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©Kesu01/ iStock

Cannabis als Arznei

Studienlage nicht berauschend

Ob Hanfprodukte als Arzneimittel geeignet sind, darüber streiten die Experten. Für einige Anwendungen sind bereits Medikamente zugelassen, die auf Cannabis basieren. Doch sie sind nicht unbedingt die beste Wahl. Und dass wir es mit einer verbreiteten Rauschdroge zu tun haben, macht eine sachliche Klärung nicht einfacher.

Cannabis sativa (Hanf) wird weltweit als Rauschmittel konsumiert. In Deutschland steht der klassische Joint hoch im Kurs: Die Zahl derer, die regelmäßig kiffen, wird auf zwei Millionen geschätzt. Darunter sind vor allem Jugendliche.1 Cannabisprodukte wie Haschisch und Marihuana fallen in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Handel und Besitz sind illegal und können strafrechtlich verfolgt werden. Wer nur eine geringe Menge für den Eigenbedarf besitzt, muss nicht mit einer Strafe rechnen.2

Freigabe als Rauschmittel umstritten

Seit Jahren gibt es eine sehr kontroverse und emotional geführte Diskussion, ob Cannabis generell freigegeben werden soll. Die Befürworter haben sich in einigen Ländern durchgesetzt, zum Beispiel in den Niederlanden sowie in den US-amerikanischen Bundesstaaten Colorado und Washington. Neben dem Argument, dass der Drogengebrauch dadurch entkriminalisiert wird, argumentieren Befürworter, Cannabis sei eine sanfte Droge mit nur geringen Schadeffekten und führe nicht zu dauerhaften Schäden. Auch als Heilpflanze werde sie ja seit Jahrhunderten verwendet.

Die Auswirkungen eines regelmäßigen Cannabiskonsums sind jedoch keineswegs so harmlos, wie oft dargestellt. Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Zeitgefühl und Koordination von Muskeln können akut gestört sein und beispielsweise die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen. Dauerhafter Gebrauch kann vor allem bei Heranwachsenden Gehirnfunktionen schädigen und die schulische, berufliche und soziale Entwicklung negativ beeinflussen.3

Als Medikament geeignet?

In den letzten Jahren wurden die Wirkungen von Cannabis bei unterschiedlichen Krankheiten in medizinischen Studien geprüft. Deren Ziel war und ist es, im Falle einer Wirksamkeit auch sicher dosierbare Cannabispräparate – anders als bei Cannabis aus illegalem Handel – mit immer gleicher Wirkstoffmenge herzustellen. Für die Forschung stehen verschiedene Zubereitungen zur Verfügung (siehe Kasten, S. 8): Extrakte mit natürlichen Inhaltsstoffen der Hanfpflanze, aber auch chemisch veränderte Substanzen.

Für die meisten bisher diskutierten medizinischen Anwendungsgebiete von Cannabinoiden gibt es derzeit nur wenige aussagekräftige Studien, sodass klare Empfehlungen kaum möglich sind. Eine Wirksamkeit ist nur bei einigen Erkrankungen beziehungsweise Krankheitssymptomen belegt.

Multiple Sklerose (MS): Ein standardisierter Cannabisextrakt, Nabiximols (Sativex®), der THC und CBD enthält, ist ein Spray für die Mundhöhle. Es hat eine Zulassung als Zusatzbehandlung bei Schmerzen, die durch die Muskelverkrampfungen entstehen und die anders nicht zu lindern sind. Der Extrakt scheint auch gegen Nervenschmerzen und Schlafstörungen von MS-Patienten zu wirken.4

Übelkeit und Erbrechen durch Chemotherapie: Dies war einer der ersten genauer untersuchten medizinischen Einsatzbereiche von Cannabis. Die Wirksamkeit gilt mittlerweile als belegt. Eine Zulassung haben die beiden Substanzen Dronabinol (Marinol®) und Nabilon (Canemes®, Cesamet®). Inzwischen gibt es aber neue und besser wirksame Medikamente (Serotoninantagonisten). Cannabinoide spielen deshalb praktisch keine Rolle mehr.5,6

Appetitmangel bei Aids: Menschen mit Aids können möglicherweise von Cannabis profitieren. Es wird berichtet, dass sich Appetit, Gewichtszunahme, Stimmung und Lebensqualität verbessern.7 Eine Zulassung für diese Anwendung haben Dronabinol (Marinol®) und Nabilon (Canemes®, Cesamet®).

Chronische Schmerzen: Cannabis wirkt über spezielle Andockstellen im Gehirn (Cannabinoid-Rezeptoren) und in den Nerven schmerzlindernd. Der Effekt ist jedoch deutlich geringer als bei anderen Wirkstoffen, zum Beispiel Opioiden. Deshalb ist Cannabis auch nicht zur Behandlung akuter Schmerzen geeignet. Dagegen legen einige klinische Studien nahe, dass es bei chronischen Schmerzen wirkt. Wenn zugelassene Schmerzmittel chronische und besonders neuropathische Schmerzen nicht ausreichend lindern oder potenzielle Nebenwirkungen ihre Anwendung problematisch machen, kann man den zusätzlichen Nutzen von Cannabinoiden individuell prüfen.7,8 Eine Zulassung dafür existiert bei uns allerdings nicht. Der Arzt oder die Ärztin übernimmt in dieser Situation die Verantwortung und die Haftung.

Grüner Star (Glaukom, erhöhter Augeninnendruck): Bei der Untersuchung gesunder Marihuana-Konsumenten zeigte sich bereits Anfang der 1970er Jahre zufällig, dass das Rauschmittel den Augeninnendruck senkt. Nachfolgende Studien mit gesunden Menschen und Patienten mit Glaukom fanden, dass Cannabinoide den Augeninnendruck individuell jedoch sehr unterschiedlich beeinflussen. Die Wirkung hält außerdem nur 4 bis 6 Stunden an und stellt sich manchmal erst bei hohen Dosierungen ein.8 Die üblichen Medikamente sind insgesamt wirksamer. Eine Zulassung für das Anwendungsgebiet Glaukom gibt es nicht.

Chronische Entzündungen: Cannabinoide wirken auch entzündungshemmend. Aus Tierversuchen und kleineren klinischen Studien ergeben sich Hinweise auf eine lindernde Wirkung bei Entzündungen und Autoimmunerkrankungen. Mögliche Anwendungen sind zum Beispiel die rheumatische Gelenksentzündung und die chronisch entzündliche Darmerkrankung. Für eine abschließende Bewertung ist die Datenlage aber unzureichend.7,8 Und eine Zulassung besteht nicht.

Epilepsie: Aus Tierexperimenten und wenigen Beobachtungen bei Betroffenen gibt es Hinweise, dass Krampfanfälle durch Marihuana abnehmen und CBD antiepileptisch wirksam sein könnte. Zuverlässige Studienergebnisse zur Wirksamkeit und Langzeitsicherheit fehlen aber.9 Auch hier gibt es keine Zulassung.

Nutzen und Risiko nah beisammen

Wegen der schwer kalkulierbaren Schadwirkungen sind Cannabiswirkstoffe bei keiner der genannten Erkrankungen Mittel der ersten Wahl in der Therapie. Zudem ist es schwierig, die richtige Dosierung zu finden, denn leicht übersteigen die negativen Auswirkungen den Nutzen, wenn die Dosis nur etwas zu hoch ist.

In der Palliativmedizin könnten Cannabispräparate allerdings einen Nutzen haben, besonders wenn es bei nicht mehr zu heilenden, stark leidenden Menschen primär darum geht, das psychische und körperliche Befinden zu bessern.

Die Rahmenbedingungen machen die Forschung nicht eben einfach: Die unterschiedlichen nationalen Gesetze erschweren es, Studien mit Cannabis zu machen. Dabei müsste man zunächst einzelne Wirkstoffe untersuchen, statt Extrakte, die eine Vielfalt von Stoffen in unterschiedlichen Konzentrationen enthalten. Beim Inhalieren (Rauchen) oder auch bei Mundsprays mit Cannabisextrakten lassen sich die Wirkstoffe übrigens nur ungenau dosieren.9,10,11

Opioide GPSP 1/2016, S. 4

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2016 / S.07