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@ KatarzynaBialasiewicz/ istockphoto.com

Fragwürdige Orakelei

Alzheimer-Demenz schon bei Gesunden vorhersagen?

Das Prinzip klingt überzeugend: Je früher man Hinweise auf eine drohende Krankheit sucht, desto größer sind die Chancen für eine erfolgreiche Therapie. Glaubt man Berichten in den Medien, gilt das auch für die Alzheimer-Krankheit. Denn fehlgeleitete Körperprozesse beginnen möglicherweise ihr zerstörerisches Werk schon lange vor ersten Symptomen wie Vergesslichkeit oder Verwirrtheit.

Was also liegt näher, als alle nur denkbaren Möglichkeiten zu nutzen, den fatalen Alzheimer-Prozess so früh wie möglich zu erkennen und dem Schicksal damit ein Schnippchen zu schlagen?

Die Chancen, so scheint es, sind heute so groß wie nie. Immer wieder hört man in den Medien  über Erfolge von Forschern bei der Entwicklung von Verfahren, mit denen der geistige Verfall schon bis zu 30 Jahre vor ersten Krankheitsanzeichen vorhersagbar sein soll. Mal sind es bildgebende Verfahren wie Kernspintomografie (MRT) oder Positronen-Emissions-Tomografie (PET), die angeblich eine Früherkennung von Alzheimer ermöglichen. Mal ist es eine Untersuchung des Nervenwassers (Liquor), in dem Mediziner Vorboten erkennen wollen. Mal wird ein Gentest gehypt, der angeblich „mit einer Genauigkeit von nahezu 100 Prozent eine spätere Erkrankung vorhersagen kann“. Immer wieder ist dabei die Rede von „Vorsorge“ – also der Möglichkeit, durch eine sehr frühe Diagnose eine Demenz verhindern oder zumindest hinauszögern zu können.

So versprechen zum Beispiel die Betreiber einer Radiologie-Praxis bei München auf ihrer Internet­seite, dass die Alzheimer-Demenz mithilfe bildgebender Verfahren „heute bereits im frühen, noch symptomlosen Vorstadium diagnostiziert werden kann“. Im Rahmen ihrer „Alzheimervorsorge am offenen Hochfeldkernspintomographen“ werde durch eine hochauflösende, spezielle Kernspinuntersuchung und modernste Auswerteverfahren das Volumen und die Form des Gehirns analysiert und das persönliche Risiko an einer Alzheimer-Demenz zu erkranken bestimmt.

Der Nutzen liegt nach Ansicht der Praxisbetreiber auf der Hand. Durch „spezielle Therapien“ lasse sich der Krankheitsverlauf bei Alzheimer positiv beeinflussen.1 Und je früher die Diagnose, desto erfolgreicher die Therapie. Welche speziellen Therapien das sein sollen, wird vom Praxisbetreiber allerdings nicht erläutert.

Ähnliche Aussagen finden sich auf Webseiten anderer Anbieter desselben Verfahrens. Diese Angebote unter dem Label BrainCheck richten sich vor allem an betuchte Kunden. Denn je nach Anbieter fallen per MRT 350 bis 1.000 Euro an. Das Verfahren ist nicht als Kassenleistung anerkannt. Man muss es aus eigener Tasche zahlen.

Durchbruch mit neuem Bluttest?

Doch schon bald soll es einfacher und billiger gehen – mit einem neuen Bluttest.2 Forscherinnen und Forschern ist es demnach gelungen, Eiweißbruchstücke vom Typ beta-Amyloid im Blut zu bestimmen. Angeblich sind diese Stückchen für die Alzheimer-Krankheit charakteristisch. Die Meldung sorgte jedenfalls weltweit für Schlagzeilen. Vielleicht sei das der Durchbruch, schwärmte die Ärztezeitung:1 Es sei womöglich der erste Bluttest, der die für Alzheimer charakteristischen Krankheitsprozesse im Gehirn bei noch geistig Gesunden nachweisen beziehungsweise ausschließen könne.

Doch nutzen solche Tests tatsächlich den Untersuchten? Die Antwort lautet eindeutig nein. Denn bis heute existiert kein einziges Medikament, das den Ausbruch oder das Fortschreiten einer Alzheimer-Demenz nennenswert aufhalten, geschweige denn heilen kann. Das geht etwa aus der aktuellen S3-Leitlinie Demenzen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPN) hervor.3 Sie gilt als Kompendium des besten verfügbaren Wissens zum Thema und dient als Handlungsempfehlung für Ärzte, die Demenzkranke betreuen.

Die Bundesärztekammer kommt in einer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme zu dem gleichen Schluss.4 Mehrere Mediziner haben darin den Nutzen von neuropsychologischen und neurophysiologischen Tests über MRT, PET und Liquordiagnostik bis hin zu genetischen Tests untersucht und halten fest: Wirksame Maßnahmen zur Vorbeugung, Verlangsamung oder Heilung der Alzheimer-Krankheit gibt es nicht.

Medikamente zur Vorbeugung der Alzheimer-Krankheit gibt es bisher nicht.

Wer als Mediziner etwas anderes behauptet, handelt daher un­ethisch. Denn selbst wenn sich mit Tests die Alzheimer-Krankheit vorhersagen ließe, wären diese – ohne Therapiemöglichkeit – nicht nur nutzlos, sondern könnten auch erheblichen Schaden anrichten. Wer einen „positiven Befund“ erhält, kann in eine Lebenskrise stürzen. Noch schlimmer wird es, wenn der- oder diejenige ohnehin verunsichert, körperlich geschwächt, psychisch angeschlagen oder einsam ist. Das kann zu schlaflosen Nächten, Ängsten, Depression führen, gefolgt von der Einnahme unnützer Medikamente (gegen Schlaflosigkeit, Ängste und Depression) samt deren Nebenwirkungen, bis hin zu einer Odyssee durch Praxen und Kliniken, wobei am Ende keineswegs immer die richtige Diagnose steht (Demenz-Tests: GPSP 2/2018, S. 6).

Außerdem verstoßen Ärzte bei solchen falschen Versprechungen gegen die ärztliche Berufsordnung. Diese besagt, dass eine anpreisende oder irreführende Werbung berufswidrig ist.

Vorsorge ja – aber anders

Wer wirklich für den Fall der Pflegebedürftigkeit vorsorgen will, kann das sehr viel sinnvoller tun, sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich und organisatorisch. Das empfiehlt sich ohnehin, und zwar auch für junge gesunde Personen, denn jeder kann ganz unerwartet zum Pflegefall werden. Dann muss eine andere Person, etwa ein Angehöriger oder ein eingesetzter Betreuer, die anstehenden Entscheidungen treffen.

Um dann Schwierigkeiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, rechtlich vorzusorgen, und zwar mit einer Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung (GPSP 4/2017, S. 22). Je früher Sie festlegen, wie Sie behandelt werden wollen, oder wer für Sie im Fall des Falles handeln soll, wenn Sie selbst es nicht mehr können, desto besser.

Demenz-Diagnostik
GPSP 2/2018, S. 6

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2018 / S.12