Opioide nicht immer gute Wahl
Bei welchen starken Schmerzen sind sie sinnvoll?
Bei einer Operation oder Krebserkrankung helfen Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide sehr gut. Zunehmend verordnen Ärzte sie auch gegen viele andere chronische Schmerzen. Wir beschreiben, wann das sinnvoll sein kann, wann Zurückhaltung angebracht ist, und was Ärzte, Patienten und ihre Angehörigen bedenken sollten.
Opioide werden seit Langem bei starken akuten Schmerzen durch Verletzungen und Operationen sowie bei chronischen Schmerzen durch eine Krebserkrankung verordnet. Vor allem bei chronischen Tumorschmerzen wurden diese potenten Medikamente in Deutschland lange zu sparsam verschrieben, zum Leidwesen der Patienten. In den letzten 10 Jahren hat sich das geändert: Die Verordnungen nach Tagesdosen stiegen um knapp die Hälfte.1 Gleichzeitig weitete sich aber auch der Einsatzbereich aus.
Für immer mehr Erkrankungen?
Vor allem chronische Rückenschmerzen oder Verschleißerkrankungen des Bewegungsapparates (Arthrose) und Osteoporose behandeln Ärzte heute oft mit Opioiden. Nicht immer ist das gerechtfertigt. Grundsätzlich sollte versucht werden, die Schmerzen zunächst ohne Opioide zu behandeln. Für einige Erkrankungen sind sie ungeeignet, weil sie nicht oder kaum wirksam sind und der Schaden überwiegt – etwa bei Kopfschmerzen (siehe S. 5).
Eine Option
Bei chronischen Arthroseschmerzen können Opioide eine Therapieoption für zunächst 4 bis 12 Wochen sein, wenn andere Arzneimittel keine ausreichende Linderung bringen. Das gleiche gilt bei chronischen Nervenschmerzen durch Diabetes oder nach einer Gürtelrose. Vergleichsstudien mit Placebo belegen hier eine gewisse Wirksamkeit.2
Arthroseschmerzen: Übliche Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Naproxen – aus der Gruppe der so genannten nicht-steroidalen Antirheumatika – lindern Schmerzen oft mehr als Opioide. Auch angesichts ihrer Risiken (siehe Kasten) sollten Opioide nur ausnahmsweise und eher nicht in frühen Stadien der Erkrankung genommen werden.
Rückenschmerzen: Opioide wirken weniger gut als andere Schmerzmittel. Aber Arzneimittel sind hier meist sowieso nicht die richtige Therapie. Mit medizinischem Körpertraining (Rückenschule) lassen sich bessere Ergebnisse erzielen – und das Training ist praktisch unschädlich. Opioide sollten darum die Ausnahme sein.
Nervenschmerzen: Diabetikern mit so genannten neuropathischen Schmerzen geht es manchmal besser, wenn sie ein Opioid einnehmen, sofern sie andere Schmerzmittel nicht gut vertragen. In der Wirksamkeit sind Opioide aber nicht überlegen.
Bei Schmerzen nach einer Gürtelrose (Postzosterneuralgie) wirken Opioide ebenfalls nicht besser als andere Analgetika.
Bei anderen Nervenschmerzen überzeugt der Nutzen von Opioiden nicht. Es gibt zu wenige verlässliche Studien.
Über viele Monate?
Nur wenn in den ersten Wochen der Behandlung mit Opioiden Schmerzen oder körperliche Beeinträchtigungen merklich nachlassen und keine relevanten Nebenwirkungen auftreten, macht eine längerfristige Behandlung Sinn. Vertretbar ist diese Therapie am ehesten bei chronischen Schmerzen durch Arthrose, diabetische Polyneuropathie und Postzosterneuralgie. Die Studien zu diesen Erkrankungen sind allerdings unbefriedigend, weil es keine Vergleiche mit Placebo gibt. Der vermeintliche Nutzen kann also ebenso auf einer spontanen Besserung beruhen. Dann wären die Opioide möglicherweise gar nicht nötig gewesen.3
Patienten, denen die Opioide nützen und die sie darum länger als 12 Wochen verordnet bekommen, sollten in Absprache mit dem Arzt oder der Ärztin spätestens nach sechs Monaten eine Behandlungspause einlegen. Nur so kann man prüfen, ob das Mittel noch benötigt wird.
Manchmal keine Option!
Chronische Kopfschmerzen bessern sich durch Opioide nicht. Diese können den Kopfschmerz sogar verstärken, vor allem, wenn Abhängigkeit entsteht und die Dosis gesteigert wird.
Auch bei Muskelschmerzen (Fibromyalgie) bringen Opioide keine nennenswerte Besserung. Und bei Schmerzen durch chronisch entzündliche Darmerkrankungen sind sie fragwürdig und bestenfalls kurzfristig zu rechtfertigen. Bei einer längerfristigen Behandlung wiegt der Nutzen die Risiken der Therapie nicht auf.
Auch bei einer chronischen Entzündung der Bauchspeicheldrüse (Pankreatitis), die sehr schmerzhaft sein kann, sind Opioide wahrscheinlich unwirksam (anders als beim akuten Schub, wo sie helfen).
Rasch oder länger wirkend?
Speziell bei starken Opioiden unterscheidet man Präparate, die rasch, also akut wirken, und solche, die verzögert wirken. Akutpräparate sollen den Schmerz schnell stoppen. Retardpräparate hingegen setzen ihren Wirkstoff nach und nach frei, um so den Schmerz möglichst dauerhaft zu unterdrücken. Letztere werden in der Regel zweimal täglich eingenommen.
Eine Sonderform sind Pflaster mit dem synthetischen Opioid Fentanyl: Dieser Wirkstoff gelangt über die Haut (transdermal) in den Körper. Solche Pflaster sind in der Regel alle drei Tage auszuwechseln.
Je länger die Wirkung andauert (medizinisch: je länger die Halbwertszeit ist), umso weniger konstant ist die Wirksamkeit. Ein Nachteil von Retardpräparaten, insbesondere in Form von Pflastern: Bei höherem Schmerzmittelbedarf lässt sich die Wirksamkeit nicht ohne Weiteres erhöhen, im Fall von unerwünschten Wirkungen kann die Wirkstoffaufnahme nicht zügig gestoppt werden.
Morphin gilt als beste Wahl (Goldstandard)1 unter den verschiedenen Opioiden. Dennoch ging in den letzten 20 Jahren sein Anteil an den Opioidverordnungen von über 60% auf nur noch um 10% zurück. Fentanyl hingegen, überwiegend als Pflaster verordnet, macht inzwischen etwa 40% der Verordnungen aus. Pflaster sind jedoch nur selten wirklich von Vorteil, etwa wenn ein Patient oder eine Patientin wegen Schluckstörungen, eines Tumors oder einer Operation im Halsbereich keine Tabletten einnehmen kann. Auch bei Vergesslichen kann ein Opioidpflaster von Vorteil sein.
Aber: Fentanylpflaster werden von Ärzten offenbar vorschnell verordnet. Als die Pflaster auf den Markt kamen, hatten 85% der Patienten vorher noch keine Opioidtabletten erhalten, die im Vergleich zu Pflastern besser steuerbar sind. Bei 3 von 4 dieser Patienten, war nicht nachvollziehbar, warum sie sofort ein Pflaster statt Tabletten bekommen hatten.4
Ein weiteres Problem ist, dass Kinder sich mit herumliegenden, auch benutzten, Pflastern vergiften können (GPSP 3/2012, S. 6). Und bekanntlich werden Fentanylpflaster in der Drogenszene ausgekocht. Todesfälle sind bekannt.
Viel Geld im Spiel
Während die mittlere Tagesdosis (DDD) eines normalen Morphinpräparates rund 3 € kostet, sind es beim Fentanylpflaster etwa 4 €. Der scheinbar geringe Unterschied summiert sich bei 58,4 Millionen Fentanyl-Tagesdosen allerdings zu jährlichen Mehrkosten von mindestens 50 Millionen €. Opioide wie Buprenorphin oder Hydromorphon kosten ebenfalls deutlich mehr als Morphin, nämlich im Schnitt über 7 € am Tag. Bei jährlich zirka 140 Millionen Opioid-Tagesdosen ergibt das ein gewaltiges Umsatzplus für die Pharmaindustrie, das wir alle über die Krankenversicherung bezahlen.
Kein einfaches Rezept
Weil Opioide auch als Suchtmittel konsumiert werden, unterliegen sie dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Zu ihrer Verordnung muss der Arzt oder die Ärztin ein amtliches Rezept ausfüllen. Wer Opioide einnimmt, muss beachten, dass er insbesondere in der Einstellungsphase – aber auch wenn die Dosis geändert oder das Mittel abgesetzt wird – nur eingeschränkt fahrtüchtig ist und bei der Arbeit keine Maschinen bedienen darf (GPSP 2/2010, S. 3). Bei Auslandsreisen sollten Patienten einen ärztlichen Opioidausweis dabei haben (GPSP 1/2015, S. 14).5
Was ist wichtig?
Manche Schmerzen lassen sich mit den stark wirksamen Opioiden gut lindern. Aber sie helfen eben nicht bei allen Schmerzen. Wegen ihrer starken unerwünschten Wirkungen sollten sie nur gezielt verordnet werden. Bei längerer Anwendung müssen Ärzte ihre Patienten gut begleiten und engmaschig überwachen, ob Nutzen und Schaden in einem günstigen Verhältnis stehen.
Starke Schmerzen GPSP 2/2013, S. 3
Stand: 1. Juni 2017 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2016 / S.04