Zum Inhalt springen
© NeilLockhart/ iStockphoto.com

Viele Risiken, wenig Nutzen: Tofacitinib

Therapie mit Entzündungshemmer bedenklich

Der Wirkstoff Tofacitinib wird seit einigen Jahren bei entzündlichen Krankheiten wie rheumatoider Arthritis, Psoriasis-Arthritis oder der Darmerkrankung Colitis ulcerosa eingesetzt. Ob er tatsächlich viel nützt, ist umstritten. Allerdings gibt es schon seit Längerem Sicherheitsbedenken, zuletzt die Warnung vor einem erhöhten Krebsrisiko.

Dass wir bei neuen Arzneimitteln zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht alles über ihre Risiken wissen können, ist bekannt. Deshalb werden die Mittel auch im Alltagseinsatz weiter überwacht. Und dann stellt sich mit zunehmenden Erkenntnissen die Bilanz von Nutzen und Schaden manchmal nicht mehr so positiv dar. Aktuellster Fall: der Entzündungshemmer Tofacitinib.

Holpriger Start

Dieser Wirkstoff hat schon eine etwas längere Vorgeschichte: Eigentlich wollte der Anbieter das Arzneimittel gegen rheumatoide Arthritis bereits 2013 auf den Markt bringen. Die europäische Zulassungsbehörde EMA lehnte das aber zunächst ab. Der Grund: In den damals vorliegenden Studien gab es Hinweise darauf, dass während der Behandlung schwerwiegende Infektionen auftreten können. Dass tatsächlich der Wirkstoff dafür verantwortlich ist, ist zumindest plausibel, da er das Immunsystem ausbremst (è Kasten Januskinase-Hemmer). Außerdem zeigten sich zahlreiche weitere unerwünschte Effekte, bei denen es unsicher war, ob sie medizinisch gut zu behandeln sind. Weil es unklar war, welche echten Vorteile das Mittel denn nun bringt, entschied die EMA zunächst gegen eine Zulassung: Die Risiken wogen schwerer als der Nutzen.1

Neuer Versuch

Der Hersteller führte anschließend weitere Studien durch und konnte so zusätzliche Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit vorlegen. Diese Ergebnisse brachten schließlich die EMA dazu, ihre Einschätzung zu ändern: Tofacitinib wurde 2017 als Mittel bei rheumatoider Arthritis zugelassen – allerdings nur, wenn ein oder mehrere andere entzündungshemmende Medikamente nicht ausreichend geholfen oder Patient:innen diese nicht vertragen hatten. Seit 2018 kann Tofacitinib auch Menschen mit Psoriasis-Arthritis oder der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa verschrieben werden.

Schlag auf Schlag

Allerdings zeigte sich schon schnell, dass es mit Tofacitinib zu ernsthaften Gesundheitsproblemen kommen kann: So warnte der Anbieter auf Veranlassung der Behörden 2019 und 2020 davor, dass bei höherer Dosierung das Risiko für Blutgerinnsel in der Lunge (Lungenembolie) und an anderen Stellen im Körper steigen kann. Auch fielen bei älteren Patient:innen schwere Infektionen auf. Die Dosis von Tofacitinib wurde in den meisten Anwendungsgebieten beschränkt, Menschen ab 65 Jahren sollen den Wirkstoff nur dann einnehmen, wenn es keine geeignete Alternative gibt. Bei einem erhöhten Risiko für Blutgerinnsel in der Lunge darf Tofacitinib nicht verschrieben werden.2

Mehr Krebs und Herzinfarkte?

Aktuell informieren der Anbieter und die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA über vorläufige Ergebnisse einer neuen Sicherheitsstudie, die 2014 begann:3 An ihr nehmen mehr als 4.000 Patient:innen mit rheumatoider Arthritis teil. Danach erkrankten während der Behandlung mit Tofacitinib rund 4 von 100 Teilnehmenden an Krebs, mit einem anderen Rheuma-Medikament4 waren es nur rund 3 von 100. Auch wurden mit Tofacitinib mehr Herzinfarkte verzeichnet, hier war der Unterschied allerdings nicht eindeutig. Ob auch Lungenembolien zunehmen und die Sterblichkeit insgesamt steigt, ist bislang unklar. Dafür müssen noch die endgültigen Studienergebnisse abgewartet werden.

Beunruhigend sind die Ergebnisse vor allem deshalb, weil sie zu bisherigen Verdachtsmomenten passen: So entstehen Herzinfarkte durch Blutgerinnsel in den Herzkranzgefäßen – und dass mit Tofacitinib mehr Blutgerinnsel entstehen können, war bereits bekannt (wie zuvor erwähnt). Hinweise auf mögliche häufigere Krebserkrankungen gab es bereits zum Zeitpunkt der Zulassung, allerdings waren sie damals nicht eindeutig. Aktuell warnt die Packungsbeilage deshalb nur Menschen, die bereits zuvor an Krebs erkrankt waren oder ein hohes Risiko für Hautkrebs haben.5 Die FDA und die EMA werten die Studienergebnisse derzeit weiter aus. Ende März hat auch die EMA als Warnung europaweit einen Rote-Hand-Brief verschickt.

Was nützt Tofacitinib?

Die neuen Sicherheitserkenntnisse zu Tofacitinib wiegen deshalb besonders schwer, weil das Arzneimittel im Vergleich zu anderen Optionen für die meisten Patient:innen keinen Mehrwert bietet: Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung wurde Tofacitinib in den Anwendungsgebieten rheumatoide Arthritis und Colitis ulcerosa bei keiner Patientengruppe ein Zusatznutzen zuerkannt. Lediglich bei einigen Patient:innen mit Psoriasis-Arthritis fand sich ein Hinweis für einen geringen Zusatznutzen.6 Diesen Menschen hatte eine andere Behandlung (krankheitsmodifizierende antirheumatische Therapie, DMARD, etwa mit Methotrexat) nicht ausreichend geholfen beziehungsweise sie vertrugen sie nicht. Das arznei-telegramm®, eine unserer Mutterzeitschriften, stuft Tofacitinib deshalb als „umstrittenes Therapieprinzip“ ein.7

Was tun?

Nach den Hinweisen der FDA ist es nicht ratsam, Tofacitinib auf eigene Faust abzusetzen. Das arznei-telegramm® empfiehlt, der­zeit keine neuen Behandlungen mit Tofacitinib zu beginnen. Wer das Arzneimittel aktuell einnimmt, kann im Gespräch mit Arzt oder Ärztin klären, ob eine Umstellung auf ein anderes Medikament sinnvoll ist. Für Patient:innen, die weiter mit Tofacitinib behandelt werden, steht ein Patientenpass zur Verfügung, der wichtige Hinweise zu möglichen Warnzeichen von unerwünschten Ereignissen wie Infektionen oder Blutgerinnsel gibt.8 Wie es mit der Zulassung von Tofacitinib weitergeht, bleibt abzuwarten.

Überwachung von Nebenwirkungen
GPSP 5/2016, S. 19

Rheuma
GPSP 2/2018, S. 10

Methotrexat
GPSP 1/2019, S. 10

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2021 / S.26