Zu hoch, normal, zu niedrig
Was Laborwerte verraten
Ohne Labortests geht es oft nicht: Sie helfen Ärzten und Ärztinnen bei der Diagnose und Behandlung. Regelmäßig wird man als Patient mit Laborbefunden konfrontiert und erfährt, dass ein Wert zu hoch oder zu niedrig ist. Doch was steckt hinter diesen Befunden?
Wer mit Beschwerden zum Arzt geht, wird meist mehr oder weniger ausführlich befragt und körperlich untersucht. Dann folgen oft „apparative“ Untersuchungen wie Ultraschall, Röntgen, Lungenfunktionstests oder Endoskopie – und oft auch Labortests.
Wichtige Indizien
Viele Krankheiten gehen einher mit veränderten biochemischen Vorgängen im Körper. Labormessungen können deshalb helfen, die aktuelle Situation einzuschätzen oder eine Prognose zu stellen, etwa bei erhöhtem Blutzuckerspiegel. Zum Beispiel: Ist der Wert so hoch, dass ein Arzneimittel nötig ist, oder reichen erst einmal Ernährungs- und Verhaltensänderungen aus? Wichtige Hinweise geben Laborwerte auch auf die Vorgeschichte von Beschwerden. Beispielsweise kann geprüft werden, ob man eine bestimmte Infektionskrankheit schon durchgemacht hat, wie etwa Hepatitis B. In diesem Fall wäre es sinnlos, dagegen zu impfen.
Ärzte lassen nicht nur Blut oder Urin im Labor untersuchen, sondern auch Speichel, Schweiß, Haare, Rückenmarksflüssigkeit (Liquor), Atemluft oder Fruchtwasser.
Blut verrät viel
Medizinisch bedeutsam sind nicht nur die festen Blutbestandteile, etwa die weißen und roten Blutkörperchen, sondern vor allem die vielen Inhaltsstoffe des wasserähnlichen Blutplasmas, das
den Blutzucker, die Salze Kalium und Natrium, Hormone, und vieles mehr enthält. Auch Antikörper lassen sich im Blutplasma nachweisen und zeigen Infektionskrankheiten an.
Anfällig für Fehler
Eines vorweg: Die Labordiagnostik ist anfällig für Fehler. Es beginnt bereits bei der Blutentnahme. Sie sollte im Regelfall im Liegen stattfinden – eine ungeeignete Position oder vorheriger rascher Lagewechsel kann bestimmte Blutwerte verändern. Oder: Eine zu lange Stauung der Vene oder zu starkes Hochziehen von Blut in die Spritze kann beispielsweise den Kaliumwert stark beeinflussen. Relevant sind auch die Lagerung und der Transport der Proben: Viele brauchen Zimmertemperatur, andere müssen eiskalt oder warm aufbewahrt und transportiert werden. Und keine Frage: Fehlerquellen sind auch falsch eingestellte Messgeräte.
Zahlenwirrwarr
Messergebnisse werden meist als Zahl ausgedrückt und enthalten immer eine Bezugsgröße. Bei weißen Blutkörperchen beispielsweise „8.000 pro Mikroliter1“ (wobei dieser Wert Zahlen zwischen Null und Hunderttausend einnehmen kann). Manchmal lautet das Ergebnis aber auch schlicht „positiv“ oder „negativ“. Positiv kann bedeuten, dass ein bestimmter Stoff im Blut vorhanden ist – etwa Antikörper gegen einen bestimmten Infektionserreger. Dann gilt positiv als Hinweis auf eine akute oder überstandene Infektion.
Noch immer werden Laborwerte in unterschiedlichen – alten und neuen – Maßeinheiten angegeben. Alt sind etwa beim Blutzucker Angaben wie „Milligramm pro Deziliter“, „mg/dl“ oder „mg%“.
Eigentlich sollten inzwischen Laborwerte in den SI-Einheiten (Système international d‘ unités) üblich sein. Für Blutzucker wäre das zum Beispiel „Millimol pro Liter“ oder kurz: mmol/l. Ein Blutzuckerwert von 100 mg/dl entspricht 5,55 mmol/l.
Was ist normal?
Ist der Laborbericht da, müssen Arzt oder Ärztin die Testergebnisse interpretieren, insbesondere dann, wenn Abweichungen vom Normalwert festgestellt wurden. Doch was heißt „normal“?
Normwerte werden in der Medizin mithilfe von Studien festgelegt. Dazu ein Beispiel: Soll ein neuer Labortest auf den Markt kommen, untersucht man damit viele gesunde Personen. Aus den gemessenen Werten lässt sich ein Mittelwert errechnen. In der Regel liegen die meisten Werte nahe an diesem Mittel. Stark abweichende Werte sind eher selten und können ein Anzeichen für eine Erkrankung sein. Um festzulegen, was normal ist, werden die Werte, die stärker vom Mittelwert abweichen, als „nicht normal“ definiert. Sie setzen sich zu jeweils der Hälfte aus den niedrigsten 2,5% und den höchsten 2,5% der Messwerte der einzelnen Probanden zusammen. Die 95% dazwischen gelten als „normal“. Da diese Studien mit gesunden Menschen gemacht werden, bedeutet das aber auch, dass bei Labormessungen jeweils 5% der Gesunden „unnormale“ Werte haben können.
Bei der Bewertung von Labortests müssen Ärzte auch stets berücksichtigen, dass Menschen nicht gleich sind: Was normal ist, ändert sich mit dem Alter, und auch für Männer und Frauen oder für verschiedene Ethnien sind die Normwerte unterschiedlich. Es gibt also nicht „den einen Normwert“.
Natürliche Schwankungen
Dazu kommt: Natürliche Schwankungen beeinflussen viele Laborwerte. Manche treten tageszeitlich auf – so etwa bei bestimmten Hormonen wie Cortisol –, andere ändern sich saisonal – wie beim Vitamin D. Bestimmte Blutwerte variieren je nach Ernährungsart. Darum wird man als Patient zum Beispiel „nüchtern“ in die Arztpraxis bestellt. Das ist relevant, wenn es um eine Blutzucker- oder Cholesterinbestimmung geht.
Wie viel man getrunken hat, beeinflusst vor allem den Natrium- und Kaliumhaushalt. Und nach einer Verletzung oder auch nach Kraftsport verändert sich der Wert der Kreatinkinase, der über Muskelerkrankungen – auch des Herzens – Auskunft gibt. Akute Krankheiten und Begleiterkrankungen wie Infektionen können ebenfalls bestimmte Laborwerte beeinflussen.
Ja. Nein. Vielleicht.
Manche Tests liefern ein Ja- oder ein Nein-Ergebnis. Ein gutes Beispiel hierfür ist der HIV-Test. Wenn eine HIV-Infektion per Labortest nachgewiesen ist, bezeichnet man das Ergebnis als „HIV-positiv“. Obwohl der HIV-Test ziemlich zuverlässig ist, kann er – wie alle anderen Tests – falsche Resultate liefern, wenn er bei einem Gesunden „positiv“ ausfällt. Dann nennt man das ein falsch-positives Ergebnis. Umgekehrt kann aber auch ein tatsächlich HIV-Kranker einen „negativen“ Test haben – das wäre dann ein falsch-negatives Testergebnis. Weil HIV hierzulande selten ist, würde man nach einem positiven Test unbedingt erst einen zweiten, genaueren Test durchführen, damit niemand fälschlich zum Kranken erklärt wird. Die gleiche Vorsicht ist bei einem negativen Ergebnis angebracht, wenn die getestete Person ein hohes Ansteckungsrisiko hatte. Da sollte der Arzt das Testergebnis ebenfalls zusätzlich absichern.
Bewertungssache
Bei manchen Laborwerten ist relativ klar, dass etwas unternommen werden muss, beispielsweise bei erhöhten Blutzuckerwerten. Bei anderen auffälligen Werten ist dies schon schwieriger, etwa bei erhöhten Blutfettwerten. Für die Frage, ob und wie die Therapie aussieht, spielen auch Alter, Geschlecht und weitere Risikofaktoren wie Rauchen eine Rolle (siehe GPSP 4/2007, S. 3).
Therapiekontrolle
Labortests sind auch wichtig, um laufende Behandlungen zu steuern. Das bekannteste Beispiel ist die regelmäßige Kontrolle der Blutzuckerwerte bei Diabetikern. Und wer Phenprocoumon (Marcumar® und andere) zur „Blutverdünnung“ einnimmt, muss regelmäßig seinen Blutgerinnungswert – den INR-Wert – überprüfen. Auch bei Epilepsiepatienten oder bei Schilddrüsenerkrankungen ist es wichtig, die Arzneimitteldosierung mithilfe regelmäßiger Laboruntersuchungen zu optimieren.
Einwilligung nötig
Für bestimmte Labortests, insbesondere beim HIV-Test und bei der Gendiagnostik, muss jeder Patient im Regelfall vorher ausdrücklich sein Einverständnis geben. Grund dafür ist die besondere persönliche Tragweite, die zum Beispiel ein „positiver“ HIV-Test hat. Der Arzt muss mit seinem Patienten und seiner Patientin schon vorher besprechen, was das jeweilige Testergebnis für sie bedeuten könnte.
Bei manchen Infektionskrankheiten müssen Laborärzte ein „positives“ Testergebnis an die Gesundheitsämter melden. Die Meldepflicht2 besteht beispielsweise für den Nachweis von ernsten Krankheiten wie Hepatitis B oder Masern.
Fazit
GPSP geht es darum, dass ein Labormesswert nur eine Seite der Medaille ist. Die andere Seite: Man muss ihn zu interpretieren wissen – und darin liegt die ärztliche Kunst. Gut ist allerdings, dass wir uns heute darüber informieren können, welche Aussagemöglichkeiten ein Test hat und welche Werte kritisch sein können.
Stand: 4. November 2016 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2016 / S.04