„Impfnosoden“ – was soll das?
Weder zum Impfen noch zum „Ausleiten“ geeignet
„Impfnosoden“ versprechen die „Ausleitung“ schädlicher Substanzen aus dem Körper. Warum das bei Impfungen überhaupt notwendig sein und wie das funktionieren soll, bleibt unklar. Richtig gefährlich werden „Impfnosoden“, wenn Menschen aufgrund des Namens auf eine Impfwirkung gegen Covid-19 hoffen. Denn die gibt es nicht.
Die Corona-Pandemie hat nicht nur in Deutschland zu einem Boom neuer Wirkstoffe geführt. In kürzester Zeit wurden weltweit neue Medikamente entwickelt, vorhandene umgewidmet sowie neue Impfstoffe auf den Markt gebracht.
Die Wissenschaft kämpft erfolgreich gegen COVID-19. Aber auch die Homöopathie fühlt sich bemüßigt, Unterstützung bei und nach Corona-Infektionen anzubieten: So sollen „Impfnosoden“ je nach Beschreibung zwei verschiedene Nutzeffekte bringen. Einmal bei der „Ausleitung“ einer Impfung – und einmal als Impfstoffersatz.
Nosoden – was ist das?
Das altgriechische Wort „nosos“ bedeutet „Krankheit“. Im Gegensatz zur klassischen Homöopathie greift die Nosoden-Lehre auf Substanzen zurück, die Krankheiten auslösen oder durch die welche entstehen können. Dies sind etwa Eiter, Krebszellen oder Viren und Bakterien.1 Hier werden die Ursprungssubstanzen gelöst und anschließend – wie auch in der klassischen Homöopathie – durch Verdünnung „potenziert“.
Globuli gegen Tuberkulose werden aus dem Lymphknoten eines an Tuberkulose erkrankten Rindes gewonnen. Nach dem Prinzip „Gleiches mit Gleichem heilen“ sollen Nosoden als Globuli, Tinktur oder Injektionen das Immunsystem oder erkrankte Organe stimulieren und somit die Selbstheilung anregen.
Zugelassene Impfstoffe verdünnen?
Noch schwieriger mit der Definition wird es, wenn nicht körpereigene Substanzen oder Pathogene als Ausgangssubstanzen für Nosoden genutzt werden, sondern evidenzbasierte Impfstoffe. Begründer und Verfechter dieser „märchenhaften“ Idee war der niederländische Homöopath Tinus Smits (1946–2010). Er glaubte, dass mithilfe von verdünnten Impfstoffen „Impfschäden“ homöopathisch behandelt werden könnten, indem sie schädliche Nebenwirkungen neutralisieren oder „ausleiten“. Smits‘ Fokus lag dabei auf der Behandlung von angeblich durch Impfen ausgelöstem Autismus. Dass es diesen Zusammenhang gar nicht gibt, gilt inzwischen als gesichert.2 Schon deshalb würde auch eine Behandlung solcher „Impfschäden“ mit verdünnten Impfstoffen ins Leere laufen. Trotzdem werden in Deutschland solche umgangssprachlich als „Impfnosoden“ bezeichneten Verdünnungen evidenzbasierter Impfstoffe angeboten. Aufsehen erregte der Fall einer Koblenzer Apotheke, die Ende April 2021 auf ihrer Webseite „Pfizer/BioNTech Covid-19-Vaccine in potenzierter Form bis D30 als Globuli oder Dilution (zur Ausleitung)“ anbot. Für die Herstellung der Globuli hatte die Apothekerin Impfdosen-Reste eines Impfzentrums verwendet.3
Ziel dieser „Impfnosoden“ war die „Ausleitung“, gelegentlich auch als „homöopathische Drainage“ bezeichnet. Je nach Quelle sollen Impfnebenwirkungen, der Impfstoff selbst oder weitere Inhaltsstoffe der Impfstofflösung aus dem Körper entfernt werden.
Impfstoffe „ausleiten“
Impfreaktionen, wie etwa Fieber, Müdigkeit, Schmerzen an der Injektionsstelle, Kopf- oder Muskelschmerzen sind absolut normal und meist harmlos. Selbst der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte betont, dass mögliche Krankheitssymptome eine Reaktion des Körpers auf die Impfung und somit durchaus erwünscht seien.4 Diese Reaktionen des Immunsystems unterdrücken oder „ausleiten“ zu wollen, wäre kontraproduktiv.
Es ist möglich, dass Menschen vereinzelt auf Bestandteile der Impflösungen allergisch reagieren können. Alle Hilfsstoffe sind aber für die Impfung notwendig und für den Gebrauch in Arzneimitteln zugelassen. Außer der eigentlichen mRNA enthält beispielsweise der Impfstoff von Biontech Lipide (also Fette). Diese Lipid-Nanopartikel sind nichts anderes als kleine Fettkügelchen: Sie schleusen die mRNA durch die Zellwände zu den „Maschinerien“, die aus der mRNA ein bestimmtes Virus-Protein herstellen. Gegen dieses Protein entstehen dann Antikörper, die den Körper fortan vor einer Virusinvasion schützen. Zur Stabilisierung der wässrigen Lösung werden dem Impfstoff außerdem Salze und Zucker zugesetzt. Im Körper werden die Hilfsstoffe mit der Zeit abgebaut oder ausgeschieden, und zwar ganz ohne „Impfnosoden“.
Keine Impfung mit Nosoden
Aufgrund des Heilmittelwerbegesetzes ist es Herstellern und Verkäufern von Globuli untersagt, Heilversprechen zu machen.5 Daher fehlen auf Internet-Portalen oder in Online-Apotheken konkrete Hinweise zu Anwendungs- oder Dosierungshinweisen für Nosoden. Aber es wird in allgemeiner Form zum Beispiel Bezug auf die Pockenimpfung genommen. Ein Laie mag so auf den Gedanken kommen, dass „Impfnosoden“ eine „natürliche Alternative“ zur evidenzbasierten Impfung darstellen. Nur wenige Online-Angebote veröffentlichen klare Hinweise, dass mit „Impfnosoden“ eine Impfung im medizinischen Sinn nicht möglich ist.
Das belegt eine 2018 veröffentlichte Studie. Wissenschaftler:innen teilten 150 Proband:innen zufällig in drei Gruppen auf: solche die gar keinen Impfstoff, eine evidenzbasierte Impfung oder aber Nosoden bekamen.6 Das Fazit: Homöopathische Impfstoffe rufen genau wie Placebos keine Antikörperreaktionen hervor. Im Gegensatz dazu liefern konventionelle Impfstoffe bei der Mehrheit der Geimpften eine robuste Antikörperreaktion.7 Auch die Kanadische Pädiatrische Gesellschaft warnt in einer Stellungnahme: „‚Nosoden‘ sind kein Ersatz für Impfstoffe. “
Das ist wenig überraschend. Denn um Antikörper bilden und Immunzellen trainieren zu können, benötigt der Körper ein charakteristisches Erkennungsmerkmal des Krankheitserregers, also eine Art Matrize. Diese Informationen sind aber in „Impfnosoden“ nicht vorhanden. Eine „stoffliche Energie“ oder ein „Gedächtnis“ an die Ursprungssubstanz – wie in Nosoden-Lehre und Homöopathie als Wirkmechanismus propagiert – existiert nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht. Deshalb eignen sich „Impfnosoden“ auch nicht zum natürlichen“, „sanften“ oder „homöopathischen“ Impfen.
Eine frühere Fassung des Artikels erschien bei MedWatch https://medwatch.de/2021/06/23/impf-nosoden-keine-wirkung-gegen-corona-gefaehrliches-vesprechen
Stand: 1. November 2021 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2021 / S.06