Schlaganfall & Co. – Plötzlich pflegebedürftig
Was Angehörige für die Organisation der Pflege wissen müssen
Menschen können von heute auf morgen pflegebedürftig werden. Ein schwerer Sturz, ein Schlaganfall – und plötzlich ist alles anders. Angehörige müssen dann in kurzer Zeit viele Entscheidungen treffen, um die weitere Versorgung zu organisieren. Sieben wichtige Fragen und Antworten im Überblick.
Wie bekomme ich eine realistische Einschätzung über den künftigen Pflegebedarf?
Zur Krankheit selbst, wie sie weiter verläuft und den typischen Einschränkungen informieren die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Pflegekräfte sind die richtigen Ansprechpartner:innen, um den Pflegebedarf einzuschätzen. Lassen Sie sich erklären, welche Tätigkeiten Ihr Angehöriger weiterhin alleine übernehmen kann und wobei er künftig Unterstützung braucht. Therapeut:innen aus der Krankengymnastik, der Logotherapie oder der Ergotherapie haben viel Erfahrung, wie etwa nach einem Schlaganfall die Therapien Patient:innen helfen können, Probleme mit dem Gehen, Sprechen oder dem selbstständigen Essen zu überwinden.
Was muss ich als Erstes tun?
Ist absehbar, dass ein Angehöriger dauerhaft auf Pflege angewiesen sein wird, sollten Sie sich sofort an seine Pflegekasse wenden. Die Pflegekasse ist immer bei der gesetzlichen Krankenkasse angesiedelt. Wer bei der AOK krankenversichert ist, muss sich also an die AOK Pflegekasse wenden, Techniker-Versicherte an die Techniker Pflegekasse. Die Pflegeversicherung zahlt nicht automatisch, alle Leistungen müssen beantragt werden. Je schneller das passiert, desto besser, denn umso früher fließt Geld. Als Antrag reicht zunächst ein formloses Schreiben des Pflegebedürftigen oder seines Bevollmächtigten. Dazu ist es wichtig, eine Vorsorgevollmacht zu haben. In einer Vorsorgevollmacht benennt man eine Vertrauensperson und überträgt ihr das Recht, die eigenen gesundheitlichen, finanziellen oder rechtlichen Angelegenheiten zu regeln. Nachdem der Antrag auf Pflegeleistungen bei der Kasse eingegangen ist, schickt sie ein Formular zu.
Bekommt jeder Mensch, der auf Pflege angewiesen ist, Leistungen der Pflegeversicherung?
Nein, die Pflegekasse zahlt nur, wenn der Hilfebedarf dauerhaft besteht, das heißt für voraussichtlich mindestens sechs Monate. Außerdem muss der Antragsteller in den vergangenen zehn Jahren zwei Jahre oder mehr in die soziale Pflegeversicherung eingezahlt haben oder familienversichert gewesen sein. Und schließlich muss eine Pflegebedürftigkeit vorliegen. Ob das der Fall ist, wird in einem aufwendigen Verfahren geprüft, der sogenannten Begutachtung. Dafür kommt ein Gutachter des Medizinischen Dienstes zur pflegebedürftigen Person nach Hause und prüft den Grad der Selbstständigkeit, also die Frage, wie eigenständig sie ihr Leben führen kann.1 Daran bemisst sich der Pflegegrad. Menschen mit Pflegegrad 1 erhalten lediglich Basisleistungen wie den Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro. Nur wer mindestens Pflegegrad 2 zugesprochen bekommt, hat Anspruch auf alle Leistungen der Pflegeversicherung. Wichtig: Die Pflegeversicherung deckt nur einen Teil der anfallenden Kosten. Den Rest müssen Pflegebedürftige aus eigener Tasche bezahlen.
Das klingt kompliziert. Wer berät mich zu diesen Fragen?
Geht ein Antrag auf Pflegeleistungen ein, müssen die Pflegekassen innerhalb von zwei Wochen einen Termin für eine kostenlose Pflegeberatung anbieten und eine individuelle Ansprechpartnerin benennen. So soll gewährleistet werden, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen schnell Hilfe bekommen. Für Sie wichtig zu wissen: Pflegeberater:innen müssen auf Wunsch einen individuellen Versorgungsplan erstellen. Dazu gehört, dass sie den Unterstützungsbedarf ermitteln und bei der praktischen Organisation – zum Beispiel der Suche nach einem Pflegedienst oder einer Tagespflege – helfen. Die Pflegeberatung kann einen einzelnen Termin umfassen oder sich über Monate erstrecken – je nachdem, wie aufwendig die Versorgung ist. Bisher wird die Pflegeberatung zu wenig in Anspruch genommen. Fragen Sie unbedingt nach und verweisen Sie auf Ihr Recht!
Hilfe und Unterstützung bekommen Sie auch bei den Pflegestützpunkten. Die Mitarbeitenden informieren zu Leistungen der Pflege- und der Krankenkasse, helfen bei der Antragstellung und haben Kontakte zu Unterstützungsangeboten vor Ort. Die Beratung ist für gesetzlich Krankenversicherte kostenlos.
Mein Angehöriger wird aus dem Krankenhaus entlassen, kann aber noch nicht nach Hause. Was tun?
Sprechen Sie unbedingt mit dem Sozialdienst oder der Pflegeüberleitung im Krankenhaus. Die Mitarbeiter:innen müssen bei der Organisation helfen. Eventuell kann Ihr Angehöriger über eine Anschlussheilbehandlung nahtlos in einer Reha-Klinik versorgt werden. Oder der Sozialdienst kümmert sich um einen Platz in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung, die zunächst die Versorgung übernimmt. Die Kranken- oder die Pflegekasse beteiligen sich an den Kosten. Klappt das alles nicht, gibt es ein Recht auf bis zu zehn Tage Pflege im Krankenhaus. Dieser Anspruch auf Übergangspflege ist noch neu. Das Krankenhaus rechnet direkt mit der Krankenkasse ab.
Ich bin berufstätig. Kann ich mich für die Organisation der Pflege freistellen lassen?
Ja, Sie können einmalig für zehn Tage der Arbeit2 fernbleiben, um eine Pflege zu organisieren. Die sogenannte Kurzzeitige Arbeitsverhinderung steht allen Beschäftigten zu, wenn ein Angehöriger akut pflegebedürftig wird. Ein Anruf beim Arbeitgeber genügt, eventuell müssen Sie eine Bescheinigung des Arztes über die voraussichtliche Pflegebedürftigkeit nachreichen. Die zehn Tage Auszeit müssen nicht am Stück genommen werden. Sie können zum Beispiel erst mal fünf Tage zu Hause bleiben und später die restlichen Tage nutzen. Während der Freistellung haben Sie Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung, das Pflegeunterstützungsgeld. Es muss bei der Pflegekasse des Pflegebedürftigen beantragt werden.
Wer mehr Zeit braucht, kann eine (Familien)-Pflegezeit nehmen und sechs Monate ganz zu Hause bleiben oder die Arbeitszeit für bis zu zwei Jahre reduzieren. Diese Pflegezeiten stehen aber nur Beschäftigten in Unternehmen mit mehr als 15 beziehungsweise 25 Mitarbeiter:innen zu und müssen beantragt werden. Das Hauptproblem: Es gibt in dieser Zeit keine Lohnfortzahlung. Sie können zwar ein zinsloses Darlehen beantragen, müssen das Geld aber nach der (Familien-)Pflegezeit zurückzahlen.
Wie finde ich einen Pflegedienst und was kostet mich das?
Die Pflegekassen haben für die Suche Online-Datenbanken wie den Pflegen-Navigator (AOK) oder den Pflegefinder (BKK) aufgesetzt. Sie sind außerdem verpflichtet, Listen mit Pflegediensten in der Nähe zur Verfügung zu stellen. Pflegestützpunkte oder kommunale Beratungsstellen wissen in der Regel, welche Pflegedienste auf bestimmte Krankheitsbilder spezialisiert sind. Leider fehlen überall Pflegekräfte. In manchen Regionen ist es deshalb schwierig, einen Pflegedienst zu finden, der neue Kund:innen annimmt. Lassen Sie sich von der Pflegekasse helfen, wenn Sie nicht weiterkommen.
Ambulante Pflegedienste rechnen in der Regel nach sogenannten Leistungskomplexen oder Modulen ab. Sie buchen also bestimmte Tätigkeiten wie die Ganzwaschung. Die Pflegeversicherung beteiligt sich über die Pflegesachleistungen an den Kosten. Die Höhe des Betrags richtet sich nach dem Pflegegrad. Für eine umfassende Hilfe reicht das Geld in aller Regel nicht aus. Deshalb ist es wichtig zu überlegen, welche Tätigkeiten Profis übernehmen sollen, bei welchen Aufgaben die Familie unterstützt und wie viel Hilfe privat bezahlt werden kann. Auch hier gilt: Lassen Sie sich beraten.
Stand: 3. Februar 2022 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2022 / S.19