CT und gut?
Neue Studien zum Screening auf Lungenkrebs
Tumore in der Lunge sind in Deutschland bei Männern die häufigste, bei Frauen die zweithäufigste Ursache für einen Krebstod. Betroffen sind vor allem starke Raucher. Lohnt sich für sie die Früherkennung per Computertomografie?
Früherkennung von Krebserkrankungen klingt intuitiv wie eine gute Sache. Dabei wird bei Menschen ohne Beschwerden danach gesucht, ob vielleicht in Brust, Darm oder Lunge ein bisher unerkannter Tumor schlummert. Das wird auch als Screening bezeichnet. Ob das immer sinnvoll ist, lässt sich jedoch nicht aus dem Bauch heraus beurteilen: Manche Früherkennung bringt keinen Nutzen, etwa wenn sich die Prognose dadurch nicht verbessert. Screening bringt auch Risiken mit sich, etwa dann, wenn die Untersuchungsmethode Nebenwirkungen hat. Und oft liegen Gewinn und Schaden sehr nah beieinander. Deshalb ist es bei jedem Screeningangebot wichtig, sich über Ausmaß von Nutzen und Schaden zu informieren und auf dieser Basis eine eigene Entscheidung für oder gegen die Teilnahme zu treffen.
Nicht alles erlaubt
Screeningverfahren, die Strahlung wie etwa Röntgen nutzen, müssen in Deutschland explizit genehmigt werden, da sie das Krebsrisiko leicht erhöhen können. Eine solche Genehmigung gibt es aber bislang nur für das Mammografie-Screening als Früherkennung auf Brustkrebs. Nicht erlaubt ist derzeit noch die Computertomografie (CT) mit einer niedrigen Dosis an Röntgenstrahlung für die Früherkennung von Lungenkrebs. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) prüft derzeit die Voraussetzungen, ob künftig auch diese Früherkennung in Deutschland erlaubt sein soll. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersucht gerade Nutzen und Schaden bei Menschen, die als starke (Ex-)Raucherinnen und Raucher ein erhöhtes Risiko für Lungenkrebs haben. Auf dieser Basis wird der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entscheiden, ob es für diese Risikogruppe künftig in Deutschland ein flächendeckendes Screeningangebot geben soll.
Was sagt die Forschung?
Bisher ist diese Früherkennungsmethode für Raucher nur in wenigen Studien untersucht worden. Die bislang größte war die US-amerikanische NLST-Studie mit rund 50.000 Teilnehmenden, bei der eine CT-Untersuchung mit der Früherkennung durch Röntgen des Brustkorbs verglichen wurde.1,2,3 2019 wurden die Zahlen mit einer Nachbeobachtungszeit von rund zwölf Jahren veröffentlicht.4 Anfang 2020 wurde außerdem die Auswertung der europäischen NELSON-Studie veröffentlich,5 bislang die zweitgrößte Untersuchung mit insgesamt rund 16.000 Teilnehmenden, bei der die Ergebnisse des Screenings mit denen ohne eine Früherkennung verglichen wurde. Ein Anlass, einmal einen Blick auf Nutzen und Schaden des CT-Screenings zu werfen, wie sie sich in diesen großen Studien darstellen (siehe auch Tabelle).6
Begrenzter Nutzen?
An beiden Studien nahmen aktuelle oder ehemalige starke Raucherinnen und Raucher ab 50 bzw. 55 Jahren teil. In der NLST-Studie hat das CT-Screening nach 6,5 Jahren 3 von 1.000 Menschen vor dem Tod durch Lungenkrebs bewahrt, insgesamt sind in der gescreenten Gruppe in diesem Zeitraum 5 von 1.000 Menschen weniger gestorben. Zwölf Jahre nach Beginn der Studie war der positive Effekt des Screenings aber nicht mehr nachweisbar, weder für den Tod durch Lungenkrebs noch für die Sterblichkeit insgesamt.
In der NELSON-Studie hat das Screening nach zehn Jahren 8 von 1.000 Menschen vor dem Tod durch Lungenkrebs bewahrt. Betrachtet man allerdings die Sterblichkeit an allen Krebsarten, gibt es keinen erkennbaren Unterschied und auch insgesamt starben in beiden Gruppen gleich viele Menschen. Das Screening rettete also keine Leben.
Und die Risiken?
Dem kleinen Nutzen steht aber auch ein gewisser Schaden gegenüber. Dazu gehört etwa die Strahlenbelastung, die beim CT noch höher ist als beim Röntgen.
Außerdem kam es in der NLST-Studie bei etwa jedem Dritten in der Gruppe mit CT-Screening zu einem Fehlalarm, das war etwa mehr als doppelt so viel wie in der Gruppe, die geröntgt wurde. Dadurch wurde bei 18 von 1.000 mehr als in der Vergleichsgruppe ein Eingriff zur Abklärung nötig und bei 2 von 1.000 mehr kam es zu Komplikationen. Fehlalarme betrafen in der NELSON-Studie mit jedem Zehnten etwas weniger Teilnehmende.
Unnötig behandelt?
In beiden Studien wurde auch ausgewertet, bei wie vielen Personen durch das Screening Lungenkrebs gefunden wurde, der während des betrachteten Zeitraums nicht auffällig geworden wäre und auch nicht hätte behandelt werden müssen (Überdiagnosen). In der NLST-Studie waren das nach 12 Jahren knapp 1 von 1.000. In der NELSON-Studie waren es 5 von 1.000. Das ist ebenfalls als Schaden des CT-Screenings zu werten.
Offene Fragen
In der NLST-Studie wurde nur CT-Screening mit Röntgen-Screening verglichen, aber nicht mit einer Gruppe ganz ohne Screening. Wie dieser wichtige Vergleich in Sachen Nutzen und Risiken ausgefallen wäre, bleibt unklar. Bei der NELSON-Studie waren 84% der Teilnehmer Männer, sodass die Aussagen für Frauen weniger sicher sind. Außerdem fehlen Angaben, bei wie vielen Menschen Eingriffe zur Abklärung notwendig waren und bei wie vielen davon Komplikationen auftraten.
Verwirrende Werbung – überall
Dieser komplexe Sachverhalt beim CT-Screening ist jedoch offenbar kein Grund, auf irreführende Werbung dafür zu verzichten – selbst wenn das CT für diesen Zweck derzeit in Deutschland noch verboten ist. Das hat eine Auswertung des BfS 2019 gezeigt (wir berichteten). In den USA ist das Verfahren zwar erlaubt, die Werbung dafür ist aber genauso unausgewogen wie hierzulande. Das hat eine kürzlich veröffentlichte Auswertung von US-amerikanischen Internetseiten ergeben. Fast alle betonten die Vorzüge dieses Screenings, aber nur knapp die Hälfte informierte auch über Risiken. Und nur jede Fünfte wies darauf hin, dass Interessierte gemeinsam mit Arzt oder Ärztin Vor- und Nachteile abwägen sollten.7
Fazit
Beim CT-Screening auf Lungenkrebs liegen Nutzen und Schaden nach den bisherigen Erkenntnissen wohl sehr nah beieinander, viele Fragen sind noch offen. Wir werden im Auge behalten, wie sich die Situation in Deutschland weiter entwickelt. Allerdings würden wir auch gerne wissen, ob sich mit anderen Maßnahmen nicht mehr Leben retten oder Lungenkrebstote verhindern lassen: nämlich durch eine Stärkung der Raucherentwöhnung und Prävention bei Jugendlichen, sodass sie erst gar nicht mit dem Rauchen anfangen.
Tücken des Screening
GPSP 3/2017, S. 19
Illegales CT-Screening
GPSP 1/2020, S. 12
Stand: 1. Juli 2020 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2020 / S.16