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Haarige Versprechungen

Kann man aus einer chemischen Untersuchung der Kopfhaare Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand ziehen? Das jedenfalls behaupten etliche Anbieter von Haaranalysen.1 Die Untersuchungen kosten bis zu 120 Euro, aber sind sie ihr Geld wert?

Natürlich kann ein Labor Haare auf ihren Gehalt an Mineralien und Schwermetallen untersuchen. Aber die Ergebnisse erlauben keine Rückschlüsse auf die körperliche Verfassung. Erst recht lassen sich keine therapeutischen Empfehlungen ableiten. Das hält einige Ernährungsberater, Internetanbieter und sogar Apotheken nicht davon ab, derartige Tests zu empfehlen.

©Thomas Kunz

Wenn ein Haar wächst, nimmt die Haarwurzel verschiedene Stoffe aus dem Blut auf. So gelangen sie ins Haar, das durchschnittlich einen Zentimeter im Monat wächst. Daher lässt sich selbst nach längerer Zeit der Konsum von Drogen, Nikotin oder einigen Medikamenten in den Haaren nachweisen. Tatsächlich werden auch Mineralstoffe im Haar eingelagert, aber – das ist der wichtige Unterschied – die Menge der Einlagerungen sagt nichts über einen Mangel an Magnesium, Eisen oder anderen Mineralien aus.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Mineralgehalt des Haares unterliegt vielen Einflüssen, darunter Jahreszeit, Alter und Geschlecht. Auch äußere Faktoren verändern die Zusammensetzung, etwa kosmetische Produkte wie Shampoo oder Färbemittel, aber auch die Luft (Arbeitsplatz in der Metallverarbeitung oder in der Kneipe) und das Wasser (Leitungswasser). Welche Mineralstoffe das wachsende Haar aus dem Körper aufnimmt und welche später aus der äußeren Umgebung in die Haarsubstanz eindringen, kann die Laboranalyse nicht unterscheiden. Und da manche Einlagerungen aus dem Körper ja bereits etliche Wochen bis Monate zurückliegen, kann der aktuelle Zustand des „Haarträgers“ inzwischen schon ganz verändert sein.

Haare spiegeln somit nicht den körperlichen Zustand eines Menschen wieder und geben auch keine Auskunft zur Versorgung von Organen mit bestimmten Stoffen. Ob beispielsweise ausreichend Kalzium für stabile Knochen zur Verfügung steht, hat nichts mit dem Kalziumgehalt der Haare zu tun. Bisher wurde kein systematischer Zusammenhang zwischen dem Gehalt von Stoffen in den Haaren und ihrem Gehalt im Blut oder in einzelnen Organen gefunden.

Dabei haben viele wissenschaftliche Untersuchungen diese Zusammenhänge ausgeleuchtet.2 Zum Beispiel hat man geprüft, wie zuverlässig Haaranalysen die Schwermetallbelas­tung erfassen. Die Forscher stellten fest, dass man weder die Belastung durch Umweltgifte noch die Belastungen am Arbeitsplatz ausreichend in den Haaren messen kann.

Noch etwas spricht gegen die Glaubwürdigkeit von Haaranalysen: Geregelte Qualitätsstandards für die Durchführung der Untersuchungen fehlen. Wissenschaftler haben Labors auf die Probe gestellt.3 Sie verschickten identische Haarproben einer kerngesunden Person an mehrere Einrichtungen. Die Untersuchungsergebnisse fielen sehr unterschiedlich aus. Ebenso verschieden wie auch „kreativ“ waren die Empfehlungen für Nahrungsergänzungen, die wegen angeblicher Mangelsituationen nötig seien.

Wer per Ferndiagnose bestimmte Krankheiten aus den Haaren lesen will und die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln empfiehlt, handelt wider den medizinischen Kenntnisstand. Wenn Ihnen also jemand eine Haaranalyse nahe legt: Lassen Sie ihn abblitzen.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2010 / S.13