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„Gene sind kein Schicksal“

Jörg Blech: Gene sind kein Schicksal. Wie wir unsere Erbanlagen und unser Leben steuern können, S. Fischer 2010, 286 Seiten, 18,95 €

Dieses neue Sachbuch von Jörg Blech, der vor allem mit „Die Krankheitserfinder“1 Aufsehen erregt hat, kommt zum richtigen Zeitpunkt. Es räumt mit der in der modernen Medizin weit verbreiteten Hoffnung auf, man müsse nur die Gene für sämtliche Krankheiten finden, dann ließe sich fast alles Leiden an Körper und Seele gezielt beheben – gewissermaßen an der Wurzel des Übels: durch Reparatur krankmachender Gene, Entfernung krebsgefährdeter Organe, die vorbeugende Einnahme von Medikamenten usw.

Blech betont, dass diese Ansätze nur bei solchen seltenen Erkrankungen greifen, bei denen tatsächlich ein einzelnes Gen „schuld“ ist: Phenylketonurie, Mukoviszidose oder Marfan-Syndrom (so genannte monogene Erbkrankheiten).

Sein Thema sind aber die angeblich ererbten Volkskrankheiten: „Es vergeht kaum eine Woche, in der Forscher nicht die Entdeckung neuer Krankheitsgene verkünden.“ Das Kettenraucher-Gen, das Depressions-Gen, Gene für Fettleibigkeit, hohen Blutdruck oder Diabetes sind nur einige Beispiele. Entdeckt haben Wissenschaftler allerdings in der Regel nur kleine genetische Auffälligkeiten2 – etwa bei einer Gruppe von Menschen mit Altersdiabetes, dem Diabetes mellitus Typ 2 – nachdem das Erbgut (Genom) von vielen tausend Menschen durchforstet worden war. Die relative Risikoerhöhung durch solche minimalen Unterschiede sei in der Regel ebenfalls minimal und werde mit statistischen Tricks hochgespielt, so der Autor. Ein erhöhtes Risiko für eine Erkrankung wie Diabetes mellitus Typ 2 beruht meist nicht auf einer einzigen genetischen Auffälligkeit, sondern es müssen mehrere zusammen kommen. Und selbst wenn das der Fall ist, handelt es sich eben nur um ein statistisch erhöhtes Risiko.

Der Biologe und Spiegel-Autor erläutert an vielen anschaulichen Beispielen, dass gerade bei den so genannten Volkskrankheiten der Einfluss der Gene gering ist, hingegen negative wie positive Einflüsse der Umwelt und des persönlichen Lebensstils in Form von Rauchen, Alkohol, Ernährung, liebevoller Zuwendung oder Training zur Stressreduktion erheblich sein kann.

Mehrfach kommt Jörg Blech darauf zu sprechen, dass die Formung der genetischen Ausstattung durch die Umwelt keine hypothetische Annahme mehr ist, seit im Detail belegt wurde, wie Stoffe, die in unseren Körper gelangen, oder Hormone, die wir bei Stress ausschütten, bestimmte Gene aktivieren oder lahmlegen können. Der Schlüsselbegriff für diese Prozesse ist „Epigenetik“. Sie befasst sich mit biochemischen Vorgängen, die nicht die Gene selbst, aber ihre Ablesbarkeit3 beeinflussen. Wer dazu mehr aus der Perspektive der Tumorforschung erfahren möchte, der bestelle das Themenheft „Epigenetik – vom An- und Abschalten der Gene“ beim Deutschen Krebsforschungszentrum.4

Damit endlich klarer wird, wie Umweltfaktoren die Gene beeinflussen können, ist noch viel zu tun. Blechs Buch ist insofern vor allem eine ausgiebige Indiziensammlung. „Gene sind kein Schicksal“ muss man vor allem als Plädoyer verstehen, den Einfluss der Umwelt auf Körper und Seele ernster zu nehmen. Folgerichtig kritisiert der Autor die Forschungspolitik: „Auf der Suche nach genetischen Hirngespinsten verpulvern Forscher Summen in Milliardenhöhe …“ und finden nur Genabschnitte, die für die eine oder andere Krankheit – ein bisschen – disponieren. Sinnlosen aber teuren Gentests bestellen sie so das Feld. Dass Gene kein unabänderliches Schicksal sind, ist für Jörg Blech eine „wunderbare Prophezeiung“. Sie kann Ansporn sein, selbst mehr für die Gesundheit tun. Das finden wir auch.5

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2011 / S.11