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© Brett Charlton/ iStockphoto.com

Prostatakrebs: Besser abwarten?

Aktive Überwachung bei Prostatakrebs

Bei Prostatakrebs ist nicht immer sofort eine Operation oder Bestrahlung notwendig. In manchen Fällen kann die „aktive Überwachung“ eine Option sein.

Männer im mittleren Alter erhalten beim Arzt oft das Angebot, auf eigene Kosten einen sogenannten PSA-Test durchführen zu lassen. Dieser Test bestimmt die Konzentration eines bestimmten Eiweißes im Blut, das die Vorsteherdrüse (Prostata) auch bei normaler Funktion absondert. Bei verdächtig erhöhten Werten schließt sich oft eine Gewebeuntersuchung (Biopsie) an, um abzuklären, ob möglicherweise Prostatakrebs vorliegt (GPSP 3/2009, S. 5).

Der Nutzen des PSA-Tests ist allerdings umstritten: Denn die Werte sind durch diverse Faktoren beeinflussbar, und gerade bei Prostatakrebs gibt es Formen, die sehr langsam verlaufen und den betroffenen Männern zu Lebzeiten gar keine Probleme bereiten. Die Behandlung dagegen – meist eine Operation oder Bestrahlung – kann zu anhaltenden Beschwerden wie Blasenschwäche und Erektionsstörungen führen, die belastend sind und die Lebensqualität deutlich beeinträchtigen.1

Welche Behandlung?

Entdeckt der Arzt nach einem PSA-Test und einer Biopsie einen Prostatakrebs mit niedrigem Risiko, schnell zu wachsen oder zu streuen, muss „Mann“ sich entscheiden: Soll der Tumor gleich entfernt oder bestrahlt werden und nehme ich dafür die möglichen Nebenwirkungen in Kauf? Oder warte ich erst einmal ab, wie sich die Erkrankung weiter entwickelt? Die Entscheidung aufzuschieben, bedeutet nicht, nichts zu machen, sondern eine „aktive Überwachung“ mit regelmäßigen Tests. Allerdings war es lange unklar, welche Konsequenzen dieses abwartende Vorgehen im Vergleich zu den anderen Therapiemöglichkeiten hat. Inzwischen wissen wir mehr.

Studien bringen Licht

2016 wurden die Ergebnisse einer britischen Studie mit rund 1.600 Männern veröffentlicht, die Behandlungsoptionen miteinander verglich.2 Die Mediziner hatten die Teilnehmer nach dem Zufalls-prinzip einer von drei Gruppen zugeteilt: Die erste erhielt kurz nach der Diagnose Bestrahlungen und zusätzlich Arzneimittel, die den Spiegel männlicher Hormone senken. Beides sollte das Krebswachstum eindämmen. Bei der zweiten Gruppe wurde die Prostata in einer Operation komplett entfernt. In der dritten Gruppe bestimmten die Ärzte zunächst nur in regelmäßigen Abständen den PSA-Wert. Erst wenn dieser deutlich anstieg oder die Männer über Beschwerden klagten, wurde tiefgehender untersucht. Und je nach Befund schloss sich dann eine Operation oder Strahlentherapie an.

Gleiche Sterblichkeit, weniger Nebenwirkungen

Nach zehn Jahren Beobachtung wurde deutlich: Bei Männern mit aktiver Überwachung statt zeitnaher Behandlung entwickelte sich der Krebs zwar häufiger weiter, und es bildeten sich auch öfter Krebsabsiedlungen, also Metastasen. Die Männer starben aber nicht früher, weder insgesamt noch durch Prostatakrebs. Eindeutig litten die Männer mit aktiver Überwachung deutlich seltener an Impotenz als die Teilnehmer mit den beiden anderen Therapieoptionen. Blasenschwäche war bei aktiver Überwachung deutlich weniger ausgeprägt als nach einer Operation. Rund die Hälfte der Männer, die sich zuerst nur einer aktiven Überwachung unterzogen, mussten allerdings im Laufe der zehn Jahre dennoch früher oder später operiert oder bestrahlt werden und die entsprechenden Nebenwirkungen in Kauf nehmen.

Individuelle Entscheidung

Anhand dieser Studie können Betroffene nun also etwas besser abschätzen, welche Konsequenzen die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Therapieoption hat. Wie ein Mann sich entscheidet, hängt sicherlich von vielen Faktoren ab, zum Beispiel von persönlichen Prioritäten. Ist mir die frühzeitige Entfernung des Tumors wichtiger oder eine möglichst lange Beschwerdefreiheit? Das Alter, die Lebenssituation und mögliche Begleiterkrankungen werden die jeweilige Entscheidung sicher ebenfalls beeinflussen. Man muss aber auch sagen: Mit der wichtigen Studie sind längst nicht alle offenen Fragen beantwortet. So gibt es etwa keine einheitliche Definition, was „aktive Überwachung“ genau bedeutet. In der britischen Studie wurden für den Patienten belastende Gewebeproben nur bei verdächtig ansteigenden PSA-Werten vorgenommen, in der deutschen Leitlinie sind sie dagegen in regelmäßigen Abständen vorgesehen. Wie sich solche Unterschiede auf Nutzen und Schaden der aktiven Überwachung auswirken, ist noch nicht ausreichend untersucht.3

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2018 / S.04