Mehr Risiko als Nutzen?
Orale Immuntherapie bei Erdnussallergie
Kann Kindern mit einer Erdnussallergie eine Hyposensibilisierung helfen, bei der sie regelmäßig eine kleine Dosis Erdnuss einnehmen? Schwer zu sagen: Zwar steigert eine solche Behandlung im Test die Verträglichkeit von Erdnüssen – sie erhöht aber insgesamt das Risiko für allergische Reaktionen.
Ob in Kita, Schule oder beim Kindergeburtstag: Eltern von Kindern mit einer Erdnussallergie sind oft besorgt, dass ihr Kind aus Versehen etwas essen könnte, das Erdnüsse enthält. Da Spuren von Nüssen und Hülsenfrüchten wie der Erdnuss auch in anderen Nahrungsmitteln enthalten sein können und allergische Personen oft schon auf kleinste Mengen Erdnuss reagieren, ist es nicht immer einfach, den Allergieauslöser zu vermeiden. Die allergische Reaktion beginnt oft damit, dass die Mund- und Rachenschleimhäute jucken und anschwellen. Auch Hautausschläge können auftreten. Gefürchtet ist ein anaphylaktischer Schock – auch allergischer Schock genannt – mit Atembeschwerden und/oder Kreislaufproblemen: Er kann lebensgefährlich sein. Daher wird Menschen mit einer Erdnussallergie empfohlen, immer Notfallmedikamente bei sich zu führen, die bei einem Schock helfen können, bis der Rettungsdienst vor Ort ist.1
Hyposensibilisierung möglich?
Bei verschiedenen Allergien, zum Beispiel gegen Bienengift, Gräser und andere Pollen, kann eine Hyposensibilisierung helfen: Dabei wird über einen längeren Zeitraum wiederholt eine sehr geringe Menge des Allergens gespritzt oder eingenommen. Die Dosis wird nach und nach erhöht. So kann sich das Immunsystem an das Allergen gewöhnen und toleriert es besser.2 Vergleichbare zugelassene Behandlungen gibt es bei einer Erdnussallergie bisher nicht.
Orale Immuntherapie im Test
In den letzten Jahren wurde auch bei der Erdnussallergie in Studien getestet, ob sich das Immunsystem anpassen kann, wenn die Betroffenen kleinste Portionen Erdnuss, zum Beispiel als Erdnussmehl, einnehmen und dann nach ärztlichen Vorgaben die Menge langsam steigern. Das bezeichnet man auch als „orale Immuntherapie“. Ein internationales Forscherteam hat alle hochwertigen Studien dazu analysiert, insgesamt zwölf randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt mehr als 1.000 Kindern.3 Dabei erhielt jeweils eine Gruppe eine orale Immuntherapie, die Kontrollgruppen bekamen ein Scheinmedikament (Placebo) oder nur die Anweisung, Erdnüsse zu meiden. Die Behandlungen dauerten zwischen einem halben Jahr und knapp sechs Jahren.
Paradoxes Ergebnis
In der Analyse wurden die Studien im Hinblick auf verschiedene Fragen ausgewertet.
Frage 1: Wie häufig kommt es insgesamt zu allergischen Reaktionen? Die traten während der Behandlung deutlich häufiger auf: bei 22 von 100 Kindern mit oraler Immuntherapie, in den Kontrollgruppen nur bei 7 von 100. Auch die Wahrscheinlichkeit, aufgrund eines allergischen Schocks eine Notfallbehandlung zu benötigen, stieg an.
Frage 2: Wie gut vertragen die Kinder am Schluss der Behandlung eine definierte Menge Erdnuss bei einem Versuch in der Klinik (also beim „oralen Provokationstest“)? Mit der Immuntherapie bestanden deutlich mehr Teilnehmende diesen Test ohne allergische Reaktion. Die beiden Auswertungen kamen also zu einem widersprüchlichen Ergebnis. Fachleute diskutieren aber sehr kontrovers, wie aussagekräftig der orale Provokationstest für die Verträglichkeit im Alltag tatsächlich ist.
Stellenwert unklar
Es ist also fraglich, ob Menschen mit Erdnussallergie insgesamt Vorteile von der oralen Immunisierung haben, wenn sie in einem Provokationstest weniger reagieren, aber im Alltag häufiger allergische Reaktionen auftreten. Wir wissen außerdem nicht, ob sich ein eventueller Nutzen der Behandlung erst einige Zeit nach Therapieende zeigen würde, wie lange eine mögliche Wirkung anhält oder ob es Spätfolgen gibt. Dass sich die Immuntherapie positiv auf die Lebensqualität auswirkt, haben die Studien nicht gezeigt – dieser Frage wurde aber auch nur in einigen wenigen Untersuchungen überhaupt nachgegangen. Nach aktuellem Wissensstand ist die orale Immuntherapie bei Erdnussallergie daher kein therapeutischer Durchbruch.
Hyposensibilisierung
GPSP 2/2015, S. 25
Nahrungsmittelallergien
GPSP 2/2014, S. 19
Randomisierte Studien
GPSP 2/2019, S. 24
Stand: 30. Oktober 2019 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2019 / S.21