Akute Mittelohrentzündung
Zuwarten, Schmerzmittel oder Antibiotika?
Erkrankt ein Kind an einer Mittelohrentzündung, sind seine Eltern in einem Dilemma: Abwarten? Gleich ein Antibiotikum? Schmerzen lindern?
Die Kleinen schniefen, husten, sind plötzlich weinerlich, sie haben Fieber – so macht sich die typische akute Mittelohrentzündung bemerkbar. Der medizinische Begriff lautet akute Otitis media. Das Schlimmste an dieser Infektion sind die oft heftigen Ohrenschmerzen. Anders als große Kinder klagen die Kleinen aber nicht gezielt über Ohrenschmerzen. Allenfalls greifen sie an das schmerzende Ohr oder reiben es. So sind aus Elternsicht die Symptome nicht leicht von denen einer „normalen“ Erkältung zu unterscheiden. Erst wenn Arzt oder Ärztin beim Blick ins Ohr ein stark gerötetes und vorgewölbtes Trommelfell sehen, ist die Diagnose Otitis sicher.
Säuglinge und Kleinkinder erkranken im Gegensatz zu Erwachsenen häufig eine Otitis: Die Verbindung zwischen Ohr- und Nasenraum, genannt Ohrtrompete oder Tubengang, ist bei ihnen kürzer. Dadurch können sich Krankheitserreger leichter aus dem Nasen-Rachen-Raum bis ins Mittelohr ausbreiten. Zudem ist der Tubengang eng, und seine Schleimhaut schwillt durch die Entzündung an, sodass das Sekret nicht mehr abfließen kann. Es staut sich im Mittelohr und drückt aufs Trommelfell.
Diese anatomische Besonderheit führt dazu, dass die Otitis bei den meisten betroffenen Kindern nicht nur einmal, sondern öfters auftritt – am häufigsten übrigens zwischen Ende des ersten und Beginn des vierten Lebensjahres.
Erst mal abwarten?
Wie viele andere Infektionserkrankungen geht auch die Otitis häufig von selbst vorbei. Darum ist es nicht richtig, gleich Antibiotika einzunehmen. Oft ist es besser, „beobachtend abzuwarten“.
Im Gegensatz zu früheren Vorstellungen in der Medizin heilt die Otitis bei Kindern nämlich nicht generell schneller, wenn gleich zu Beginn Antibiotika gegeben werden. Sowohl mit als auch ohne verschwinden die Ohrenschmerzen – bei unkompliziertem Verlauf meist nach zwei bis drei Tagen.
Viren oder Bakterien?
Oft ist nicht klar, ob Viren oder Bakterien für die Infektion verantwortlich sind. Nur bei bakteriellen Formen kann eine antibiotische Behandlung überhaupt nützen. Und selbst bei Nachweis von Bakterien können die Abwehrmechanismen des Körpers ausreichen, um die Krankheit zu überwinden.
Die Zurückhaltung gegenüber Antibiotika ist gut begründet, da sie auch Nebenwirkungen haben kann, beispielsweise Magen-Darm-Probleme, Erbrechen oder allergische Hautreaktionen. Das ist nach Studien bei knapp 30% der Kinder zu erwarten, die wegen Mittelohrentzündung Antibiotika bekommen, allerdings auch bei etwas mehr als 10% der Kinder, bei denen abgewartet wird. Eine ganze Reihe dieser Symptome scheint also nicht medikamenten-, sondern krankheitsbedingt zu sein. Allerdings spricht die grundsätzliche Gefahr der Resistenzentstehung generell gegen einen leichtfertigen Einsatz von Antibiotika.
Also nie Antibiotika?
Nein, das wäre auch wiederum falsch. Wenn Bakterien die Otitis verursachen und die Symptome der Erkrankung stark sind, kann ein Antibiotikum (meist wird Amoxicillin gewählt) hilfreich sein, da es in solchen Fällen die Abheilung beschleunigt. Antibiotika können die kleinen Patienten auch vor Komplikationen der bakteriellen Otitis schützen. Dazu zählen dauerhafte Ansammlungen von Sekret im Mittelohr – was das Hören beeinträchtigt, ein Übertritt der Infektion ins Innenohr oder Blutgerinnsel in den Venen des Kopfes. Eine zum Glück äußerst seltene, aber gefürchtete Komplikation ist die Mastoiditis, bei der sich die Erreger im Knochen hinter dem Ohr ausbreiten.
Wie entscheiden?
Leider ist es selbst für Ärzte nicht ganz einfach zu entscheiden, wann der Antibiotika-Einsatz angeraten ist und wann nicht. Sie berücksichtigen dabei die Wahrscheinlichkeit einer bakteriellen Infektion, den Schweregrad und die bisherige Dauer der Symptome. Auch das individuelle Risiko für Komplikationen, das vor allem vom Alter des Kindes abhängt, wird berücksichtigt.
Auf eine bakterielle Erkrankung deuten hin: Es sind beide Ohren entzündet, das Fieber ist sehr schnell sehr hoch gestiegen oder aus einem Ohr fließt eitriges Sekret. Auch wenn sich die Otitis nach zwei bis drei Tagen nicht bessert, ist eine bakterielle Infektion eher wahrscheinlich. Ist bei diesen Bedingungen der kleine Patient jünger als zwei Jahre, ist es ratsam, eine antibiotische Therapie zu beginnen.
Bei Kindern mit einer schweren allgemeinen Grunderkrankung oder mit einem Cochlea-Implantat warten Ärzte wegen erhöhter Risiken für Komplikationen nicht mit der Antibiotikabehandlung ab.
Was also tun?
Insbesondere, wenn es das erste Mal ist, dass Sie eine Otitis bei Ihrem Kind befürchten, sollten Sie Arzt oder Ärztin aufsuchen, um die Diagnose zu sichern und in Ruhe das Vorgehen besprechen zu können. Wie eingangs betont: Oft reicht ein aufmerksames Zuwarten aus. Die Frage nach diesem beobachtenden Abwarten bezieht sich allerdings nur auf die Antibiotika-Therapie! Unabhängig davon sollten Beschwerden selbstverständlich so gut es geht gelindert werden, insbesondere die Ohrenschmerzen. Als Schmerzmittel kommen Zäpfchen oder Saft mit Paracetamol oder Ibuprofen infrage.
Bei Otitis ist häufig die Nase verstopft. Abschwellende Nasensprays oder -tropfen (z.B. Xylometazolin) können dann für einige Stunden die Atmung erleichtern, den Sekretabfluss aus dem Mittelohr unterstützen und so zur Schmerzlinderung beitragen. Allerdings dürfen die Mittel für nur wenige Tage und in einer für Kinder geeigneten Wirkstärke angewendet werden. Bei zu langer, zu häufiger oder zu hoch dosierter Anwendung können solche Mittel die Nasenschleimhaut dauerhaft schädigen.
Dass die früher fast immer angewandten äußerlich (lokal im Ohr) anzuwendenden Schmerztropfen die Symptome tatsächlich lindern, wird heute stark bezweifelt. Außerdem fällt es nach ihrer Anwendung Ärzten schwerer, das Trommelfell zu beurteilen. Daher wird von deren Einsatz abgeraten.
Weiterlesen
Gesundheitsinformation.de
www.gesundheitsinformation.de/mittelohrentzuendung.2233.de.html
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/TE/A-Z/PDF/Atemwegsinfektionen.pdf#page=1&view=fitB
arznei-telegramm®
www.arznei-telegramm.de/html/2011_02/1102017_01.html
Cochrane Review
onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/14651858.CD000219.pub4/abstract
Beobachtend abwarten
GPSP 4/2017, S. 16
Antibiotika-Resistenzen
GPSP 1/2016, S. 23
Stand: 30. August 2017 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2017 / S.08