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„Krank ohne Befund“ – Eine Anklageschrift

Stelzig M (2013) Krank ohne Befund. Salzburg: Ecowin Verlag, 256 S., 21,90 €

Der eine oder andere fühlt sich rasch erschöpft, hat Herz-, Rücken- oder Kopfschmerzen oder leidet tageweise unter Durchfall. Und das nicht nur einmal, sondern immer wieder über lange Zeit, bis man sich entschließt, doch zum Arzt zu gehen. Der leitet ein EKG ab, macht eine Ultraschalluntersuchung, schickt Blutproben ins Labor usw. – und dann stellt er fest: kein krankhafter körperlicher Befund. Und dann? War alles nur „eingebildet“?

Das Buch von Dr. Manfred Stelzig, Psychiater und Psychotherapeut, Chefarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Salzburg, beschreibt, dass in der hausärztlichen Praxis jeder vierte Patient psychische bzw. psychosomatische Störungen hat, und klagt an, dass dies oft nicht zu den notwendigen therapeutischen Konsequenzen führt.

Psychosomatische Leiden werden häufig erst nach einer langen Odyssee von Arzt zu Arzt erkannt und lange nicht sachgerecht behandelt, weil Hausärzte und Internisten keine psychotherapeutische Ausbildung haben und weil das Gespräch in der Medizin grotesk unterbezahlt ist. Über die wichtigsten Erscheinungsbilder kann man sich in diesem Buch informieren.

Nicht selten stehen Störungen der verschiedenen Organe mit einer Depression im Zusammenhang. Der Volksmund hat dafür viele Ausdrücke: Etwas ist „zum Kotzen“, hat mir „auf den Magen geschlagen“ oder hat dem Nachbarn das „Herz gebrochen“. Oft laufen Menschen lange von Praxis zu Praxis, bis endlich eine psychische Störung als Ursache erkannt wird und ein Psychotherapeut eingeschaltet wird.

Der Autor gibt auch Anleitungen, wie man selbst bestimmte gesundmachende und krankheitsvermeidende Verhaltensweisen trainieren kann. Dabei wird öfters mit „Seelengarten“, „positivem Denken“ u.a. eine etwas biedere „Kuschelpsychologie“ bemüht. In ziemlich gefährliches Fahrwasser begibt sich der Autor, wenn er auf neurobiologische Aspekte von seelischen Störungen zu sprechen kommt. Häufig nimmt er auf ein „Serotoninmangelsyndrom“ und ähnliche Versatzstücke einer von Big Pharma manipulierten Simpel-Psychiatrie Bezug und empfiehlt dementsprechend Psychopharmaka, ohne dass wissenschaftliche Belege dafür existieren. Dennoch erfahren Leserinnen und Leser in dem Buch viel über das Wesen psychosomatischer Störungen und über die wichtigsten psychotherapeutischen Verfahren.

 

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2013 / S.16