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© J. Schaaber

Weizen – ein „Killerkorn“?

Wie Buchautoren Menschen in die Diätfalle schicken

Weizen ist eines unserer Grundnahrungsmittel. Es steckt unter anderem in Brot, Keksen, -Pizza, Pasta und industrieller Babykost. Doch das Korn, das über Jahrhunderte „unser täglich Brot“ war, gerät immer mehr in Verruf. Dieser Trend wird vom Buchmarkt international -befeuert. Zwei US-Autoren haben besonders viel Aufregung erzeugt. Mit der Folge, dass sich ihre -Leserinnen und Leser auf einmal krank glauben, als „Weizen-Opfer“ sehen und ihre Lebensweise auf den Kopf stellen …

Mit Weizen ernähren sich etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung.1 Er steht auf Platz drei der am meisten produzierten Getreidearten, hinter Reis und Mais. Doch angeblich ist Weizen Teufelszeug und genetisch so verändert, dass wir davon krank werden. Er soll zu suchtartigem Überfressen führen und am grassierenden Übergewicht schuld sein. Und angeblich schädigt er sogar unser Gehirn und weitere Organe. Das jedenfalls wollen uns viel verkaufte Ratgeber glauben machen, etwa Dumm wie Brot von David Perlmutter oder Weizenwampe von William Davis. Etliche ähnliche Buchtitel sind auf dem Markt und empfehlen, Weizenprodukte aus der Ernährung zu verbannen.

Dass manche Menschen unter Erkrankungen leiden, die durch Weizenbestandteile ausgelöst werden – etwa der Zöliakie – ist unbestritten (siehe Kasten). Aber die Bestsellerautoren ziehen ganz andere Register. Perlmutter verspricht Rettung vor ADHS, Migräne und Depressionen, ebenso Epilepsie, Arthritis oder Diabetes. Die wesentliche Frage hierbei ist: Auf welche Studien berufen sich die Autoren eigentlich?

David Perlmutter, der als Facharzt für Neurologie praktiziert, wechselt in seiner „Beweisführung“ gegen Weizen ständig zwischen verschiedenen Themen. Beispielsweise spricht er über den unstrittigen Anstieg von Diabetes und Übergewicht und führt Belege dafür auf, um unvermittelt auf das Thema Gluten überzuleiten – so als wäre dieses Eiweiß erwiesenermaßen schuld an den Erkrankungen.

Schwache Beweise

Dafür kann Perlmutter jedoch keine überzeugenden Belege nennen. Stattdessen zitiert er aus Blogs, erzählt von wundersamen Heilungen einzelner Patienten aus seiner eigenen Praxis und legt Studien so aus, dass sie in sein Konzept passen.

Dazu ein Beispiel: Er führt eine Studie an, in der es einigen Kindern mit Autismus nach einer glutenfreien Diät besser ging. Die Studie hat jedoch mehrere Haken: Sie ist von 1999 und erfüllt heutige Standards nicht. Sie war nicht verblindet, das heißt, die Eltern, deren Kinder die glutenfreie Diät bekamen, wussten das auch. So kann ein Placeboeffekt nicht ausgeschlossen werden, denn die Zuversicht der Eltern überträgt sich möglicherweise auf die Kinder.

Außerdem hatten die Autoren der Studie die Kinder nicht auf Zöliakie getestet, obwohl einige Eltern zuvor entsprechende Hinweise gegeben hatten. Die Kinder, die vom Glutenverzicht profitierten, könnten daher unter bislang unerkannter Zöliakie gelitten haben. Es gibt zwar Hinweise darauf, dass Zöliakie auch psychische Störungen hervorrufen kann2. Dass eine glutenfreie Diät bei Autismus helfen kann, entbehrt bislang jedoch echter Beweise.

Überhaupt stammen die meisten der „Beweise“ aus Studien, die Menschen mit Zöliakie untersuchen. Sie gelten nur für diese und nicht für Menschen, die gar nicht an Zöliakie leiden. Wer mit Zöliakie auf Gluten reagiert, sollte selbstverständlich keine glutenhaltigen Lebensmittel essen oder trinken.

Es kann durchaus sein, dass Menschen, die sich besser fühlen, wenn sie auf Weizenprodukte verzichten, eine bislang unentdeckte Weizenallergie oder Weizensensitivität haben. Ebenso gut möglich ist eine noch nicht entdeckte Zöliakie. Doch hat Weizen auch auf Gesunde schädliche Auswirkungen, wie uns die Autoren David Perlmutter und William Davis glauben machen wollen?

Sind neue Sorten schädlicher?

Nach Meinung der beiden Weizenkritiker unterscheiden sich moderne Weizensorten von den
früher angebauten Sorten durch gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe.

Für die Behauptung, dass der heute übliche Hochleistungsweizen prinzipiell gesundheitsschädlich ist, gibt es keine Belege. Korrekt ist die Aussage, dass die Eiweißzusammensetzung durch Züchtung verändert wurde. Das könnte dazu führen, dass Menschen mit Weizensensitivität empfindlicher reagieren. Aber die Forschung hierzu steckt noch in den Anfängen, und es gibt keinen Grund, pauschal allen Menschen eine weizenfreie Diät zu empfehlen.

Macht Weizen süchtig?

Nächster Vorwurf: Weizen macht angeblich süchtig und ein maßvolles Essen unmöglich. Infolgedessen würden sich viele über-essen und übergewichtig werden. Ebenso löse der Verzicht auf Weizen einen Entzug aus.

Doch auch hier: Daten? Fehlanzeige! Zwar zeigt eine Studie, dass bei der Verdauung von Gluten Stoffe entstehen können, die Opioiden ähneln (Exorphine). Aber ob diese süchtig machen, ist nicht bekannt.

William Davis überträgt hier Ergebnisse aus einem Tierversuch in einer wissenschaftlich unzulässigen Weise auf Menschen. In der von ihm zitierten Studie wurde der Gluten-Bestandteil Gliadin Laborratten gespritzt. Sie fraßen es also nicht. Übrigens: Auch Eiweiße aus Milch, Reis, Fleisch und Spinat werden zu Exorphinen abgebaut. Diese Lebensmittel verteufelt Davis jedoch nicht …6

Macht Weizen fett?

Letzter Vorwurf: Weizen macht uns fett und krank. Was angeblich dadurch bewiesen ist, dass Menschen abnehmen, die auf Weizenprodukte verzichten.

Kein Wunder: Weizen ist fast überall enthalten. Verzichtet man auf ihn, schränkt das die Auswahl der Nahrungsmittel stark ein. Viele Süßspeisen und Fertigprodukte kann man nicht mehr essen. Das ist der eigentliche Grund dafür, dass Pfunde purzeln, wenn wir auf Weizen und andere glutenhaltige Produkte verzichten. Mit einer Gewichtsabnahme bessern sich auch viele Beschwerden wie Arthroseschmerzen, schlechte Blutfettwerte oder eine Insulinresistenz.

Warum all die unhaltbaren Behauptungen?

© J. Schaaber
© J. Schaaber

Was könnten die Gründe für die unhaltbaren Behauptungen der Weizenkritiker sein? Eine Studie bringt es auf den Punkt: Die Zahl der Menschen, die glutenfrei leben, ist inzwischen sehr viel höher als die Anzahl der Zöliakie-Patienten. Der Markt für glutenfreie Produkte macht jährlich bereits mehrere Milliarden US$ aus 7 – dank Werbung und zweifelhafter Ratgeber, die eine Weizenhysterie schüren. David Perlmutter betreibt ein Gesundheitszentrum, in dem er auch Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose, Schlafstörungen Rücken- und Kopfschmerzen8 behandelt. Er hat etliche Ratgeber darüber geschrieben und bewirbt seine Lehre im Fernsehen. Und William Davis betreibt ein Lifestyle Institut,9 in dem er unter anderem Module zum Erlernen weizenfreier Ernährung anbietet. Auch er hat mehrere Ratgeber zu dem Thema veröffentlicht.

Die Folgen

Letztendlich gleicht die „Lehre“ vom Weizenverzicht einer Religion, mit den Erfindern als Propheten. So äußerte Davis gegenüber einer deutschen Journalistin: „Weizen ist der Teufel.“10 Die Lehre ist sehr einfach: Weizen soll verantwortlich sein für alle Befindlichkeitsstörungen, Blähungen und Kopfschmerzen. Ihn zu meiden wird als die einzig wahre Lösung verkauft, um Übergewicht und die meisten Krankheiten zu bekämpfen.

Als Anhänger dieses Glaubens muss man sich nicht an die Nase fassen, weil man einfach zu viel isst und einen inaktiven Lebensstil führt. Man ist selbst ein Opfer, weil Weizen und die Nahrungsmittelindustrie die Übeltäter sind.

Diese Hysterie um die richtige Ernährung verunsichert viele Menschen. Sie quälen sich mit Verzicht und schwer durchzuhaltenden Diäten, was ihrer Lebensqualität abträglich ist. Das alles ohne den Beweis dafür, dass sie sich etwas Gutes tun.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2015 / S.08