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Vom Glück der Unordnung

Die Entdeckung des Penicillins

Alexander Fleming in seinem Labor, ca. 1940 Imperial War Museum, London
Alexander Fleming in seinem Labor, ca. 1940
Imperial War Museum, London

Durch Alexander Fleming haben einige früher tödliche Infektionskrankheiten ihren Schrecken verloren: 1928 entdeckte er einen Wirkstoff, der das Wachstum von krankmachenden ­Bakterien hemmt. Das verdanken wir vor allem seinem Unwillen, im Labor Ordnung zu halten.

In der gängigen Vorstellung laufen wissenschaftliche Entdeckungen oft so ab: Die Welt hat ein drängendes Problem. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler suchen strukturiert und gezielt nach Lösungen, bis es endlich den entscheidenden Durchbruch gibt. Bei der Entdeckung des Penicillins spielte jedoch der glückliche Zufall eine entscheidende Rolle. Und es war eigentlich doch kein Zufall, sondern der Forschungsphilosophie des schottischen Penicillin-Entdeckers Alexander Fleming zu verdanken. Sein Motto war: keine starren Pläne. Man müsse „seine Tagesarbeit tun, dabei aber gewärtig sein, auf Unerwartetes zu stoßen und dessen Bedeutung abzuschätzen.“1

Ein schlampiger Forscher

Nach seinem Medizinstudium hatte Fleming 1906 angefangen, Bakterien und Impfungen zu erforschen. Allerdings zeigte sich schnell, dass Flemings Ordnungssinn nur sehr schwach ausgeprägt war. Der Nachteil: Seine Gerätschaften waren oft mit Bakterienkulturen übersät. Der Vorteil: Seine Unordnung führte zu zwei wichtigen Entdeckungen. So war ihm im November 1921 während einer Erkältung eine kleine Menge seines Nasensekrets in eine Kulturschale getropft, in der er Bakterien angezüchtet hatte. Weil er die Schale nicht gleich entsorgte, machte er einige Zeit später eine überraschende Entdeckung: Die Bakterien hatten sich über die ganze Kulturschale ausgebreitet. Aber an den Stellen, auf die sein Nasensekret getropft war, hatten sie sich aufgelöst. Fleming schloss daraus, dass Nasensekret einen Stoff enthält, der Bakterien tötet. Schon bald fand er die gleiche Substanz in Tränenflüssigkeit, Speichel und Blut. Damit entdeckte er einen wichtigen Abwehrstoff des Körpers gegen Eindringlinge: das Lysozym. Allerdings konnte er mit dem Enzym gegen viele bedeutsame bakterielle Krankheitserreger nur wenig ausrichten.2

Aufräumen lohnt nicht

Flemings Schlampigkeit führte schließlich zu einer Entdeckung, die zum Segen für die Menschheit werden sollte. 1928 hatte er mit Kulturen des Bakteriums Staphylococcus aureus experimentiert. Auch dabei standen Kulturschalen wohl längere Zeit unbeachtet herum und schimmelten vor sich hin. Einige Zeit später bemerkte Fleming eine Besonderheit: In einer Schale hatten sich die Staphylokokken rund um die Schimmelpilzkolonie aufgelöst. Er fragte sich, ob die Schimmelpilze in der Lage wären, auch andere Bakterien aufzulösen. Also begann er mit Experimenten: Er vermehrte den Pilz in einer frischen Schale. Würden dort jetzt noch Staphylokokken wachsen? Taten sie nicht.

Es folgten Versuche mit zahlreichen anderen Bakterien. Auch hier das gleiche Phänomen: Keiner der von ihm getesteten Bakterienstämme schaffte es, in der Schale mit dem Schimmelpilz zu überleben. Später züchtete Fleming in Fleischbouillon eine Reinkultur des Schimmelpilzes, der den wissenschaftlichen Namen Penicillium notatum trägt. Die Flüssigkeit mit Stoffwechselprodukten dieses Pilzes nannte Fleming deshalb „Penicillium“. Daraus wurde später der heute gebräuchliche Name Penicillin.

Frühe Hinweise

Fleming fand etwas später heraus, dass der französische Bakteriologe Louis Pasteur schon im Jahr 1877 beschrieben hatte, dass sich unterschiedliche Keime gegenseitig abstoßen können. Der französische Militärarzt Jean Antoine Villemin nannte dieses Phänomen 1889 „Antibiose“. Die antibiotische Wirkung von Schimmelpilzen war übrigens auch in anderen Kulturkreisen bekannt. So soll bereits um das Jahr 1000 v. Chr. in China schimmeliger Sojabohnenbrei dazu verwendet worden sein, Geschwüre zu reinigen. Auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten einige Forscher die hemmende Wirkung von Schimmelpilzen auf einige Bakterien beschrieben. Aber die Untersuchungen wurden nicht weitergeführt. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatten alle Experimente gezeigt, dass jede für Bakterien schädliche Substanz auch körpereigene Zellen angreift.

Besser verträglich

Fleming konnte jedoch in Tierexperimenten nachweisen, dass die von ihm entdeckte Substanz auch in einem lebenden Organismus das Wachstum von Bakterien hemmt – ohne ihn zu schädigen. Außerdem beeinträchtigte sein Schimmelpilzextrakt nicht die körpereigene Abwehr, wie es bei manchen anderen Antiseptika der Fall war.

Allerdings sollte es noch viele Jahre dauern, bis Flemings Entdeckung tatsächlich Patienten helfen konnte. Es war technisch sehr schwierig, eine konzentrierte und gereinigte Penicillin-Lösung herzustellen. Hinzu kam, dass Anfang der 1930er Jahre mit den synthetischen Sulfonamiden andere, chemisch unkompliziertere Wirkstoffe entwickelt wurden, die bei manchen Infektionen halfen. Die Penicillin-Forschung trat also erst einmal auf der Stelle.

Beginn der Massenproduktion

Das änderte sich erst, als sich 1938 eine Arbeitsgruppe in Oxford mit dem Problem beschäftigte. Dazu gehörten der australische Pathologe Howard Walter Florey, der Chemiker Ernst Boris Chain, der 1933 aus Deutschland emigrieren musste, und der englische Biochemiker Norman Heatley, der viel technisches Geschick hatte. Ihnen gelang es, Penicillin-Lösungen so zu reinigen, dass damit 1941 zum ersten Mal ein Mensch behandelt werden konnte. Er überlebte seine schwere Infektion jedoch nicht, weil die Penicillin-Menge für seine Behandlung nicht ausreichte. Denn das damals verwendete Penicillin wird bei der oralen Einnahme nur in geringen Mengen vom Körper aufgenommen.

Wegen des Krieges war die Forschung in Großbritannien schwierig, und so gingen Florey und Heatley 1941 in die USA. Dort konnten sie Firmen für ihre Forschung gewinnen. Zudem gab es Unterstützung von der Regierung, die sich enorm für das neue Mittel interessierte, um Wundinfektionen bei Soldaten zu behandeln. 1944 eröffnete schließlich die erste Fabrik für die Massenherstellung von Penicillin in den USA. In Deutschland hieß es abwarten. Erst in den 1950er Jahren war das Antibiotikum hier flächendeckend verfügbar.

1953 kam schließlich eine abgewandelte Form auf den Markt, die dem sauren Magensaft besser widersteht, sodass höhere Penicillin-Konzentrationen im Blut erreicht werden. Dieses „Penicillin V“ ist bis heute gebräuchlich. Ebenso wurden in den Jahren und Jahrzehnten danach auf der Basis von Penicillin viele weitere verwandte Antibiotika entwickelt, die bei verschiedenen Infektionen eingesetzt werden.

Nobelpreis – nicht für alle

Die Entdeckung des Penicillins hat unzähligen Menschen das Leben gerettet. Fleming, Chain und Florey erhielten dafür 1945 gemeinsam den Nobelpreis für Medizin. Der wichtige Beitrag Heatleys, der die Massenproduktion erst möglich machte, wurde lange Zeit nicht gewürdigt. Erst 1990 verlieh ihm die Universität Oxford die Ehrendoktorwürde in Medizin.3

Entdeckung der Antiseptika
GPSP 4/2019, S. 12

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2019 / S.08