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©Faziel Slamang

HIV: 40 Jahre Leben mit dem Virus

Wie aus der tödlichen Seuche Aids eine chronische Erkrankung wurde

Anfang der 1980er-Jahre versetzte das neuartige Virus HIV die Welt in Schrecken. Bis zu einer wirksamen Therapie sollte es noch viele Jahre dauern.

1981: Die US-amerikanische Infektionsschutzbehörde CDC berichtet von fünf Fällen einer tödlichen Lungenentzündung bei jungen Männern aus Los Angeles. Als Erreger identifizieren die Expert:innen das Bakterium Pneumocystis carinii, das bei Lungenentzündungen eher ein unüblicher Erreger ist. In New York fallen bei schwulen Männern Kaposi-Sarkome auf, eine seltene Krebserkrankung. Beide Krankheiten haben eine weitere Gemeinsamkeit: Sie treten bei geschwächtem Immunsystem auf. Warum häufen sich diese Erkrankungen ausgerechnet bei Homosexuellen?

HIV wird entdeckt

Mit diesen Beobachtungen begann die Geschichte von Aids. Vermutungen, dass diese Fälle zusammenhingen und es sich um ein sexuell übertragbares Virus handeln könnte, bestätigten sich schnell. Doch dauerte es noch bis 1983, bevor der Erreger identifiziert wurde. Später etablierte sich die Bezeichnung Humanes Immunschwäche-Virus, kurz HIV. Das Krankheitsbild, das sich aus der Infektion entwickelt, bezeichneten die Fachleute als Aids. Im Jahr darauf ließ die US-amerikanische Zulassungsbehörde den ersten HIV-Test zu, der Antikörper gegen das Virus und damit die Infektion nachweisen konnte.

HIV-Positive werden diskriminiert

Allerdings wurde bald klar, dass HIV/Aids keine exklusive „Schwulenkrankheit“ ist. Gerade in Afrika spielte von Anfang an die Übertragung durch Heterosexuelle und von der Mutter aufs Kind während der Geburt eine wichtige Rolle. Auch Drogenabhängige steckten sich mit HIV an, ebenso Menschen nach einer Behandlung mit Blutprodukten, etwa Bluter, die auf Gerinnungsfaktoren aus menschlichem Plasma angewiesen waren. Das Virus wurde also offensichtlich auch über das Blut übertragen.

Das Stigma, dem die Betroffenen ausgesetzt waren, erschwerte die Prävention und Behandlung der Krankheit. Dazu kam die lange Zeitspanne zwischen Infektion und dem Ausbruch von Aids: So gaben viele das Virus weiter, ohne es zu bemerken. Behandlungsoptionen gab es zunächst kaum: 1985 hatte ein 25-Jähriger Aids-Kranker in den USA eine Lebenserwartung von weniger als zwei Jahren.1,2

Wichtigste Maßnahme: Aufklärung

Nicht nur HIV und Aids selbst, sondern auch Mythen und Fehlinformationen über Ansteckungswege, die Krankheit und ihre Betroffenen richteten großen Schaden an.
Als 1985 der spätere Aktivist Ryan White an Aids erkrankte, war er 13 Jahre alt. Er war Bluter und hatte sich wahrscheinlich durch ein Blutprodukt angesteckt, das mit HIV verunreinigt war. Als die Schulleitung von seiner Infektion erfuhr, schloss sie ihn vom Unterricht aus. Er und seine Eltern wurden in der Nachbarschaft und von anderen Schüler:innen gemieden und beschimpft, sodass sie schließlich aus ihrer Heimatstadt Indianapolis wegziehen musste. White setzte sich bis zu seinem Tod fünf Jahre später gegen die Diskriminierung von Aids-Kranken ein.

Um die Situation zu verbessern, forderte 1986 der Arzt und leitende US-Gesundheitsbeamte Everett Koop konzertierte Aufklärungsaktionen. Sie sollten nicht nur Fakten über das Virus und Prävention vermitteln, sondern auch zu mehr Verständnis für Betroffene führen.1

Prävention war von Anfang ein wichtiger Baustein im Umgang mit dieser Krankheit. In Deutschland wurde der Slogan „Gib Aids keine Chance“ zum Aushängeschild der Aids-Aufklärung. Hilfsorganisationen setzten sich gegen Stigmatisierung und für die Rechte der Aids-Kranken ein. Dafür steht heute die „Rote Schleife“.

Fast normales Leben dank Medikamenten

Alle Hoffnungen richteten sich zuerst auf mögliche Impfstoffe gegen HIV. Es stellte sich aber bald heraus, dass damit nicht so schnell zu rechnen war – bis heute sind sie nicht verfügbar. Seit Mitte der 1990er-Jahre gibt es effektive Behandlungen: Kombinationstherapien unterdrücken das Virus und verhindern so, dass sich Aids entwickelt. Die Medikamente machen HIV damit zu einer chronischen Krankheit mit einer normalen Lebenserwartung. Bei gutem Ansprechen auf die Medikamente geht von HIV-Infizierten ein sehr geringe Ansteckungsgefahr aus. Inzwischen ist die Kombinationstherapie auch vorbeugend zur Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) zugelassen, also um eine Infektion mit HIV zu verhindern.

HIV weltweit

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt seit 2016 die lebenslange Behandlung mit virushemmenden Medikamenten für alle HIV-Infizierten direkt nach der Diagnose.
Von den weltweit rund 38 Millionen Infizierten leben mehr als zwei Drittel auf dem afrikanischen Kontinent. Aufgrund hoher Medikamentenpreise bekamen sie viele Jahre kaum Zugang zu den lebensrettenden Medikamenten, obwohl die Herstellungskosten nur rund 10 Prozent des Verkaufspreises ausmachten.3

Die Hilfsorganisation UNAIDS der WHO fordert von den Regierungen, flächendeckend Möglichkeiten zur Diagnose und Behandlung zur Verfügung zu stellen. Das Ziel: 95 Prozent der Infizierten sollen ihren Status kennen, davon 95 Prozent der bekannten Infizierten sollen antivirale Therapie bekommen, und 95 Prozent der Behandelten sollen so gut eingestellt sein, dass sich das Virus in ihrem Körper nicht mehr vermehrt. 2020 hatten im Durchschnitt jedoch nur 73 Prozent der Infizierten einen Zugang zur Behandlung, bei Kindern lag der Anteil sogar noch niedriger. Schätzungsweise 700.000 Menschen starben in diesem Jahr weltweit an Aids.4

Impfstoffe dank Corona?

Die Corona-Pandemie erschwerte zunächst den Kampf gegen Aids. Im ersten Halbjahr 2020 meldete ein Drittel von 101 befragten Staaten Unterbrechungen bei der Versorgung mit HIV-Medikamenten. Auch in den USA, das unter den entwickelten Ländern am stärksten von der Aids-Epidemie betroffen ist, gingen die PrEP-Verschreibungen um 21 Prozent zurück, die HIV-Tests sogar um 73 Prozent.

Dennoch könnte die Corona-Pandemie die HIV-Impfung voranbringen, denn die mRNA-Impfstoffe, die zum ersten Mal in der aktuellen Pandemie eingesetzt wurden, eröffnen gleichermaßen Chancen für Impfstoffe gegen andere Virusinfektionen.5 Allerdings wird es selbst im besten Fall noch einige Jahre bis zu ersten Ergebnissen dauern.

Die HIV-Forschung lieferte wiederum eine Blaupause für die Corona-Forschung: Die durch Aids etablierte öffentlich finanzierte Forschung ist auch in dieser Pandemie die Voraussetzung in der Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten.6

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2022 / S.20