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© Jörg Schaaber

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Viel Rummel um ein neues Brustkrebsmedikament

Da kommt ein neues Medikament gegen Brustkrebs auf den Markt und schon ist der Streit da. Nützt Palbociclib (Ibrance®) den betroffenen Frauen mehr als die bisherigen Behandlungsmöglichkeiten oder nicht? Diese Auseinandersetzung wird hochemotional geführt. Und die BILD-Zeitung mischt auch noch mit.

„Kein Zusatznutzen“ lautete das Urteil des für die Bewertung von neuen Arzneimitteln zuständigen Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).1 Der Hersteller „Pfizer kann diese Einschätzung nicht nachvollziehen und ist enttäuscht (…)“.2 Einige Experten und Fachgesellschaften halten das neue Medikament für einen bedeutsamen Fortschritt für betroffene Frauen, andere sind skeptisch.3

Auch das von einer Brustkrebs­patientin gegründete MammaMia-Magazin – eine werbefinanzierte Zeitschrift – mischte sich ein und startete sogar eine Petition an den Deutschen Bundestag. In einem auf YouTube verbreiteten flammenden Plädoyer greift die Chefredakteurin den G-BA-Chef Josef Hecken direkt und persönlich an. Dabei klagt sie: „Dieses Medikament schafft es bei metastasierten Brustkrebs­patienten das Fortschreiten der Krankheit um zusätzlich durchschnittlich 10 Monate zu verlängern [gemeint ist verzögern, Red.], aus Ihrer Sicht kein Nutzen für Patienten.“4

Was ist dran?

An Palbociclib wird das Dilemma vieler neuer Arzneimittel deutlich: Man weiß eigentlich noch nicht genug. Entscheidend für Frauen, die unter fortgeschrittenem Brustkrebs leiden, ist ja, ob sie durch das Medikament länger leben oder die verbleibende Zeit wenigstens erträglicher wird.

Länger leben?

Ob das neue Medikament Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs ein längeres Leben ermöglicht, ist derzeit unklar. Das liegt vor allem daran, dass die maßgebliche Studie „PALOMA 2“ erst im November 2018 enden wird. Vom Hersteller Pfizer wurden aktuelle Zahlen zum Überleben aus dieser Studie nicht vorgelegt. Nach Angaben der Firma sind ihr diese Daten (noch) nicht zugänglich. Gleichzeitig präsentierte Pfizer aber andere Auswertungen, die sich ohne Kenntnis der Anzahl der bereits verstorbenen Frauen gar nicht berechnen lassen. Das IQWiG hat aus diesen Daten ermittelt, dass man derzeit von keiner längeren Überlebensdauer ausgehen kann.

Der Hersteller legte dem G-BA ergänzend eine weitere Studie vor. Doch die bot nur alte Zahlen mit Datenstand November 2013. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keinen Überlebensvorteil. Kürzlich wurden dann auf einem Kongress die Endergebnisse vorgestellt: Frauen lebten mit dem Medikament nicht länger.5

Vorteil Tumorwachstum?

Pfizer leitet den angeblichen Vorteil von Palbociclib aus dem Tumorwachstum ab: Bei einem Teil der Frauen, die das Mittel erhalten hatten, wuchsen die Tumoren langsamer als bei den Frauen, die nur das Vergleichsmedikament Letrozol bekommen hatten. Solche Messungen des Tumorwachstums fließen in das sogenannte progressionsfreie Überleben (PFS) ein. Das PFS ist aber bekanntlich ein unzuverlässiger Indikator für einen spürbaren Nutzen.

Wohl kein Zusammenhang

Bei anderen Brustkrebsmedikamenten hat sich nämlich bereits gezeigt, dass ein langsameres Tumorwachstum meist kein längeres Überleben mit sich bringt. Das hebt auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hervor: „Eine Korrelation zwischen PFS und OS (Gesamtüberleben) ist für das metastasierte Mammakarzinom nicht erwiesen.“3

Erschwerend kommt hinzu, dass der behauptete Vorteil lediglich auf dem in Röntgenaufnahmen gemessenen geringeren Tumorwachstum beruht. Das bedeutet aber nicht, dass es den Patientinnen besser geht. Diesen Umstand scheinen viele Befürworter des neuen Medikaments nicht zu erkennen. Auch Pfizer selbst spricht irreführend von „qualitativ wertvolle[r] Lebenszeit ohne ein Fortschreiten der Krebserkrankung für Patientinnen“.2

Weniger Symptome?

Worin diese „Qualität“ bestehen soll, weiß wohl allein der Hersteller. Denn weder bei den Krankheitssymptomen noch bei der Lebensqualität lassen sich Vorteile für Palbociclib erkennen. Allerdings ist der Wirkstoff schlecht verträglich. Schwere unerwünschte Wirkungen treten deutlich häufiger und früher auf als bei der Vergleichstherapie.4,5

Trotzdem hält Pfizer das Urteil des G-BA für ungerecht. Die Firma stützt sich dabei aber weniger auf wissenschaftliche Fakten denn auf Meinungen und verbreitet: „Diese Überzeugung wird nicht nur durch positive Rückmeldungen von Ärzten/innen und Patientinnen aus dem In- und Ausland, sondern auch durch die aktuellen AGO-Leitlinien gestützt.“6

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Ein besonderer Clou gelang dem Hersteller Pfizer, indem er eine Kooperation mit der BILD-Zeitung einging. Die Arzneifirma sponsert den Ratgeber Brustkrebs von BILD. Kein Wunder, wenn sich darin Überschriften finden wie „Neue Immuntherapie gibt neue Hoffnung“7 oder „Wir werden den Krebs ein zweites Mal besiegen“.8 In beiden Artikeln wird zwar der Name des Medikaments oder Wirkstoffs nicht genannt, aber recht eindeutig beschrieben.

Es geht auch ums Geld

Die ungünstige Bewertung durch den G-BA ist für Pfizer auch ein wirtschaftliches Problem. Denn Ibrance® zählt zu den fünf neuen Blockbustern, die das Unternehmen seinen Aktionären als Geldmaschine verspricht.9,10 Das sind Medikamente, die mehr als eine Milliarde US$ Umsatz pro Jahr erzielen. In den USA brachte es die Firma im letzten Jahr bereits auf einen Umsatz von über zwei Milliarden US$. Boston Consulting traut dem Präparat perspektivisch sogar den zweithöchsten Umsatz aller Neueinführungen des Jahres 2015 zu: fast fünf Milliarden US$ im Jahr 2020.11

Wenn man bedenkt, dass Palbociclib über 66.000 € pro Patientin und Jahr kostet, ist das ziemlich viel Geld für einen fragwürdigen Zusatznutzen. Zumal das Medikament zusätzlich zu Letrozol verordnet wird.

Bisher wird nur mit Letrozol behandelt (und in der Studie war dieser Therapiestandard die Vergleichstherapie). Letrozol kostet gerade einmal 300 €.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2017 / S.12