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„Grundrecht auf Gesundheit“: Petition oder Geschäftemacherei?

Seit einigen Wochen macht der Verein „Grundrecht auf Gesundheit“ auf sich aufmerksam. In E-Mails und mit Videobotschaften im Internet entwirft er ein Schreckensszenario: Europäische Union und Pharmaindustrie bedrohen angeblich Demokratie und Gesundheit. Per Gesetz werde Verbrauchern und Verbraucherinnen der Zugang zu Informationen über „Naturmittel“ verwehrt. Worum geht es genau? Und ist dieser Verein so uneigennützig, wie er tut?

Das Bedenklichste vorab: Im Internet ruft der Verein zur Unterschrift einer Petition auf. Ursprünglich lautete sie „Petition zum Schutz der natürlichen Gesundheit“ und warb mit dem Slogan: „Jeder hat das Recht, sich alternativ zu behandeln“.1 Im Oktober heißt sie nach diversen Veränderungen in der schriftlichen Fassung nur noch „Petition“.2 Nicht nur der Titel, sondern auch der Text der Petition wurden bei laufender Unterschriftensammlung verändert. Das ist schon Grund genug, sich die Initiatoren und deren Argumente näher anzusehen.

Tatsächlich gibt es eine Art „Grundrecht auf Gesundheit“, das der neu gegründete Verein im Namen führt – und zwar als Recht im Rahmen der Menschenrechte.3 Mehrere Abkommen der Vereinten Nationen und Erklärungen der Weltgesundheitsorganisation legen fest: Der bestmögliche Gesundheitszustand ist ein fundamentales Menschenrecht (Universale Erklärung der Menschenrechte §25 1948) – genauso wie der Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln und Gesundheitsdiensten (§ 12 Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, 1966). Dieses Recht kann natürlich nicht verhindern, dass Menschen erkranken. Aber es schafft einen rechtlichen Rahmen für internationale gesundheitspolitische Entscheidungen, die eine optimale Gesundheitsversorgung ermöglichen sollen.

Laut geheult

Der Verein „Grundrecht auf Gesundheit“ greift zwar die Sprache der Debatte über Menschenrechte auf, verfolgt aber eigene Interessen. Dabei legen sich die Verfasser verbal mächtig ins Zeug – je nachdem, welche Version der Petition man gerade liest. In der GPSP vorliegenden Fassung vom August 2013 ist die Rede von einem Europa, das „unsere Grundrechte mit Füßen tritt“1 und es wird das Gespenst einer „Todesliste“1 bemüht: „Im Grunde verbietet diese Todesliste 90% aller Informationen über die gesundheitsbezogenen Angaben von Inhaltsstoffe(n) … “. Hingegen heißt es in der Petition vom Oktober 2013 mit viel weniger Schaum vorm Mund: „Nach neuesten Informationen sind in der Liste mit den zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben ca. 90% aller ursprünglich beantragten gesundheitsbezogenen Angaben … nicht enthalten.“2

Worum geht es?

Der Verein spielt auf die Auswirkungen der EU-Verordnung 1924/2006 an, die die übertriebenen und oft verbrauchertäuschenden Gesundheitsversprechungen von Lebensmitteln regelt (Health-Claims-Verordnung). Dabei geht es nicht um die so genannten Naturheilmittel, die als Arzneimittel eine Zulassung haben müssen. Es geht um die gesamte Gruppe der Lebensmittel, zu denen außer Produkten wie Margarine, Orangensaft und Quark auch die Nahrungsergänzungsmittel, angereicherte Lebensmittel und zum Beispiel Tees gehören.

Dass diese Verordnung umgesetzt wird, ist nur zu begrüßen. Denn sie schützt Bürger und Bürgerinnen vor falschen Gesundheitsversprechungen in der Werbung oder auf dem Etikett eines Produkts. Ziel ist es, nur solche werbenden Aussagen zu erlauben, die wissenschaftlich begründet sind.

Die Lebensmittelanbieter in der EU hatten viel Zeit, ihre gesundheitsbezogenen Behauptungen (Health Claims) zur Prüfung bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) einzureichen. Mehrere Tausend erreichten die EFSA.4 Noch sind nicht alle abschließend geprüft, jedoch wurden bereits viele Anträge zu werbenden Aussagen mangels wissenschaftlicher Grundlage abgelehnt – umgerechnet etwa 95%.

Zurück zur Petition: Der Text „argumentiert“ mit Schlagwörtern und Parolen, die reißerisch klingen. So wendet er sich in der früheren Fassung „gegen ein Europa, in dem die demokratische Debatte ausgeschlossen wird.“1 Das klingt im Oktober zahmer: „Wir setzen uns für ein Europa ein, in dem die demokratische Debatte über gesundheitsbezogene Angaben stetig weitergeführt wird.“2 – Aber um es noch einmal deutlich zu sagen: Nicht die Produkte selbst werden via EFSA verboten, sondern lediglich die haltlosen Werbebehauptungen.

Eine weitere Attacke der Petition richtet sich gegen die Aufsichtsbehörde EFSA. Die hat aber klar definierte Aufgaben zum Schutz der menschlichen Gesundheit. Außerdem sind ihre Entscheidungen für jeden – soweit des Englischen mächtig – nachlesbar.5 Und deutschsprachige allgemeinverständliche Informationen gibt es auch.6

Noch im August lautete eine von drei Forderung der Petition „Integration des Rechts, sich alternativ zu behandeln“.1 Aber das zog einen Aufschrei aus dem Umfeld der Alternativmedizin nach sich.7 Denn mit alternativen Behandlungsarten – also etwa mit pflanzlichen Arzneimitteln – hat die Health-Claims-Verordnung nichts zu tun.

Offenbar als Reaktion auf diese Kritik ist die Petition in der Oktoberfassung2 anders formuliert. Es geht jetzt um die „Integration des Rechts, sich alternativ zu behandeln“. Und: Auf wunderbare Weise wurden aus ursprünglich drei Forderungen bis zum Oktober vier.

Im Schafspelz verborgen

In dem aktuellen Aufruf, die Petition zu zeichnen, wird deutlich, worum es dem Verein geht: Er warnt, „dass tausende kleiner Anbieter wertvoller Naturgesundheitsmittel vernichtet werden und mit ihnen die sanften Mittel der Natur“.11 Damit sind wir vermutlich beim eigentlichen Anliegen. Wer schon die Petition dieses Vereins in der August-Version1 unterzeichnete, konnte gleich einen Newsletter zum Thema abonnieren und erklärte sich bereit, Werbung von FID Gesundheitswissen8 zu beziehen. Dahinter steckt ein Anbieter allerlei obskurer Zeitschriften.9 Eine davon ist Dr. Spitzbart’s Gesundheits-Praxis, bei der sich ein kostenloses Einstiegsangebot in ein Abonnement für mindestens 120 € pro Jahr umwandelt.10 Die Petition unterstützt also auch die Vermarktungsinteressen des FID-Verlags.

Diese direkte Verbindung zu FID ist in der Oktober-Version2 nicht mehr so klar zu erkennen. Aber das ändert nichts an der engen Verflechtung: Sandra Witscher vom Verein „Grundrecht auf Gesundheit“ ist zugleich Geschäftsführerin von FID. Sie vermittelt im Internet in einer Videobotschaft die Petition.11 Im Vorstand sitzt neben Daniela Birkelbach (ebenfalls FID) noch Günter Stein, Chefredakteur des Newsletters „Besser verkaufen“.12 Die Petition an das Europäische Parlament dient offensichtlich der Selbstvermarktung ihrer Ini¬tiatoren. Dass die Kampagne von proV Nutraceutical, einem Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln, unterstützt wird, verwundert nicht.13

Fazit: Auch wenn bei dem Verein namens „Grundrecht auf Gesundheit“ ständig von „Gesundheit“ und „Behandlung“ die Rede ist, geht es offenbar um (pflanzliche) Nahrungsergänzungsmittel. Das sind keine Arzneimittel, sondern Lebensmittel. Dass für Lebensmittel nur noch mit Gesundheitsversprechungen geworben werden darf, die laut EFSA erwiesen sind, ist Verbraucherschutz und kein Grund für eine Petition Richtung Brüssel.

Die Tatsache, dass der Text der Petition offenbar im Laufe der Wochen verändert wurde, wirft rechtliche Fragen auf. Sind die Unterschriften dann noch gültig, und wer hat was unterschrieben? Wir erachten solch eine Petition als rechtlich angreifbar.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2013 / S.06