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© Adam Jones

Was gehen uns Tropenkrankheiten an?

Warum sich die Forschung für manche Krankheiten nicht interessiert

Dengue, Dracunculiasis, Buruli-Ulkus, das sind nicht nur Wortungetüme, sondern
Infektionen mit verheerenden Folgen. An ihnen erkranken Millionen Menschen – vor allem in den ärmeren und speziell den tropischen Regionen. Solche Probleme können nur in weltweiter Zusammenarbeit angegangen werden – auch Deutschland ist deshalb gefordert, nach besseren Behandlungsmöglichkeiten zu forschen.

Die Afrikanische Schlafkrankheit (Trypanosomiasis) ist eine dieser verhängnisvollen Infektionen. Sie beginnt mit Fieber und Kopfschmerzen, dann folgen Verwirrung und Lähmungen, am Ende steht der Tod. Auslöser sind winzige Einzeller, die von der Tsetse-Fliege übertragen werden und das zentrale Nervensystem attackieren. An der Schlafkrankheit leiden fast nur Menschen in tropischen Regionen Afrikas. Meist leben sie in armen Verhältnissen auf dem Land. Eine gute Therapie fehlt, denn für die Pharmaindustrie sind sie wegen ihrer Armut, d.h. fehlender Kaufkraft, ökonomisch uninteressant.

Vernachlässigte Probleme

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine Liste solcher vernachlässigten Krankheiten zusammengestellt. Drei Merkmale sind kennzeichnend:

  1. Hauptsächlich sind Menschen in warmen Regionen betroffen.
  2. Es stehen nur unzureichend Behandlungsmethoden zur Verfügung.
  3. Die Erkrankung ist relativ häufig.

Obwohl viele Menschen betroffen sind, hat die kommerziell ausgerichtete Pharmaforschung diese Erkrankungen über Jahrzehnte weitgehend ignoriert. Von 1975 bis 2011 wurden weltweit über 1.700 neue Wirkstoffe entwickelt, darunter aber nur 20 für vernachlässigte Krankheiten.1,2 Das System der weltweiten Gesundheitsforschung hat hier ethisch versagt.

Globale Aktionspläne

Dass sich etwas ändern muss, haben Expertenkommissionen bei der WHO längst erkannt. Sie fordern gemeinsame Anstrengungen, um Lücken in der globalen Gesundheitsversorgung zu schließen. Ein Aktionsplan wurde 2008 beschlossen, damit zukünftig alle Regierungen weltweit – und auch die Pharmaindustrie – ihren Teil zur Lösung beitragen.3 Was ist geplant?

Forschungsfond: Um neue Behandlungen für die vernachlässigten Krankheiten zu entwickeln, soll ein internationaler Fond gegründet werden.4 Das funktioniert nur, wenn genügend Länder in solch einen Topf einzahlen – bisher gibt es noch zu wenige verbindliche Zusagen.

Neue Preismodelle: Global gesehen sind wichtige Medikamente und Impfstoffe für viele Menschen – sei es direkt oder vermittelt über die Krankenkassen – unbezahlbar. Pharmaunternehmen rechtfertigen hohe Preise mit angeblich hohen Forschungskosten. Um das Problem zu umgehen, wäre es konsequent, wenn die Staatengemeinschaft die Forschung direkt finanziert. Das Argument der Forschungskosten kann dann nicht mehr dazu dienen, die immens hohen Gewinne zu verteidigen.

Prämien, die wichtige Schritte zur Entwicklung eines neuen Wirkstoffs belohnen, sind ein praktikabler Anreiz. Die Ergebnisse fließen dann in die Produktentwicklung ein. Sie werden nicht patentiert und sind Allgemeingut. Die Europäische Kommission5 und eine britische Stiftung6 testen bereits, ob diese Idee funktioniert.

Pilotprojekte: Zwei Pilotprojekte untersuchen, ob es gelingt, mit einer gemeinsam organisierten und finanzierten Forschung Produkte und Tests zu entwickeln, die auch für Menschen in Armut bezahlbar sind: Eine brasilianische Initiative entwickelt eine Impfung gegen Schistosomiasis, und ein indisches Projekt entwirft ein Diagnoseverfahren für akute fieberhafte Erkrankungen.7

Kooperationen

Wenn sich die Pharmaindustrie für bestimmte Krankheiten kaum interessiert, dann müssen eben Andere tätig werden. Mit dieser Logik wurden innerhalb des letzten Jahrzehnts so genannte Produktentwicklungspartnerschaften gegründet. In diesen arbeiten in der Regel öffentliche Forschungseinrichtungen, Nichtregierungsorganisationen und durchaus auch Pharmaunternehmen zusammen. Inzwischen gibt es über 20 solcher Netzwerke, die sich jeweils einer oder mehreren vernachlässigten Krankheiten widmen. Etliche ihrer neuen Medikamente, Impfungen und Diagnoseverfahren werden schon eingesetzt – zu bezahlbaren Preisen!

Wer soll‘s bezahlen?

Im Jahr 2014 wurden weltweit fast 3,4 Milliarden US-Dollar in die Erforschung vernachlässigter Krankheiten investiert.8 Das hört sich viel an, entspricht aber gerade einmal dem Doppelten des Gewinns eines mittelgroßen Pharmaunternehmens: Boehringer Ingelheim erlöste im gleichen Jahr 1,7 Milliarden Euro vor Steuern.9

Die öffentlichen Geldgeber steuern übrigens den Löwenanteil bei (64%). Spitzenreiter sind die USA, gefolgt von Großbritannien und der Europäischen Kommission. Weitere 20% stammen von Stiftungen. Am kleinsten ist der Anteil der Industrie (16%).

Das meiste Geld fließt in die Bekämpfung von Malaria, Tuberkulose und HIV. Doch die Finanzmittel für vernachlässigte Krankheiten sinken wieder. Sie befinden sich seit 2007, als begonnen wurde, die Geldflüsse systematisch zu erfassen, derzeit auf einem Tiefpunkt. Einzige Ausnahme: 2014 wurden 165 Millionen US-Dollar zusätzlich für die Ebola-Forschung bereitgestellt.

Deutschland engagiert sich bisher wenig, obwohl es eine bereits über 100 Jahre lange Tradition tropenmedizinischer Forschung hat. Neue Partnerschaften zur Entwicklung geeigneter Medikamente wurden erstmals 2011 mit einer eher symbolischen Summe von 20 Millionen Euro von der Bundesregierung unterstützt. Immerhin: 2015 wurde beschlossen, die Förderung auszubauen, und die Wissenschaftsministerien der führenden Industrienationen haben auf dem G-7-Gipfel angekündigt, die Forschung besser untereinander abzustimmen und stärker zu unterstützen.10

Memento-Preis

Diesen politischen Ankündigungen müssen Taten folgen. Um die Problematik in Deutschland öffentlich bewusst zu machen, verleiht ein Bündnis entwicklungspolitischer Organisationen seit 2014 jährlich den Memento-Preis. Träger dieser Aktion sind Brot für die Welt, Ärzte ohne Grenzen, die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe sowie die BUKO Pharma-Kampagne. Ausgezeichnet werden alljährlich Wissenschaftler, Politiker und Journalisten, die vernachlässigte Krankheiten zum öffentlichen Thema gemacht haben.

 

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2016 / S.04