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Wenn Schwindel krank macht

Nach einem flotten Wiener Walzer oder einer wilden Karussellfahrt ist Drehschwindel normal und kein Anlass zur Sorge, auch nicht wenn einem übel wird. Aber es gibt Schwindelattacken, die kaum auszuhalten sind, nicht so bald von selbst vergehen oder immer wiederkommen. Manche können gut behandelt werden, ganz ohne Medikamente. Andere nicht.

GPSP: Warum spielt unser Gleichgewichtssinn manchmal verrückt?

Hüfner: Das hat verschiedene Gründe. Damit wir im Gleichgewicht sind, also gerade stehen und gehen, arbeiten mehrere Sinne zusammen. Die Augen informieren über waagerechte und senkrechte Linien, die Tastsinneszellen der Fußsohlen erfühlen, wie wir stehen. Und in den Gelenken registrieren Sinneszellen, ob sie gestreckt, gebeugt, gedreht sind. Sie kontrollieren also unsere Haltung. Diese Informationen werden im Gehirn verrechnet – mit Meldungen aus dem eigentlichen Gleichgewichtsorgan im Innenohr. Und leider kommt es vor, dass die Meldungen nicht zusammenpassen. Dann empfinden wir Schwindel.

Und wann macht er krank?

Häufig liegt es daran, dass sich kleine Kalziumkarbonatkristalle, wir können sie einfach „Steinchen“ nennen, in die Bogengänge des Gleichgewichtsorgans „verirren“ und dort bei Kopfbewegungen hin- und hergleiten (siehe Kasten und Abbildung). Sie melden Bewegungen, die gar nicht stattgefunden haben. Das Gehirn reagiert darauf, obwohl die anderen Sinnesorgane keine Drehung bemerkt haben.

Also entsteht dieser Drehschwindel aus dem Durcheinander von Falschmeldungen, nicht zueinander passenden Informationen und Kompensationsbemühungen des Gehirns?

So könnte man es ausdrücken. Wir sprechen hier vom gutartigen Lagerungsschwindel, der zum Glück gut zu behandeln ist.

Aber wie kommt es dazu?

Oft überfällt er einen morgens beim Hochkommen im Bett. Die Steinchen können sich lösen, wenn man sich den Kopf gestoßen hatte, an der Autoklappe oder am Tisch. Auch längere Bettlägerigkeit kann Schuld sein. Doch oft kennen wir die Ursache nicht. Klar ist, dass das Risiko mit dem Alter zunimmt.

Und wie entsteht die Übelkeit?

Dadurch, dass Zentren für Übelkeit und Gleichgewicht im Stammhirn benachbart und durch Nervenbahnen verbunden sind.

Sie sagten, der gutartige Lagerungsschwindel sei gut zu behandeln?

Ja. Es gibt verschiedene wirksame Methoden, um die Steinchen dorthin zu befördern, wo sie nicht stören.1 Man muss es aber richtig machen. Oft reicht es, wenn der Arzt in der Sprechstunde zwei- oder dreimal ein bestimmtes Lagerungsmanöver mit vorgeschriebenen Kopf- und Körperhaltungen durchführt. Man kann das im Prinzip alleine durchführen, denn es gibt Abbildungen2 und auch Videos3 im Internet, außerdem in Ratgebern. Oder ein Krankengymnast hilft.

Wird einem nicht übel dabei?

Notfalls empfehlen wir vorher ein Mittel gegen Übelkeit einzunehmen.

Nicht immer sind verrutschte Steinchen das Problem.

Richtig. Anhaltender Schwindel entsteht etwa, wenn der Vestibularisnerv des Gleichgewichtsorgans entzündet ist. Häufig sind die ansonsten meist harmlosen Herpesviren, die sich in Nervenzellen verbergen können, die Ursache. Sie können plötzlich den Vestibularisnerv attackieren.

Und dann?

Es helfen keine Virusmittel, aber Kortison lässt den Nerv abschwellen und meist braucht man ein Medikament gegen die Übelkeit. Anders als beim Lagerungsschwindel können die Beschwerden tagelang am Stück anhalten. Dennoch sollte man sich möglichst bewegen.

Beim Thema Schwindel fällt immer wieder der Begriff Menièresche Krankheit. Was hat es damit auf sich?

Diese Erkrankung betrifft die Bogengänge unmittelbar. Wir wissen nicht ganz genau, was sich abspielt, aber vermutlich geschieht Folgendes: Aus irgendeinem Grund bildet sich zuviel Endolymphe (siehe Kasten) und der Schlauch in den Bogengängen reißt. Dadurch vermischen sich unterschiedliche Flüssigkeiten. Die Nervenzellen werden gereizt und im Innenohr entstehen Fehlinformationen. Wer Morbus Menière hat, klagt meist auch über Hörstörungen, Tinnitus und Druck im Ohr.

Wie diese Erkrankung am besten behandelt wird, ist strittig.

Tatsächlich ist die optimale Therapie noch nicht gefunden.

Weniger strittig unter Experten ist die Frage, ob die häufigeren Schwindelanfälle im Seniorenalter mit durchblutungsfördernden Sub­stanzen zu beheben sind. 4

Genau. Gerade in der Werbung für Nahrungsergänzungsmittel oder rezeptfreie Medikamente wird oft suggeriert, man könne dieses Problem auf eine Minderdurchblutung des Gehirns zurückführen …

… und mit so genannten durchblutungsfördernden Mitteln kurieren.4 Was spricht dagegen?

Das Hauptproblem im Alter ist der multisensorische Schwindel, bei dem man ins Schwanken gerät und die Orientierung verliert. Die Augen sehen schlechter, das Gleichgewichtsorgan arbeitet nicht mehr so gut und die Sensorik, die über die eigene Körperhaltung wacht, funktioniert weniger zuverlässig. Unserer Erfahrung nach helfen da vor allem Hilfsmittel wie eine gute Brille oder eine notwendige Staroperation und Bewegung, die den Gleichgewichtssinn automatisch trainiert.

Konkret, was nützen denn die so beliebten Ginkgo-Präparate wie Tebonin®? (GPSP 5/2006, S.12)

Wir empfehlen diese Medikamente nicht, da deren Wirksamkeit nicht hinreichend bewiesen ist.

Die meisten Menschen meinen, dass verengte Blutgefäße, also Arteriosklerose, für Altersschwindel ausschlaggebend sind.

Viel häufiger ist jedenfalls, dass hoher oder niedriger Blutdruck, Herzrhythmusstörungen oder ein schlecht eingestellter Blutzucker Schwindel hervorrufen. Das ist aber kein Drehschwindel. Für die Therapie sind vor allem Internisten zuständig.

Bevor man irgendein unnützes Präparat kauft, sollte man also lieber der Sache auf den Grund gehen?

Unbedingt. Denn auch Migräne, eine Angsterkrankung, ein Tumor oder Medikamente können die Ursache sein. Vieles kann der Hausarzt bereits untersuchen, oder man geht zum Internisten, HNO-Arzt oder Neurologen. Können die nicht helfen, lohnt es, einen Termin bei einer Schwindelambulanz zu vereinbaren.5

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2008 / S.12