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Cremes gegen Lippenherpes

Mehr Spreu als Weizen

Viele fürchten das: Mit Kribbeln und Spannungsgefühl kündigt sich ein Ausbruch von Lippenherpes an, oft als Folge von Stress oder einer Erkältung. Unangenehm kann Lippenherpes auch im Urlaub „aufblühen“, begünstigt durch intensives Sonnenlicht. Doch helfen die angebotenen Cremes wirklich?

Lippenherpes wird durch Viren ausgelöst. Viele Menschen stecken sich bereits vor dem sechsten Lebensjahr durch eine Tröpfchen- oder Schmier­infektion an, in der Regel bleibt dies unbemerkt. Das Herpesvirus verbleibt lebenslang in den Nervenenden in der Nähe des Rückmarks. Für die meisten Menschen hat das keine weiteren Folgen. Bei jedem Fünften bis Zehnten wird das Virus allerdings mehr oder weniger regelmäßig wieder aktiv. Nach dem ersten Kribbeln und typischem Spannungsgefühl entstehen Bläschen. Im weiteren Verlauf, der oft unangenehm und schmerzhaft ist, platzen die Bläschen. Später bildet sich eine Kruste. Diese fällt ab und nach einer Woche ist die Lippe meist wieder abgeheilt.

Eine Reihe von Präparaten sollen die Beschwerden lindern und die Heilung beschleunigen. Die erst seit Mai 2008 erhältliche Docosanol-haltige Creme Erazaban® kann angeblich die Heilungsdauer gleich „um mehrere Tage“ verkürzen. Dies behauptet zumindest der Anbieter.1 Einen solchen beträchtlichen Effekt können wir allerdings nicht bestätigen: Nach Auswertung der Ergebnisse von zwei Studien verkürzt Docosanol die Heilung des Lippenherpes im Vergleich zu einer Creme ohne Wirkstoff im Durchschnitt lediglich um 0,7 Tage (von 4,8 Tagen auf 4,1 Tage). Selbst dieser magere Vorteil gegenüber dem wirkstofffreien Plazebo ist wahrscheinlich noch zu hoch angesetzt: Er lässt sich nur für eine der beiden Studien statistisch absichern, und es wird unterschlagen, dass es noch drei weitere Studien gibt, die jeweils zu einem negativen Ergebnis kamen und die alle nicht veröffentlicht sind.2 Es gibt also mehr negative Befunde als solche, die eine Wirksamkeit bestätigen.

Leider erweisen sich auch die schon länger erhältlichen Herpescremes nur als dürftig nützlich. Die am meisten verwendete virushemmende Creme mit Aciclovir (Zovirax®, Generika) verkürzt die Heilungszeit nur etwa um einen halben Tag (GPSP 3/2007; Seite 2). Gleiches gilt für Penciclovir (Fenistil Pencivir®), das in zwei großen Studien die Heilung der Lippenbläschen um 0,7 Tage verkürzte (von 5,5 Tagen auf 4,8 Tage). Penciclovir soll tagsüber alle zwei Stunden aufgetragen werden und damit häufiger als alle anderen Lippenherpesmittel. Tuben mit 2 g Aciclovir-Creme und 2 g Penciclovir-Creme dürfen Apotheken ohne Rezept verkaufen, größere Tuben sind verschreibungspflichtig. Hin und wieder können Lippenherpesmittel wie Aciclovir einen allergischen Hautausschlag auslösen, der leicht als Verschlimmerung des Herpes fehlgedeutet werden kann.

Die generell verschreibungs­pflichtige Foscarnet-haltige Creme Triapten® muss mindestens sechs­mal täglich auf­ge­tragen werden. Für diese Creme finden wir keine qualitativ gute Studie, mit der sich ihr Nutzen belegen lässt. Ein krebserregendes Potenzial des Wirkstoffes kann nicht ausgeschlossen werden. Die in der Creme enthaltenen Zusatzstoffe können Hautreizungen und Überempfindlichkeitsreaktionen auslösen. Wir raten daher von der Anwendung von Foscarnet-Creme bei Lippenherpes ab.2

Ähnlich sieht die Situation für die ebenfalls verschreibungspflichtige Idoxuridinhaltige Virunguent® Salbe aus. Wieder finden wir keine qualitativ zufriedenstellenden Studien für das Produkt. Der Anbieter Hermal schreibt uns zwar, dass Untersuchungen durchgeführt worden sind. Da sie nicht veröffentlicht wurden, lassen sie sich jedoch nicht beurteilen. Virunguent® Salbe darf man höchstens vier Tage lang verwenden, sonst kann die empfindliche Haut der Lippen aufquellen. Auch Idoxuridin gilt als potenziell krebserregend, wir raten von der Anwendung ab.

Das auch gegen Lippenherpes verwendete Tromantadin (Viru-Merz® Serol) sollte bereits 1980 wegen häufiger Kontaktallergien vom Markt genommen werden. Diese Nebenwirkung kann als Verschlechterung der Herpeserkrankung fehlgedeutet werden und zur intensiveren Anwendung des Mittels mit weiterer Verschlechterung der Nebenwirkungen verleiten. Tromantadin wurde 1982 lediglich verschreibungspflichtig. Es darf nur angewendet werden, wenn noch keine Bläschen vorhanden sind, um das Allergierisiko zu verringern. Über Kontaktallergien wird dennoch weiterhin berichtet.3 Das Mittel gehört unseres Erachtens vom Markt.

Unabhängig von den Inhaltsstoffen machen Herpescremes und -salben die Lippenhaut geschmeidiger und lindern schon deshalb das Schmerzgefühl. Als Hausmittel wird Zinksulfat (z.B. in Virudermin® Gel) verwendet. Wie bei den anderen örtlich angewendeten Lippenherpesmitteln ist nicht zu erwarten, dass Zinksulfat-Gel die Abheilung relevant beschleunigt. Gleiches gilt für die Kombination von Zinksulfat mit Heparin (in Lipactin®) und für eine Creme, die Melissenblätterextrakt enthält (Lomaherpan®), bei der im Übrigen Kreuzallergien mit Gewürzen möglich sind.

Neuerdings wird auch ein transparentes Pflaster zur Behandlung von Lippenherpes angeboten: Compeed®Herpesbläschen Patch. Die Pflaster werden durchschnittlich alle 8-10 Stunden gewechselt und sollen die Beschwerden lindern und vor weiteren Infektionen schützen. Allerdings ist der Nutzen nicht durch geeignete Studien gesichert.3

Gut wirksame Mittel gegen Lippenherpes gibt es nicht. Die im Körper ruhenden Viren können nicht beseitigt werden. Alle angebotenen Cremes lindern die Beschwerden lediglich etwas und beschleunigen die Abheilung nur gering. Sie können einem Ausbruch nicht vorbeugen. Wegen der nur minimalen Wirkeffekte von Präparaten, die virushemmende Stoffe enthalten, geben wir einfachen und besser verträglichen Präparaten mit Zinksulfat den Vorzug.

Lippenherpes

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2008 / S.03