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©Jörg Schaaber

Metamizol – eine nicht so gute alte Pille?

Über den Wirkstoff Metamizol ist schon eine Menge geschrieben worden. Vielen ist er unter dem Namen Novalgin® ein Begriff, doch zum hochpreisigen Originalpräparat gibt es zahlreiche wirkstoffgleiche Alternativen – die so genannten Generika. Wir reihen den Wirkstoff in unsere Rubrik „Gute alte Pille“ ein, obwohl GPSP findet: Metamizol ist keineswegs nur gut!

Metamizol ist ein effektiver Wirkstoff bei starken Schmerzen und hohem Fieber. Aufgrund seiner gesundheitlichen Risiken müssen Ärzte ihn jedoch mit Bedacht verordnen. GPSP hat wiederholt über die Problematik informiert.1 Da Metamizol in letzter Zeit leider immer häufiger und oft unbedacht verschrieben wird, fühlen wir uns unseren Leserinnen und Lesern verpflichtet, erneut darüber zu berichten.

Auf korrekten Einsatz achten

Metamizol ist zugelassen zur Therapie von akuten starken Schmerzen nach einer Verletzung oder Operation, bei Koliken oder Tumorschmerzen. Nur sofern andere therapeutische Maßnahmen nicht indiziert sind, umfasst die Zulassung auch sonstige akute oder chronische starke Schmerzen. Außerdem darf es bei hohem Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht, eingesetzt werden.2

Die Arzneimittelkommission  der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat die Ärztinnen und Ärzte ermahnt, Metamizol nur entsprechend seiner Zulassung zu verordnen.3 Insbesondere soll es strikt als Reservemedikament betrachtet werden: Metamizol kommt daher nur infrage, wenn weniger riskante Schmerzmittel nicht ausreichend wirken oder nicht eingesetzt werden dürfen. Paracetamol fällt zum Beispiel bei Erkrankungen der Leber aus. Die nichtsteroidalen Schmerzmittel (NSAID) wie Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen sowie Acetylsalicylsäure (ASS) sind hingegen für Menschen, die ein Magengeschwür haben oder hatten, keine so gute Wahl. Auch Herz- oder Niereninsuffizienz kann je nach Schweregrad eine Gegenanzeige für NSAID bedeuten.

Warum raten wir zu großer Vorsicht?

Im Gegensatz zu den verbreiteten Schmerzmitteln vom Typ NSAID und ASS ist Metamizol deutlich magenverträglicher. Und im Gegensatz zu Paracetamol verursacht es keine Leberschäden. [Update 30.10.2024: Nach neueren Erkenntnissen kann auch Metamizol der Leber schaden] Dafür hat es andere Nebenwirkungen. So kann es bei Asthmatikern und bei Menschen mit Heuschnupfen akute Anfälle auslösen. Selten (< 0,1 %) treten gefährliche Überempfindlichkeitsreaktionen (Anaphylaxie) auf. Überreaktionen können sich auch als bedrohliche Hauterscheinungen manifestieren – bekannt sind das Stevens-Johnson- und das Lyell-Syndrom. Es gilt als gesichert, dass solche Überempfindlichkeitsreaktionen vor allem nach Injektion von Metamizol auftreten.2

Viel seltener, aber gefürchtet, weil immer lebensbedrohlich, ist die so genannte Agranulozytose. Dieser Begriff beschreibt den Zusammenbruch der Bildung neuer Blutzellen, vorwiegend der weißen Blutkörperchen. Diese sind unter anderem für die Abwehr von Bakterien und Viren zuständig. Erste Symptome einer Agranulozytose können harmlos erscheinende Infektionen der Luftwege mit Halsschmerzen und Fieber sein. Wird nicht rechtzeitig reagiert, kann sich diese Infektion im gesamten Blutsystem ausbreiten. Eine solche Blutvergiftung (Sepsis) endet nicht selten tödlich.

Um den Prozess zu stoppen, muss der Auslöser Metamizol sofort abgesetzt werden. Gegen die Infektion erhält der Patient in dieser gefährlichen Situation Antibiotika, und manchmal werden Blutzellen transfundiert oder auch bio-logische Stimulatoren (G-CSF) verabreicht, die die Bildung neuer Blutzellen ankurbeln sollen.

Erfolgt das Absetzen von Metamizol rechtzeitig, so kann sich die Blutzellbildung erholen. Das ist aber keineswegs sicher. Und leider erkennen Ärzte und Ärztinnen diese Nebenwirkung nicht selten zu spät. Fast ein Viertel der Patienten und Patientinnen mit einer Agranulozytose, die von Metamizol ausgelöst ist, stirbt daran.4

Wie selten tatsächlich?

Bis heute wird in der Wissenschaft darüber gestritten, wie häufig Metamizol die Blutzellbildung nachweislich zusammenbrechen lässt. (Fachleute sprechen hier von der Inzidenz einer Metamizol-induzierten Agranulozytose) Von so häufig wie einmal bei 1.400 Verschreibungen bis so selten wie einmal pro 1 Million Wochen der Anwendung reicht die Spanne, die durch Studien mit unterschiedlicher Methodik ermittelt wurden. Das seltenere Auftreten geht auf eine Hersteller-gesponserte Studie zurück, das häufige Auftreten auf unabhängige schwedische Erhebungen. Auch GPSP kennt die tatsächliche Häufigkeit nicht. Sie dürfte zwischen den genannten Zahlen liegen.

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat die Nebenwirkungsmeldungen von Ärzten im Zeitraum von 1990 bis 2012 untersucht und stieß, was eine Agranulozytose nach der Anwendung von Metamizol angeht, auf beunruhigende Fakten: Bei zwei Dritteln der betroffenen Patienten wurde die Agranulozytose innerhalb von sechs Wochen nach der ersten Einnahme beobachtet, bei einem knappen Drittel bereits innerhalb der ersten sieben Tage. In Einzelfällen kam es schon nach ein- oder zweimaliger Anwendung zu einer Agranulozytose. Man ist also selbst bei kurzfristiger Einnahme nicht auf der sicheren Seite.4 Die Studie der AkdÄ konnte die Frage nach der Inzidenz nicht beantworten, doch sie lieferte ein anderes bedenkliches Signal: Seit einigen Jahren verordnen Ärzte und Ärztinnen stetig mehr Metamizol. Fast parallel dazu steigen die Meldungen von Agranulozytosen an.

Von verboten bis rezeptfrei

Wenn Nebenwirkungen, selbst wenn sie tödlich sind, sehr selten vorkommen, schätzen verschiedene Behörden das Risiko ganz unterschiedlich ein. Metamizol wurde in vielen Ländern erst gar nicht zugelassen oder später wieder vom Markt genommen. So gibt es in den USA und Kanada, aber auch in skandinavischen Ländern, in Frankreich und England überhaupt kein Metamizol.5 Aber auch Behörden mit weniger Bedenken finden sich. So ist Metamizol rezeptfrei erhältlich unter anderem in Polen, Russland und der Türkei. Man muss allerdings berücksichtigen, dass in diesen Ländern generell niedrigere Standards für die Arzneimittelsicherheit gelten.

Fazit

Metamizol ist ein gut wirksames Schmerz- und Fiebermedikament, das meist gut verträglich ist. Selten treten allergische Reaktionen, sehr selten Blutbildungsstörungen als Nebenwirkungen auf. Beide Reaktionen sind gefährlich und können zum Tod führen. Daher darf Metamizol nur dann angewendet werden, wenn andere, weniger gefährliche Schmerz- und Fiebermittel nicht wirksam sind oder nicht in Frage kommen. Besprechen Sie vor einer Einnahme oder Injektion von Metamizol mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt die Nebenwirkungen und fragen Sie nach der Risikoeinschätzung.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2018 / S.12