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© F. Spaich/ iStock

Wie es der Zufall will: Was Vergleiche fair macht

Zufall und gute Wissenschaft – schließt sich das nicht aus? Ganz im Gegenteil: Denn in guten klinischen Studien sorgt gerade der Zufall für ausgewogene Ausgangsbedingungen.

Was macht eine gute Studie zu Arzneimitteln oder anderen Behandlungsmethoden aus? In der ersten Folge unserer Serie ging es um die Notwendigkeit von Vergleichen. Anders ausgedrückt: Gute Studien brauchen immer eine Kontrollgruppe. Das heißt also: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine bekommt die zu testende Behandlung, zum Beispiel ein neues Arzneimittel. Die andere, also die Kontrollgruppe, erhält ein Scheinmedikament (Placebo) oder das bisher am besten wirksame Medikament. Diese Wahl hängt unter anderem von der Fragestellung der Studie ab.

Ohne Handicap

So weit, so gut. Aber auch ein Vergleich mit Kontrollgruppe kann hinken – nämlich dann, wenn die Ausgangsbedingungen in beiden Gruppen zu Beginn der Studie nicht ähnlich genug waren: Wenn etwa in der Kontrollgruppe mit dem bewährten Arzneimittel die Patientinnen und Patienten kränker waren. Ermittelt die Studie dann einen Vorteil für die Teilnehmenden mit dem neuen Mittel, lässt sich nicht sicher sagen: Lag das tatsächlich daran, dass das neue Medikament besser wirkt als die bewährte Therapie? Oder hatten die Patienten, die mit dem neuen Mittel behandelt wurden, vielleicht nur bessere Startbedingungen?

Was beeinflusst den Therapieerfolg?

Das macht deutlich: In einer guten Studie müssen die Patien­tinnen und Patienten in den beiden Gruppen zu Beginn sehr ähnlich sein. Aber wie kann das gelingen? Eine Möglichkeit wäre natürlich, sich die Patienten genau anzusehen und dann gerecht auf die Gruppen zu verteilen. Also zum Beispiel so, dass in beiden Gruppen gleich viele Menschen mit einem leichten, mittleren und schweren Krankheitsstadium sind. Aber es gibt in der Regel noch mehr Faktoren, die möglicherweise den Therapieerfolg beeinflussen: das Gesundheitsverhalten, das Alter, die weiteren eingenommenen Medikamente, je nach Krankheit vielleicht auch Ernährung, Bewegung und anderes mehr. Die Aufzählung macht deutlich: Sämtliche Faktoren lassen sich gar nicht berücksichtigen, selbst wenn sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Studie viel Mühe geben.

Vorteile der Randomisierung

Was ließe sich dann noch für vergleichbare Ausgangsbedingungen tun? Die Antwort ist so simpel wie genial: Einfach den Zufall über die Gruppenzugehörigkeit entscheiden lassen. Denn eine wirklich zufällige Zuteilung macht verzerrende oder gar willkürlich herbeigeführte Unterschiede zwischen Gruppen unwahrscheinlicher. Im wissenschaftlichen Jargon wird das auch „Randomisierung“ genannt (englisch „random“ = zufällig) und entsprechende Untersuchungen sind „randomisierte kontrollierte Studien“.

Was zählt

Aber wie im richtigen Leben: Der Name ist nicht immer aussagekräftig. Und so heißt die Bezeichnung „randomisiert“ bei einer Studie nicht automatisch, dass es auch eine zuverlässige zufällige Zuteilung gab. Für eine ordentliche Randomisierung braucht es nämlich zwei Komponenten. Zum einen eine echt zufällige Reihenfolge der Zuteilung. In der Praxis wird das meist mit computergenerierten Zufallszahlen erreicht.1 Zum anderen muss diese zufällige Reihenfolge geheim gehalten werden, sodass die an der Studie Beteiligten die Verteilung auf die beiden Gruppen nicht manipulieren können.2

Der Idealfall

Wie lässt sich das in einer guten Studie umsetzen? In der Regel wird die zufällige Zuteilung von einer Person erstellt, die nichts mit der Betreuung der Studienteilnehmer zu tun hat. Anhand der ermittelten Zufallszahlen werden dann die Medikamente verpackt: Zum Beispiel erhält Patientin 1 Arzneimittel B, Patient 2 erhält Arzneimittel A, Patientin 3 erhält Arzneimittel A, Patientin 4 erhält Arzneimittel B und so weiter. Auf den neutralen Verpackungen wird nur die Nummer der Versuchsperson vermerkt, aber nicht der Name des Arzneimittels. Wird ein Patient neu in die Studie aufgenommen, erhält er die nächstfolgende Nummer und das entsprechend zugeordnete Mittel. Damit können die betreuenden Studienärzte und -ärztinnen nicht beeinflussen, welcher Gruppe der Patient zugeordnet wird.

Die Geschichte der Hormontherapie

Hört sich alles ziemlich komplex an. – Ist das wirklich nötig? Werfen wir dazu einen kleinen Blick in die Medizingeschichte, konkret auf die Hormonbehandlung in den Wechseljahren. In dieser Zeit nimmt bei Frauen die Produktion des weiblichen Geschlechtshormons Östrogen ab. Weil Östrogen aber auch einen schützenden Effekt auf Herz und Kreislauf hat, nimmt das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall nach den Wechseljahren zu. Deshalb war es früher üblich, ältere Frauen großzügig mit Hormonen zu versorgen. Denn dann – so die Überlegung – sollte doch die Gefährdung wieder abnehmen.

Neben diesen theoretischen Über­legungen zogen die Befürworter der Hormontherapie auch Studien heran. In denen wurden Frauen mit Hormonbehandlung mit solchen verglichen, die auf die Einnahme verzichteten. Und es sah so aus, als ob die Hormon­therapie tatsächlich vor Herz­infarkten und Schlaganfällen schützt. Das führte dazu, dass Ärzte diese Hormone immer öfter verordneten.

Unsichere Datenlage

Allerdings waren auch Stimmen von Kritikern zu hören: 3 Sie wiesen darauf hin, dass die Aussagekraft dieser Studien doch sehr begrenzt sei. Das Problem: In den Untersuchungen waren die Frauen nicht zufällig – also nicht randomisiert ­– der Hormonbehandlung zugeteilt worden. Sondern die behandelnden Ärzte hatten sich je nach eigenen Erwägungen und den geschilderten Problemen für oder gegen die Verordnung entschieden.

Das führt aber dazu, dass die Aus­gangsbedingungen in den Gruppen nicht unbedingt gleich waren und sich deshalb aus den Studienergebnissen keine verlässlichen Schlussfolgerungen ziehen lassen. Zu diesem Zeitpunkt – Mitte der 1990er Jahre – fehlten aber bessere Studien.

Erschreckende Erkenntnisse

Als einige Jahre später randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt und die Ergebnisse publik wurden, zeigte sich ein erschütterndes Resultat: Die Hormone schützten nicht vor Herzinfarkt und Schlaganfall. Im Gegenteil: Sie ließen das Risiko dafür sogar ansteigen! 4 Aber warum widersprachen die Ergebnisse der randomisierten Studien den bisherigen Erkenntnissen so stark? Genauere Analysen ergaben, dass in den Studien ohne zufällige Gruppenzuteilung meist nur Frauen mit einem geringen Risiko für einen Herzinfarkt die Hormone bekommen hatten. Das gaukelte vor, dass die Hormone schützen – was sie aber in Wirklichkeit gar nicht taten.5 Erst in den randomisierten Studien zeigte sich der wahre schädliche Effekt.

Die Moral von der Geschichte

Wenn es um den Nutzen von Arzneimitteln oder anderen Behandlungen geht, sollte man sich also nicht auf Studien ohne zufällige Zuteilung verlassen. Wenn wir für unsere Beiträge in der wissenschaftlichen Literatur recherchieren, berücksichtigen wir deshalb bevorzugt randomisierte kontrollierte Studien – denn nur so lässt sich feststellen, ob tatsächlich das untersuchte Mittel und nicht etwa andere Faktoren für das Therapieergebnis verantwortlich sind. Fairerweise muss man allerdings sagen: Auch in randomisierten kontrollierten Studien kann noch einiges schief gehen. Aber darüber berichten wir dann in der nächsten Folge.

Gute Studien: Faire Ver­gleiche
GPSP
 1/2019, S. 19

Hormone in den Wechsel­jahren
GPSP
 1/2005 S. 7

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2019 / S.24