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©MathKnight und Zachi Evenor

Heftige Schmerzen – Das muss nicht sein

Schmerzen durch Verschleiß, Schäden an der Wirbelsäule oder eine Krebserkrankung – Medikamente können Linderung verschaffen. Bei besonders starken Schmerzen helfen Morphinpräparate. Aber in Deutschland werden sie oft nicht richtig verordnet.1 Die Folge: Gefährliche und abhängig machende Überversorgung für die Einen, unnötiger Schmerz durch Unterversorgung für die Anderen. Das muss nicht sein.

Schmerzen gehören zum Leben, auch wenn sie keiner haben möchte. Sie liefern einerseits wichtige Signale und können so beispielsweise vor schweren Verbrennungen schützen oder an den überfälligen Zahnarztbesuch erinnern. Andererseits können Schmerzen das Leben aber auch zur Qual machen – etwa bei Krebs. Für die erfolgreiche Bekämpfung von Schmerzen kommt es auf die richtige Auswahl des Medikaments an. Ganz wichtig ist dabei die Stärke des Schmerzes. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ein dreistufiges Schema erarbeitet, das sagt, bei welcher Schmerzintensität welche Schmerzmedikamente sinnvoll sind (siehe Grafik auf S. 4).2

©Jörg Schaaber

Leichte Schmerzen

Bei leichten und mittelstarken Schmerzen wie Zahnweh, Kopf- oder Regelschmerzen reichen einfache Schmerzmittel (WHO Stufe 1). Meist helfen Präparate, die man ohne Rezept in der Apotheke kaufen kann wie Acetylsalicylsäure (Aspirin®, ASS, Generika), Paracetamol (Ben-u-ron®, Generika), Ibuprofen (Dolormin®, Generika) oder Diclofenac (Voltaren® dolo, Generika). Die Vor- und Nachteile von Schmerzmitteln für die Selbstbehandlung und wichtige Auswahlkriterien haben wir in GPSP 1/2008 (S. 3) ausführlich beschrieben. Dieser Text ist im Internet frei erhältlich.

Mittelstarke Schmerzen

Gegen mittelstarke Schmerzen empfiehlt die WHO vor allem schwache Opioide, die Ihr Arzt oder Ihre Ärztin auf normalem Rezept verordnet. Der Name „Opioide“ leitet sich vom Opium ab, der bekannten Rauschdroge aus dem Saft von Schlafmohnkapseln. Schmerzpatienten bekommen bei uns am häufigsten Tilidin (Valoron® N, Generika) und Tramadol (Tramal®, Generika) – überwiegend als ein Retard-Präparat, das den Wirkstoff nur langsam abgibt und daher länger wirkt. Tilidin- Schmerzmittel enthalten zusätzlich den Wirkstoff Naloxon, der einen Missbrauch in der Drogenszene verhindern soll. Wirken Tilidin oder Tramadol nicht ausreichend, können sie mit Schmerzmitteln der Stufe 1 kombiniert werden, z.B. mit Paracetamol oder Ibuprofen. Andere Präparate gegen mittelstarke Schmerzen wie Flupirtin (Katadolon®, Generika) haben keine besonderen Vorteile, sind aber meist teurer. Flupirtin ist zudem hinsichtlich Nutzen und Risiken schlecht untersucht. Leberschäden fallen als unerwünschte Wirkung auf.

Verschreibt ein Arzt Metamizol (Novalgin®, Generika), muss er bedenken, dass das Mittel – wenn auch selten – das Knochenmark und damit die Blutbildung lebensbedrohlich schädigen kann. Deshalb sind z. B. regelmäßige Blutbildkontrollen unerlässlich. Metamizol ist in vielen Ländern verboten. Dass es in Deutschland immer häufiger verordnet wird, ist bedenklich, denn es ist nur sehr eingeschränkt zugelassen. Bei leichten Schmerzen ist es nicht erlaubt.

Starke Schmerzen

Starke Schmerzen erfordern starke Opioide (Stufe 3). Diese sind in ihrer schmerzstillenden Wirkung sehr ähnlich und haben im Wesentlichen auch die gleichen unerwünschten Wirkungen. Besonders bewährt ist Morphin. Wann welches Opioid sinnvoll ist, sollte der Arzt oder die Ärztin gemeinsam mit dem Schmerzpatienten entscheiden. Das gilt auch für die Zubereitungsform: Injektionen und Tropfen wirken rascher, Retardtabletten und Pflaster langsamer und länger als normale Tabletten. Alle Opioide können abhängig machen. Dazu kommt es bei der Behandlung chronischer Schmerzen in der Regel aber nicht. Wegen der Missbrauchsgefahr müssen Opioide allerdings auf speziellen Rezepten verordnet werden, den so genannten Betäubungsmittel (BTM)-Rezepten. Der damit verbundene bürokratische Aufwand hält leider manche Ärzte davon ab, Opioide zu verschreiben, auch wenn es nötig wäre.

Präparate gegen chronische Schmerzen – vor allem retardierte Opioide – sollen immer in festen Zeitabständen („nach der Uhr“) eingenommen werden, um die Schmerzen gleichmäßig zu lindern und keine Episoden mit stärkeren Schmerzen zuzulassen. Kommt es unter dieser „Basisversorgung“ dennoch zu unerwartet heftigen Schmerzschüben, hilft es, ein rasch wirkendes Opioid (also ein nicht retardiertes Präparat) zusätzlich einzunehmen.

Die wichtigsten starken Opioide

Morphin (Sevredol® u.a.) ist das älteste und in Form von Generika das preisgünstigste Opioid. Es gilt als Goldstandard, auch weil weltweit die meisten Erfahrungen vorliegen.

Fentanyl (Durogesic®, Generika) wird meist als Pflaster verwendet, das den Wirkstoff drei Tage lang kontinuierlich abgibt (Depoteff ekt). Pflaster sind vor allem für diejenigen sinnvoll, die ihre Schmerzmedikamente nicht schlucken können, z.B. bei Tumoren im Hals-Nasen-Ohren- Bereich.

Die Wirkung von Oxycodon (Oxygesic®, Generika) setzt ausgesprochen rasch ein. Dies fördert Missbrauch und Abhängigkeit. Weil Oxycodon bei Suchtkranken populär wurde, war es zeitweilig außer Handel. Es ist viel teurer als Morphin. Der Zusatz von Naloxon zu Oxycodon (Targin®) soll Verstopfungen vorbeugen. Ob es diesen Nutzen tatsächlich hat, ist fraglich.3

Mehr als Tabletten

Immer wichtig für die Schmerzbehandlung ist selbstverständlich die optimale Pflege. Hilfreich können eine psychologische Betreuung oder sanfte Massagen sein.

Reichen hohe Dosen von Opioiden nicht mehr aus, können beispielsweise Schmerzmittel in den Bereich der Nerven und des Rückenmarks gespritzt werden. Zur Schmerzlinderung kann auch die Behandlung der Grunderkrankung oder eine entlastende Operation beitragen – selbst wenn dadurch keine Heilung möglich ist.

Unerwünschte Wirkungen in den Griff bekommen

Zu Beginn einer Therapie mit Opioiden steigern Ärzte die Dosis üblicherweise Schritt für Schritt, bis die günstigste Tagesdosis gefunden ist. Das verhindert zu hohe Dosierungen. Unerwünschte Effekte werden damit seltener oder auch weniger schwer. Manche Störwirkungen klingen glücklicherweise im Laufe weniger Tage von selbst ab, da sich der Körper auf die Opioide einstellt. So leidet zwar anfangs jeder Zweite bis Dritte unter Übelkeit und Erbrechen. Meist entwickelt sich jedoch innerhalb von fünf bis zehn Tagen eine Toleranz. Andernfalls kann übergangsweise ein brechreizlinderndes Mittel wie Metoclopramid (Paspertin®, Generika) eine Hilfe sein.

Vor allem zu Beginn der Opioid- Behandlung (und bei Dosissteigerungen) ist man häufig müde. Deshalb ist das Reaktionsvermögen eingeschränkt. Die Müdigkeit lässt aber in der Regel innerhalb weniger Tage nach, wenn die Dosis nicht weiter erhöht wird. Verwirrtheit, die hauptsächlich ältere Menschen betrifft, ist eine weitere Störwirkung, die meist rasch verschwindet. Wegen dieser Anpassungsreaktionen des Körpers ist daher kaum zu befürchten – gute, länger bestehende Dosiseinstellung vorausgesetzt –, dass Opioide die Fahrtüchtigkeit einschränken.4

Sehr häufig verursachen Opioide Verstopfung. Und diese bessert sich im Laufe der Zeit nur selten. Deshalb sollten Patienten vorbeugend abführende Mittel einnehmen, etwa Macrogol (Dulcolax® M u.a) oder Lactulose (Bifiteral®, Generika; GPSP 1/2006, S. 5). Manchen Betroffenen gelingt es aber, indem sie beispielsweise ihre Ernährung umstellen, den Abführmittelbedarf zu verringern oder vielleicht ganz darauf zu verzichten.

Fehlentwicklungen

Opioide sind in ihrer schmerzstillenden Wirkung sehr ähnlich und haben im Wesentlichen auch die gleichen unerwünschten Wirkungen. Auffällig ist der Trend zu besonders teuren Opioiden, obwohl sie sich in ihrer schmerzstillenden Wirkung von preisgünstigeren kaum unterscheiden. Während vor zwölf Jahren noch meist das bewährte Morphin verordnet wurde (60%), ist das heute nur noch selten der Fall (12%). Hochpreisige Medikamente zu verordnen, wirkt sich zwar nicht direkt nachteilig für die Betroffenen aus, verursacht aber unnötig hohe Kosten für alle Versicherten.

Die Kosten von Arzneimitteln werden üblicherweise auf der Basis definierter mittlerer Tagesdosierungen verglichen (DDD = Defined Daily Dose). Das ermöglicht, die „Kosten pro Wirkung“ zu berechnen. So kostete eine Tagesdosis Tramadol (300 mg) vom günstigsten Hersteller 0,93 €. Die günstigste Dosis Tilidin mit etwa gleicher schmerzstillender Wirkung (200 mg) kostete 0,80 €. Die Kosten liegen also in der gleichen Größenordnung. Bei starken Schmerzmitteln fällt hingegen ein deutliches Preisgefälle auf: Morphin als empfehlenswerten Standard gab es ab 2,19 € (pro 100 mg), die vergleichbare Dosis Fentanyl ab 3,10 €, Oxydocon ab 5,84 €, Hydromorphon ab 8,72 €.5 Ärzte verschreiben also unnötigerweise sehr oft Schmerzmittel, die bis zu viermal teuerer sind als das bewährte Morphin.

Nicht vernünftig ist der Trend zum Schmerzmittelpflaster. Leider werden Pflaster allzu oft Menschen verordnet, ohne dass ihre Ärztin oder ihr Arzt vorher mit Tabletten die individuell optimale Dosis gefunden hat.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2012 / S.03