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©Jörg Schaaber

Cortison

Arzneistoff mit vielen Gesichtern

Bei nur wenigen anderen Arzneimitteln ist der Nutzen so eindeutig: Cortison kann Leben retten und lässt Entzündungen verschwinden. Wie jedes andere Arzneimittel hat Cortison aber auch Nebenwirkungen. Manchmal sogar starke. Deshalb erfordert die Behandlung besondere Sorgfalt.

Ob beim Asthmaanfall, bei Schock, Rheuma oder Hautentzündungen – „Cortison“ hilft bei vielen Erkrankungen. Doch was genau steckt hinter diesem Begriff?

Unser Körper produziert in den Rinden der Nebennieren, die wie Kappen auf den Nieren sitzen, rund fünfzig cortisonähnliche Hormone. Das wichtigste ist Cortisol. Es gilt auch als „Stresshormon“, das den Körper auf stressende Faktoren einstellt: Cortisol fördert den raschen Abbau von Nährstoffen wie Kohlenhydraten, Fetten und Eiweißen und stellt so Energie für Angriff oder Flucht bereit. In den Nieren sorgt Cortisol dafür, dass weniger Natrium und damit auch weniger Wasser ausgeschieden wird. Medizinisch ist interessant, dass das Hormon auch Entzündungsprozesse und andere Reaktionen des Immunsystems dämpft.

„Cortison“ als Ersatztherapie

Bei Cortisol sind diese erwünschten Effekte jedoch relativ schwach ausgeprägt. Unter der Bezeichnung Hydrocortison wird es als Arzneistoff deshalb nur verwendet, wenn der Körper nicht genug Cortisol produziert. Also als Ersatztherapie. Bei anderen Erkrankungen verordnen Ärzte hingegen spezielle Wirkstoffe, die chemisch mit Cortisol verwandt sind, aber eine stärkere Wirkung haben (siehe Kasten  rechts und Tabelle S. 10).

Rettung in der Not

Cortisonartige Arzneistoffe sind bei lebensbedrohlichen Situationen äußerst hilfreich, etwa bei einem allergischen Schock, einem akuten Asthmaanfall, bei Nieren- oder Krebserkrankungen. Dann können sie Leben retten. Oft gibt der Arzt oder die Ärztin den Wirkstoff als Spritze oder Infusion, damit das Mittel schnell wirkt. Typischerweise bekommen die Patienten das Präparat über einen kurzen Zeitraum, meist nur wenige Tage, dafür aber hochdosiert.

Gegen chronische Entzündung

Bei anderen Krankheiten braucht der Patient oder die Patientin die cortisonartigen Arzneistoffe ständig oder zumindest über einen längeren Zeitraum. Das gilt besonders für Erkrankungen mit starken Entzündungsprozessen, wie etwa Rheuma mit Entzündungen in den Gelenken, Asthma mit Entzündungen in den Bronchien oder Morbus Crohn mit Entzündungen im Darm. Wie lange und in welcher Dosierung Patienten ein Cortison-Präparat benötigen, hängt von der Erkrankung und ihrem Verlauf ab. Bei Asthma beispielsweise gehören cortisonartige Arzneistoffe ab einem bestimmten Krankheitsstadium zur dauerhaften Grundbehandlung, bei Rheuma sollen sie dagegen vor allem in akuten Schüben die Schmerzen und Schwellungen lindern.

Kontrolle des Immunsystems

Cortisonartige Arzneistoffe hemmen Entzündungen, indem sie die Bildung bestimmter Botenstoffe verhindern. Solche Botenstoffe entstehen beispielsweise, wenn das Immunsystem körperfremde Substanzen erkennt. So können etwa starke allergische Reaktionen bis hin zum Schock auftreten, die sich mit Cortison-Präparaten dämpfen lassen. Aus dem gleichen Grund erhalten Patienten nach einer Organtransplantation häufig gemeinsam mit anderen Medikamenten ein Cortison-Präparat. Das trägt dazu bei, dass das neue Organ nicht abgestoßen wird.

Vorsicht Nebenwirkungen

Allerdings können Cortison und Co. zu gefürchteten unerwünschten Wirkungen führen – deshalb sind sie zumeist rezeptpflichtig. Welche Nebenwirkungen hauptsächlich auftreten, wie wahrscheinlich und wie heftig sie sind, hängt entscheidend von Art, Dosierung und Dauer der Anwendung ab. Deshalb gilt für cortisonartige Arzneistoffe grundsätzlich: Nur anwenden, wenn wirklich nötig, so kurz und in so niedriger Dosierung wie möglich und nicht auf eigene Faust.

Bei einer hochdosierten, kurzfristigen Notfallbehandlung müssen die Ärzte vor allem Herz und Kreislauf kontrollieren sowie auf Veränderungen im Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushalt achten. Das gelingt aber in der Regel gut, da die Betroffenen meist sowieso intensivmedizinisch überwacht werden.

Ist eine längerfristige Cortison-Behandlung nötig, wirkt sich das oft auch auf den Stoffwechsel aus. Das passiert vor allem, wenn der Arzneistoff in den Blutkreislauf gelangt. Um das zu vermeiden, bringt man das Cortison-Präparat möglichst nur an die Stelle des Körpers, wo seine Wirkung tatsächlich gewünscht ist (GPSP 3/2013, S. 14). Daher bekommen Patienten den cortisonartigen Arzneistoff – wenn möglich – oft zunächst nicht als Tablette, sondern in anderen Darreichungsformen.

Cortison in Asthmasprays

Bei Asthma werden cortisonartige Arzneistoffe bevorzugt als Spray inhaliert, so dass der Wirkstoff direkt in die Bronchien gelangt. Allerdings kann es passieren, dass sich – besonders bei einer schlechten Inhalations­technik – kleine Wirkstoffteilchen an der Schleimhaut von Mund und Rachen ablagern und verschluckt werden. Darum stecken in solchen Asthmasprays häufig Wirkstoffe, die im Magen-Darm-Trakt schnell abgebaut werden. Dadurch gelangt weniger in den Blutkreislauf, und unerwünschte Wirkungen, die den gesamten Körper betreffen, sind eher selten. Allerdings steigt auch beim Inhalieren das Risiko mit Anwendungsdauer und höherer Dosierung. So haben Wissenschaftler beobachtet, dass asthmatische Kinder, die Cortison-Sprays nutzen, teilweise langsamer wachsen.1 Bei Erwachsenen, die sehr hohe Dosierungen über einen längeren Zeitraum benötigten, stieg das Risiko für eine Verschlechterung des Zuckerstoffwechsels bis hin zu einer Diabetes-Erkrankung.2 Deshalb sollte die Cortison-Dosis auch bei Inhalation-Sprays so niedrig wie möglich liegen.

Problem in Mund und Rachen

Deutlich häufiger irritieren Cortison-Sprays jedoch die Mundschleimhaut: Weil das Medikament die körpereigene Immunabwehr unterdrückt, entwickeln sich leichter Infektionen mit Candida-Hefen. Man spricht hier auch von Mundsoor oder „Mundpilz“. Außerdem können sich durch Cortison-Sprays die Kehlkopfmuskeln teilweise und vorübergehend zurückbilden, was zu Heiserkeit führt.

Behandlung auf der Haut

Bei manchen Hauterkrankungen – etwa Neurodermitis – ist Cortison von Zeit zu Zeit notwendig, um die Entzündung in den Griff zu bekommen. Übermäßiger Gebrauch macht die Haut jedoch dünner, da cortisonartige Arzneistoffe die Produktion eines wichtigen Eiweißstoffes beeinträchtigen. Deshalb sollte die Wirkstoffdosis in Cremes und Salben so niedrig wie möglich sein. Eine gute Pflege mit wirkstofffreien Cremes verringert häufig den Cortisonbedarf.

Sinnvoll ist eine Intervalltherapie, bei der sich Cremes mit und ohne Cortison abwechseln. Besonders bei großflächiger Anwendung oder bei stark geschädigter Haut kann durchaus ein Teil des aufgetragenen Cortisons in den Körper gelangen – hier ist also Vorsicht geboten. Das gilt auch für Cortison-Salben, die ohne Rezept in der Apotheke erhältlich sind!

Cortison-Tabletten

Eine lokale Therapie ist nicht immer sinnvoll. Ein Patient oder eine Patientin mit rheumatoider Arthritis, die schmerzhafte Gelenkentzündungen verursacht, muss das Glucocorticoid in der Regel als Tablette einnehmen. Daher kann es im ganzen Körper zu unerwünschten Wirkungen kommen. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Arzt sind nötig, damit der etwa früh erkennt, ob durch die Cortison-Behandlung Blutdruck oder Blutzucker ansteigen. Je nach Dauer und Dosierung sowie den individuellen Risikofaktoren sollte der Arzt oder die Ärztin auch an die Gefahr von Knochenschwund (Osteoporose) denken.

Therapie ausklingen lassen

Cortison-Präparate beeinflussen die körpereigene Hormonproduktion: Besonders bei längerer Therapie mit höheren Dosierungen fährt die Nebennierenrinde die eigene Produktion von Cortisol zurück. Darum ist es wichtig, am Ende einer Behandlung das Mittel nicht abrupt, sondern in Absprache mit dem Arzt schrittweise abzusetzen. So kann die Nebennierenrinde nach und nach wieder die nötige Eigenproduktion aufnehmen. Der negative Einfluss auf die natürliche Hormonproduktion lässt sich allerdings verringern: Cortisol wird im Körper nicht gleichmäßig ausgeschüttet, sondern hauptsächlich in den frühen Morgenstunden. Dann ist auch die Nebennierenrinde am unempfindlichsten, „bemerkt“ den medikamentös erhöhten Hormonspiegel kaum und fährt die Eigenproduktion nicht so stark herunter. Deshalb empfiehlt es sich, Cortison-Präparate morgens zwischen sechs und acht Uhr einzunehmen.

Fazit

Cortison-Präparate sind vielfältig einsetzbare Mittel, die wir uns seit mehr als 70 Jahren medizinisch zu Nutze machen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Risiko für unerwünschte Wirkungen zu drosseln. Angst vor Nebenwirkungen sollte deshalb kein Grund sein, auf eine notwendige Cortison-Behandlung zu verzichten.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2016 / S.09