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© Yair Haklei

Hüftprothese minderwertig, Brustimplantat undicht

Medizinprodukte schlecht kontrolliert

Bereits Anfang des Jahres hatte GPSP eine bessere Kontrolle von Medizinprodukten gefordert (1/2012, S. 14). Die neuen Vorschläge der Europäischen Kommission gehen am Hauptproblem vorbei: Nach wie vor müssen Hersteller nicht beweisen, dass ihr Produkt wirklich im Körper das leistet, was es soll, und keinen Schaden anrichtet. Eine verdeckte Untersuchung zeigt, dass die aktuell zuständigen Kontrollstellen sogar Schrottprodukte erlauben.

Für die Genehmigung von Medizinprodukten sind in der Europäischen Union sogenannte „Benannte Stellen“ zuständig. Das sind rund 80 private Unternehmen, die das begehrte CE-Siegel vergeben dürfen.1 Die Genehmigung gilt immer für die gesamte EU, egal ob die Kontrolle in Prag, Köln oder bei außereuropäischen Unternehmen stattfindet. Die Anforderungen für das Siegel sind vom Gesetz her äußerst lasch. Es geht meist lediglich darum, ob ein Medizinprodukt technischen Anforderungen genügt – nicht aber ob es auch dem Patienten nützt. Hersteller, die es sich leicht machen wollen, gehen den Weg des geringsten Widerstands und suchen sich eine Prüfstelle aus, die nicht genau nachfragt. Das ist ziemlich einfach, weil die Benannten Stellen miteinander konkurrieren und manche regelrecht damit werben, dass sie nicht so genau hinschauen und schnell genehmigen. Da bleibt es nicht aus, dass auch Pfusch auf den Markt kommt.

Praxistest mit katastrophalen Ergebnissen

Redakteure der Medizinzeitschrift British Medical Journal und der Tageszeitung Daily Telegraph machten gemeinsam die Probe. Sie „erfanden“ eine neue Hüftrothese, die von der Bauweise und den Materialien genau Produkten entsprach, die wegen ihrer Mängel bereits vom Markt genommen werden mussten.2 Hüftprothesen zählen nach geltenden EU-Gesetzen als Hochrisikoprodukte3, müssen also eigentlich besonders zuverlässig geprüft werden.

Die Journalisten gaben sich als Repräsentanten eines chinesischen Herstellers aus und legten 14 Benannten Stellen in der EU, der Türkei und Asien Unterlagen für die fiktive Gelenkprothese vor. Aus den Papieren ging hervor, dass die Hüfte nur an einer Prüfmaschine getestet wurde, sich dabei über die Maßen schnell abnutzte und deshalb gesundheitsschädliche Mengen an Metallabrieb freisetzte. Außerdem war sie so konstruiert, dass die Bewegungsfähigkeit des Patienten stärker eingeschränkt gewesen wäre als bei jeder bereits zugelassenen Hüftprothese. Es wurden sogar Testergebnisse beigefügt, die zeigten, dass die Prothese sich verformen und auseinanderfallen kann. Trotz all dieser offenkundigen Mängel äußerten nur vier der Benannten Stellen Bedenken gegen das Produkt. Die übrigen hielten es für genehmigungsfähig. Dabei fielen Aussagen wie „Wir sind auf der Seite der Hersteller und ihrer Produkte, nicht auf der Seite der Patienten“, oder Firmen „bekommen immer ihre Zertifzierung. Das ist nur eine Frage der Zeit.“2

EU verfehlt Ziel

Unabhängige Arzneimittelzeitschriften, Krankenversicherungen und viele andere haben die Europäische Union aufgefordert, Medizinprodukte besser zu kontrollieren.4 Auch die GPSP-Redaktion sprach im Mai mit der EU-Kommission. Doch der kürzlich vorgelegte Gesetzesvorschlag der Kommission enttäuscht. Zwar wird darin ein zentrales Register für alle Medizinprodukte angekündigt, aber die Forderung, Medizinprodukte mit hohem Risiko – wie Brustimplantate, künstliche Gelenke oder Herzschrittmacher – vor der Zulassung auf Sicherheit und ihren Nutzen für Patienten zu überprüfen, wurde ignoriert. Das gleiche gilt für die Forderung nach einer zentralen Kontrolle bei der Europäischen Arzneimittelbehörde, statt bei kommerziell ausgerichteten privaten Benannten Stellen.

Die EU-Kommission argumentiert, dass eine schärfere Überwachung der Produkte am Markt ausreiche. Die Skandale in letzter Zeit lassen daran zweifeln. In den USA prüft die Zulassungsbehörde FDA seit Jahren Hochrisiko-Medizinprodukte. US-Patienten blieben dadurch einige Produkte erspart, die in der EU zunächst verkauft, dann aber wegen ihres Schadenspotenzials verboten wurden.

Und eine weitere Forderung bleibt unberücksichtigt: Für Patienten ist es oft schwer zu belegen, dass ein Medizinprodukt fehlerhaft ist. Deshalb sollte künftig der Hersteller beweisen müssen, dass sein Produkt in Ordnung ist. Zudem fehlt in den neuen Vorschlägen der EU-Kommission die verpflichtende Produzentenversicherung. Der Hersteller der undichten PIP-Brustimplantate war innerhalb kürzester Zeit pleite. Die geschädigten Frauen haben das Nachsehen (GPSP 1/2012, S. 14; 4/2012, S. 6).

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2012 / S.17