Zum Inhalt springen
© Jodi Jacobson/ iStockphoto.com

Das Leben als Lottospiel?

Warum manche neue Therapien unbezahlbar sind

Der Preis neuer Arzneimittel steigt und steigt. Noch merken wir das hierzulande meist nicht, weil die Krankenkassen für die Kosten aufkommen. Doch irgendwann wird das Ende der Zahlungsfähigkeit erreicht sein. Was macht neue Medikamente so teuer?

Hersteller rechtfertigen die enor­men Preise gern mit den hohen Forschungskosten. Dabei werden teils abenteuerliche Summen von zwei Milliarden US-Dollar genannt. Eine seriöse Überprüfung dieser Behauptungen ist in der Regel nicht möglich, weil die Firmen sich weigern, die zugrunde liegenden Zahlen offenzulegen. Bekannt sind allerdings die Gewinnspannen von großen Pharmaunternehmen – und die liegen deutlich über denen anderer Branchen.1

Aber auch das treibt den Preis hoch: Pharmariesen kaufen kleine erfolgreiche Firmen auf, sogenannte Startups. Sie wurden oft von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Universitäten gegründet, die am wirtschaftlichen Erfolg ihrer eigenen Erfindungen teilhaben wollen. Und manchmal sickern auch Zahlen zu den tatsächlichen Kos­ten für die Forschung durch.

Makabre Lotterie

Eine neue Gentherapie gegen eine seltene Muskelerkrankung bei Kindern war in Europa noch gar nicht für den Markt zugelassen,5 da kündigte Novartis Anfang diesen Jahres an, 100 Behandlungen zu verlosen.6 Das ist perfide. Denn normalerweise stellen Hersteller potenziell lebensrettende Medikamente vor der Zulassung in einem von den Behörden kontrollierten Härte­fallprogramm kostenlos zur Ver­fügung.7 Spätestens seit Ankündigung des Therapie-Lottos ist das 2 Mio. US-Dollar teure Medikament in der europäischen Öffentlichkeit bekannt. Der Druck besorgter Eltern mit erkrankten Kindern wuchs. Sie verlangten von den Krankenkassen, dass sie das noch nicht zugelassene Medikament erstatten.8

Was rechtfertigt den hohen Preis? Die Kosten für die Forschung wohl kaum. Die entscheidenden Erkenntnisse für das Behandlungsprinzip stammen aus öffentlichen und gemeinnützigen Institutionen in Frank­reich.9 Weitere Studien fanden in den USA an der Ohio State University und dem Nationwide Children‘s Hospital in Columbus, Ohio statt.

Einer der beteiligten Wissenschaftler, Brian Kaspar, arbeitete von 2004 bis 2017 in beiden Institutionen. Noch während seiner Tätigkeit an der Universität gründete er das Startup Avexis, um das Medikament vermarkten zu können. Die Zulassung des Arzneimittels in den USA10 basierte auf einer Studie mit gerade einmal 15 Kindern. Also können die Kosten für klinische Studien an Menschen, die sonst der teuerste Teil der Forschung sind, nicht der Grund für den hohen Preis sein. Allerdings kaufte der Schweizer Pharmakonzern Novartis im Mai 2018 Avexis für 8,7 Milliarden US-Dollar.11 Und das erklärt den extrem hohen Preis für das Produkt.

Die 1.000 Dollar-Pille

Dies ist allerdings keineswegs das erste spekulative Geschäft, für das die Krankenkassen und damit die Versicherten die Zeche zahlen mussten. 2011 kaufte der US-Konzern Gilead für 11,2 Milliarden US-Dollar das kleine Startup-Unternehmen Pharmasset auf. Einziges Produkt: Ein neues Medikament gegen Hepatitis C. Die von der Firma selbst geschätzten Forschungskosten für den Wirkstoff Sofosbuvir betrugen 188 Millionen US-Dollar; die Herstellungskosten pro Tablette gerade mal ein Dollar!

Gilead brachte das Medikament 2013 auf den Markt und setzte den Preis auf 1.000 US-Dollar pro Tablette fest – also das Tausendfache der Herstellungskos­ten. Für die Behandlung eines Kranken werden 84 Tabletten benötigt, also kostete die Therapie 84.000 US-Dollar. Auf diese Weise holte Gilead die Kosten trotz des sündhaft teuren Aufkaufs von Pharmasset innerhalb eines Jahres durch den Umsatz mit Sofosbuvir wieder herein.

Das alles wurde der Öffentlichkeit nur bekannt, weil der US-Senat wegen der enormen Kosten für das staatliche Versorgungssystem eine Untersuchungskommission einsetzte. Sie ließ die Zentralen beider Firmen durchsuchen und beschlagnahmte Tausende von Seiten, kontrollierte den E-Mail-Verkehr und verhörte Manager. Zu den Fundstücken gehörten die Kalkulation der Preise und die Höhe der Forschungskosten.

Das neue Medikament füllte die Kassen der Firma nachhaltig: 2015 erzielte sie einen Rekordgewinn von 50 Prozent des Umsatzes.1 Der spekulative Aufkauf von Pharmasset hatte sich für Gilead also gelohnt. Allerdings wurden diese Kosten über den hohen Medikamentenpreis der Allgemeinheit aufgebürdet. Der Deutschland-Chef von Gilead nahm dabei kein Blatt vor den Mund: „Eine solche Investition muss natürlich zurückgespielt werden in den Markt.“

Hepatitis C
GPSP 5/2014, S. 6

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2020 / S.22