.) entdeckt sowie das ältere, müde machende Antiallergikum Chlorpheniramin.
Kapsul Gaut, WOW
Als Bestandteil dieser als Nahrungsergänzungsmittel vertriebenen Mittel wurde das stark wirkende Glukokortikoid Dexamethason (Fortecortin® u.a.) nachgewiesen. Nachdem 2012 zunächst die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA vor dem mit Dexamethason und dem Rheuma- und Schmerzmittel Diclofenac (Voltaren® u.a.) versetzten angeblich „natürlichen“ Nahrungsergänzungsmittel Reumofan plus gewarnt hatte (GPSP 5/2012, Seite 15), reagierte der Anbieter auf seine Weise: Er etikettierte das Produkt einfach um, als WOW (GPSP 1/2013, Seite 27). Jetzt warnte auch die kanadische Behörde vor WOW. – Im Internet gibt es keine Grenzen für solche gepanschten Produkte, und ihr Verkauf geht trotz behördlicher Maßnahmen weiter.
Long Ren Tang Fu She Gu Rang Jiao Nang
Achtung: In diesem Produkt wurden gleich acht (!) stark wirkende Stoffe entdeckt, die auf der Packung nicht deklariert sind, vier verschiedene Schmerz- und Rheumamittel – Naproxen (Naprosyn® u.a.), Indometazin (Indo-ct® u.a.), Piroxicam (Jenapirox® u.a.) und Diclofenac (Voltaren® u.a.), das entwässernde Hydrochlorothiazid (HCT), die Magenmittel Cimetidin (Cim lich® u.a.) und Metoclopramid (Paspertin® u.a.) sowie Dipyridamol. Die vier Schmerz- und Rheumamittel können schwere Magen-Darm-Schädigungen auslösen. Was ein solcher Wirkstoff-Cocktail sonst noch im Körper anrichtet, lässt sich nur schwer voraussagen.
Stand: 1. August 2013 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2013 / S.27