Warum Impfen?
Viele Infektionskrankheiten werden von Viren übertragen. Gegen diesen Typ von Krankheitserregern helfen keine Antibiotika, denn die sind nur gegen Bakterien wirksam. Der beste Schutz gegen Viren sind Impfungen. Manche Eltern tun sich schwer mit der Entscheidung, ihr Kind impfen zu lassen, zum Beispiel gegen Masern. Vereinzelt sind auch Ärzte aus unterschiedlichen Gründen vom Impfen nicht überzeugt. Es spricht aber viel dafür, gegen Masern zu impfen.
Wer vor 50 Jahren aufwuchs, erkrankte mit hoher Wahrscheinlichkeit früher oder später an Masern. Das bedeutete fast immer: hohes Fieber, Husten, Bindehautentzündung und ein rötlicher Hautausschlag am ganzen Körper. Diese äußerlichen Anzeichen der Erkrankung beruhen auf einer enormen Vermehrung von Masernviren im Körper. Mit allen Mitteln versucht die körpereigene Abwehr mit dem Erreger fertig zu werden. Auch Lungen- und Mittelohrentzündung kommen im Rahmen einer Masernerkrankung vor, weil das Immunsystem durch die Attacke der Masernviren geschwächt ist.
Meistens halten starke Beschwerden etwa eine Woche an. Dann sollte die Immunabwehr die Viren weitgehend im Griff haben, obwohl der Patient danach noch nicht wieder ganz gesund ist. Manchmal entwischen Masernviren allerdings der körpereigenen Abwehr und gelangen ins Gehirn. Dort können sie eine Gehirnentzündung (Enzephalitis) verursachen, die schlimmstenfalls – aber zum Glück selten – tödlich verläuft. Als äußerst seltene Spätkomplikation droht noch eine verzögerte Gehirnentzündung. Sie zeigt sich erst sechs bis acht Jahre nach einer Masernerkrankung und führt in der Regel zum Tod.
Soweit das Szenario, das mit seinen mehr oder minder schweren Verläufen früher an der Tagesordnung war. Es könnte bei uns längst der Vergangenheit angehören, wenn alle Kinder gegen Masern geimpft wären. Denn seit 1960 gibt es einen Impfstoff, der seit 1967 auch bei uns erhältlich ist.1 Dennoch hat das Robert Koch-Institut (RKI) mehr als 1.700 Masernkranke im letzten Jahr (2013) registriert.2 Zu viele, wo doch eigentlich schon 2007 die Masern in Deutschland und ganz Europa besiegt sein sollten.
Masern ohne Ende?
Die Staaten in Nord-, Mittel- und Südamerika gelten als masernfrei.3 Auch in Skandinavien und einigen osteuropäischen Staaten war die flächendeckende Impfung erfolgreich.4 Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) möchte erreichen, dass alle Menschen vor Masern5 durch Impfen geschützt sind. Denn: Wer geimpft ist, erkrankt in der Regel selbst nicht und steckt vor allem auch andere nicht an.
Doch in Deutschland geht der Plan der WHO nicht auf. Obwohl die Impfung von jeder Krankenkasse bezahlt wird, sind nicht genug Menschen geimpft. Denn um die Übertragung der Masern zu unterbrechen, müssten 95 von 100 Kindern die beiden notwendigen Impfungen haben. Warum schaffen wir das nicht?
Manchmal ängstigen sich Eltern vor den unerwünschten Wirkungen des Impfstoffs oder sie halten Masern für eine normale Kinderkrankheit (siehe unten).6 Und in manchen Regionen ist eine Impfabneigung aus weltanschaulichen Gründen verbreitet. Obwohl dazu die Belege fehlen,7 meinen bestimmte Bevölkerungskreise – die beispielsweise der anthroposophischen Medizin oder der Homöopathie zugetan sind –, dass es für die Entwicklung der Kinder gut ist, die Masern einmal durchzumachen.
Doch Masern sind kein Kinderspiel. Der Begriff „Kinderkrankheit“ verharmlost das Geschehen und ist schief. Dass die Infektion in der Regel Kinder erwischt, hat einen einfachen Grund und der macht sie nicht ungefährlich: Der Schutz vor Krankheitskeimen durch Antikörper von der Mutter, mit dem ein Baby auf die Welt kommt, sinkt im Verlauf der ersten Lebensmonate. Von da an schlagen Krankheitserreger ungebremst zu, und das kindliche Immunsystem muss sich selbst ihrer erwehren.
Wann impfen?
Kinder werden möglichst früh gegen verschiedene Infektionskrankheiten geimpft, etwa gegen Kinderlähmung schon im 2. Lebensmonat. Die Masernimpfung erfolgt um den ersten Geburtstag herum. Wenige Monate danach steht die zweite Masernimpfung auf dem Plan. Mit dieser soll erreicht werden, dass auch Kinder geschützt sind, deren Immunsystem bei der ersten Impfung möglicherweise nicht ausreichend reagiert hat. Denn reagieren muss es (siehe unten). Man kalkuliert heute, dass nach der ersten Impfung etwa 90 von 100 Kinder geschützt sind, nach der zweiten sollen es mindestens 95 von 100 sein. Das ist ein erfreulich hoher Schutzeffekt bei einer Erkrankung, die hochgradig ansteckend, unangenehm und gefährlich ist.
Natürliche Basis des Impfens
Schutzimpfungen funktionieren, weil das Abwehrsystem des Körpers ein Gedächtnis besitzt. Hat es einmal einen Krankheitserreger niedergerungen, verfügt es über Mechanismen, die unverzüglich eine energische Abwehrreaktion einleiten, wenn derselbe Erreger – etwa das Masernvirus – erneut im Körper auftaucht. Das hemmt seine rasche Vermehrung und verhindert, dass wir erneut an ihm erkranken. Normalerweise bemerken wir dieses Niederkämpfen von Viren und anderen Erregern, an die sich unser Immunsystem erinnert, gar nicht. Darum: Wer einmal Masern hatte, bekommt Masern nicht ein zweites Mal. Auch wenn erneut Viren auf feinsten Tröpfchen mit der Atemluft in seinen Mund oder die Nase geraten (Tröpfcheninfektion).
Der Trick mit dem Impfstoff
Impfstoffe arbeiten mit der „Gedächtnisleistung“ der körpereigenen Abwehr. Die Hersteller verwenden dazu jedoch Viren – oder je nach Erkrankung auch andere Erreger – in einer ungefährlicheren Form. Bei manchen Impfstoffen sind die Viren abgetötet oder enthalten nur wenige Bestandteile des Virus. Im Masernimpfstoff sind die Viren abgeschwächt. Sie können zwar an ihre typischen Zielzellen in unserem Körper andocken, aber sie kapern anschließend nicht jene Zellfunktionen ihres Wirtes, die für eine starke Virusvermehrung sorgen. Durch den Andockprozess lernt das Immunsystem allerdings die Oberfläche des Masernerregers kennen und wird ihn mit Hilfe von Abwehrzellen und Antikörpern bekämpfen. Taucht nach erfolgreicher Impfung später ein „echtes“ Masernvirus auf, kann die körpereigene Abwehr den Erreger sofort attackieren. Sie erinnert seine Oberfläche, mit der er andocken „will“, und die Waffen sind bereits geschärft: Abwehrzellen stehen bereit und die Antikörperproduktion läuft zügig an.
Nach einer Impfung mit abgeschwächten Masernviren machen uns die Maserviren in der Umwelt daher üblicherweise nichts mehr aus. Doch auch die Impfung selbst ist kein Kinderspiel. Das Abwehrsystem ist ordentlich gefordert, manchmal kommt es zu masernartigen Krankheitszeichen, etwa Fieber oder einem leichten Hautausschlag. Der Impfling sollte sich schonen dürfen, Eltern besonders fürsorglich sein.
Unerwünschte Wirkungen
Wie schon erwähnt, wird das Immunsystem mit dem Masernimpfstoff ordentlich herausgefordert. Auf die Portion abgeschwächter Viren reagiert allerdings jeder Körper individuell: Dem einen Kind merkt man nichts an, während ein anderes eine Rötung oder deutliche Schwellung an der Einstichstelle bekommt. Ein weiterer Impfling leidet vielleicht unter Durchfall oder entwickelt Fieber. Selten treten nach einigen Tagen gleich mehrere typische Beschwerden von Masern auf. Aber diese so genannte Impfkrankheit ist meist schwach im Vergleich zu einer richtigen Masernerkrankung.
Was das Impfen angeht, gibt es viele Fragen. Wir werden darum in den kommenden Ausgaben von GPSP auf weitere Themen eingehen: den Sinn von Mehrfachimpfungen, Impfstoffherstellung, Meldesystem für unerwünschte Wirkungen und vieles mehr.
Stand: 1. Februar 2014 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2014 / S.23