Die unsichtbare Hand
Über die Macht von Anzeigenkunden
Wenn kommerzielle Interessen den Informationsgehalt von medizinischen oder pharmazeutischen Fachzeitschriften verzerren, kann sich das sogar auf die Behandlungsqualität von Patientinnen und Patienten auswirken. In den letzten Jahren wurden mehrere beunruhigende Beispiele publik, die zeigen, wie Anzeigenkunden die Berichterstattung beeinflussen können.
Ärzte und Apotheker müssen ihr Fachwissen stets auf dem neuesten Stand halten. Dazu nutzen sie oft Fachzeitschriften, die im Idealfall unabhängig und ausgewogen über neue Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten berichten. Was aber, wenn kommerzielle Interessen der Herausgeber diese Informationen verzerren, etwa durch den Einfluss von Anzeigenkunden? Das ist keine theoretische Überlegung. Ein Blick auf aktuelle und historische Beispiele zeigt, wie weit dieses Problem inzwischen reicht.
„Nicht auflösbarer Interessenkonflikt“
Ende 2015 startete in der Pharmazeutischen Zeitung (PZ) eine neue Serie. Unter dem Titel „Evidenzbasierte Selbstmedikation“ machten sich zwei Autorinnen daran, bei viel verkauften Arzneimitteln die Spreu vom Weizen zu trennen. Dazu sichteten sie die wissenschaftliche Literatur und bewerteten die Studienlage. Von vielen PZ-Lesern gab es positive Rückmeldungen, da entsprechende Handreichungen für Apothekerinnen und Apotheker immer noch rar sind. Umso erstaunlicher war es, dass die Serie nach sechs Folgen abrupt eingestellt wurde. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass mehrere Hersteller mit dem Entzug von Anzeigen gedroht hatten, was für den Verlag einen herben finanziellen Schlag bedeutet hätte. Der Chefredakteur hatte nach dieser Drohung offensichtlich entschieden, dass eine solide Finanzierung wichtiger ist als das Ringen um inhaltliche Integrität. Das gab er in einer Antwort auf einen offenen Brief auch unumwunden zu: „Zeitschriften wie die PZ sind nach unseren Erfahrungen mit der Serie wegen eines nicht auflösbaren Interessenkonfliktes ungeeignet, OTC-Arzneimittel zu bewerten. OTC-Anzeigen sind eine wesentliche Einnahmequelle der PZ.“1
Vorauseilende Selbstzensur
Kritiker könnten entgegnen, dass dieses Beispiel doch höchstens einen indirekten Einfluss der Anzeigenkunden zeige, schließlich habe ja kein pharmazeutischer Hersteller aktiv in den Wortlaut eines Artikels eingegriffen. Dennoch kann die finanzielle Abhängigkeit dazu führen, dass bei den Redakteuren die „Schere im Kopf“ wirkt: Welchen Eindruck könnte wohl diese Formulierung oder jener kritische Artikel auf Anzeigenkunden machen? Und sollte man mögliche Konflikte nicht besser von vorneherein vermeiden, indem man einen Beitrag entschärft? Und selbst wenn sich die Redaktion dieser Selbstzensur entziehen kann, ist sie doch tagtäglich dem Druck der Anzeigenabteilung oder der kaufmännischen Leitung des jeweiligen Verlags ausgesetzt.
Kein Einzelfall
Das beschriebene Beispiel ist übrigens kein Einzelfall und keine Premiere: 2006 wurde eine Ausgabe der „Zeitschrift für Allgemeinmedizin“ eingestampft, weil einem Pharmahersteller ein Artikel nicht gefallen hatte und er bereits Anzeigen in anderen Zeitschriften desselben Verlags storniert hatte.2,3 Auch eine weitere Zeitschrift, „Der Hausarzt“, die zuerst Interesse an dem Artikel geäußert hatte, zog sich schließlich zurück – vermutlich aus ähnlichen Motiven.4
Und das gab es auch: Der Herausgeber einer Fachzeitschrift für Lungenheilkunde warf das Handtuch, nachdem die Redaktion ihn gedrängt hatte, sein pharmakritisches Vorwort abzumildern.5
Herausgeber und Beirat der Zeitschrift „Psychiatrische Pflege heute“ sahen sich sogar zum Rücktritt genötigt, nachdem sie erfolglos beim Verlag gegen eine als Fachbeitrag getarnte Werbeanzeige einer Pharmafirma protestiert hatten.6 In einem anderen Fall erfuhren Ärzte, die in einer Fachzeitschrift über Nebenwirkungen einer Antibiotika-Kombination berichten wollten, von der Ablehnung ihres Beitrags zuerst von einem Pharmareferenten des Antibiotikaherstellers, der ein wichtiger Anzeigenkunde der Zeitschrift war.7 Die Liste ließe sich weiter fortsetzen.
Altes Problem
Dieses Phänomen tritt nicht erst in jüngster Zeit auf, sondern lässt sich bereits mehr als hundert Jahre zurückverfolgen: So erstellte die 1911 gegründete Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft8 in ihren Anfangsjahren Arzneimittellisten, in denen sie Präparate in die Rubriken positiv, negativ oder zweifelhaft einteilte. Diese Listen wurden dem Aerztlichen Vereinsblatt beigelegt, das sich zu einem großen Teil über Anzeigen von pharmazeutischen Herstellern finanzierte. Die Folge: Der einflussreichste pharmazeutische Industrieverband drohte mit dem Entzug aller Inserate, wenn diese Arzneimittellisten weiter verteilt würden.9
Wenig Bewusstsein
Wer übrigens glaubt, dass die geschilderten Beispiele zu einem empörten Aufschrei bei den Leserinnen und Lesern geführt hätten, irrt: Bis auf wenige Einzelfälle nehmen Ärzte und Apotheker solche Erpressungsversuche ungerührt hin. Selbst die Standesvertretung der Apotheker sieht keinen Anlass, über alternative Finanzierungsmöglichkeiten für ihr Mitteilungsorgan Pharmazeutische Zeitung nachzudenken.10
Besser ohne Werbung
Längst ist belegt, dass Anzeigenschaltung und Information im Heft voneinander abhängen. Wie sonst lässt sich erklären, dass in Zeitschriften mit Werbung die Bewertung von Arzneimitteln deutlich positiver ausfällt als in Arzneimittelzeitschriften ohne Pharmawerbung? 11
Obwohl große systematische Untersuchungen zur Einflussnahme von Anzeigenkunden auf redaktionelle Entscheidungen bisher fehlen, zeichnet sich ein erkennbares Muster ab: Wenn sich Zeitschriften zu einem erheblichen Anteil über Werbung finanzieren, machen sie sich von Anzeigenkunden abhängig. Gute Pillen – Schlechte Pillen ist deshalb wie die Mutterzeitschriften das arznei-telegramm®, DER ARZNEIMITTELBRIEF, Arzneiverordnung in der Praxis und der Pharma-Brief frei von Werbung – damit wir Sie unabhängig und zuverlässig informieren können.
Stand: 30. August 2017 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2017 / S.22