Traubenkernextrakt: Gut für Herz, Haut und Augen?
Wie Anbieter im Internet mit illegalen Behauptungen werben
Zahlreiche Webseiten klären über angebliche Wirkungen von Nahrungsergänzungsmitteln mit Traubenkernextrakt auf. Die Informationen kommen samt Produkttests und Links zum Kauf von Pulver und Pillen daher. Wissenschaftlich bewiesen ist der Nutzen aber nicht.

Werbung mit gesundheitsbezogenen Aussagen (Health Claims) zu Lebensmitteln inklusive Nahrungsergänzungsmitteln ist in der Europäischen Union theoretisch streng geregelt. Sie ist nur erlaubt, wenn eine Ursache-Wirkungs-Beziehung beim Menschen nachgewiesen und die Aussage von der Europäischen Kommission zugelassen ist. Für die Bewertung ist die europäische Lebensmittelbehörde EFSA zuständig. Krankheitsbezogene Werbung wie „hilft gegen Bluthochdruck“ ist für Lebensmittel grundsätzlich verboten.
Das bedeutet aber nicht, dass keine vollmundigen Aussagen zu vorbeugenden oder gar heilenden Wirkungen von Mitteln mit Traubenkernextrakt kursieren. Im Gegenteil: Gegen Herz-Kreislauf-Probleme, Augenleiden, Hautalterung und vieles andere mehr soll der Extrakt aus den Kernen von Trauben helfen.
Antioxidative Inhaltsstoffe
Traubenkernextrakt enthält antioxidativ wirkende oligomere Pro(antho)cyanidine (OPC). OPC gehören zu den sekundären Pflanzenstoffen und stecken auch in Beeren, Äpfeln, Tee und Erdnüssen. Zweifelsfrei ist es gut für die Gesundheit, hauptsächlich pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse, Hülsenfrüchte, Obst und Nüsse und damit verschiedenste sekundäre Pflanzenstoffe und Nährstoffe zu essen. Doch dass es etwas nutzt, einzelne Stoffe aus Pflanzen zu extrahieren und isoliert als gesundheitsförderndes Mittel einzunehmen, dafür fehlen Beweise.
Datenlage unzureichend
Das unabhängige österreichische Informationsportal Medizin-Transparent fasst den Stand der Forschung zusammen. Das Fazit: Die Qualität vorliegender Studien war zu schlecht und die Ergebnisse zu widersprüchlich, um beurteilen zu können, ob Traubenkernextrakt eine gesundheitsfördernde Wirkung beim Menschen hat.1,2
Demzufolge ist von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) auch noch keiner der beantragten Health Claims, etwa zu Bluthochdruck,3 Durchblutungsstörungen4 oder Hautschutz,5 positiv bewertet worden.
Wissenschaftlicher Schein statt Sein
Ungeachtet dessen beschreiben Internetportale „mögliche positive Auswirkungen“ von Traubenkernextrakt beziehungsweise OPC wie „kann möglicherweise krebsvorbeugend wirken“ und „wird empfohlen zur Behandlung von Bluthochdruck“. Um diese Wirkungen zu erzielen, sei angeblich eine Dosis erforderlich, die über Lebensmittel nicht zu erreichen sei. Dazu passend liefern die Seitenbetreiber Warentests zu Nahrungsergänzungsmitteln und verlinken Onlineshops.
Auf den ersten Blick scheinen diese Informationen von Fachleuten erstellte redaktionelle Inhalte zu sein. Optische Aufmachung, namentlich genannte und abgebildete Autor:innen sowie Literaturangaben unterstützen diesen Anschein.
„Wir forschen intensiv nach den neuesten Studien, in denen sich die Naturheilmittel unter strengen Tests bewähren mussten. Und wo sich ein angepriesenes Mittel nachweislich als Mummenschanz und Quacksalberei entpuppt hat, lassen wir Sie das ebenfalls wissen.“ Es klingt zwar vorbildlich, was das OPC-Traubenkernextrakt-Portal verspricht. Es entpuppt sich aber als Täuschung.
Wissenschaftliche Expertise fehlt. Nicht nur, dass der abgebildete Autor Herbert Havera gar nicht existiert. Das angebliche Foto von ihm stammt aus einer kommerziellen Foto-Datenbank. Auch mangelt es an aussagekräftigen Studien, die die beschriebenen Wirkungen von OPC – von „gegen Haarausfall“ bis „gegen Alzheimer“ – belegen könnten. Im Impressum fehlen neben einer vertretungsberechtigten oder inhaltlich verantwortlichen Person auch Kontaktmöglichkeiten zum Seitenbetreiber IMR Media mit Sitz in Neuseeland. Laut Google Maps gibt es die Firma an der angegebenen Adresse nicht.
So oder ganz ähnlich fallen Rechercheergebnisse zu weiteren nur vermeintlich seriösen Portalen wie dem Berufsverbund für gesundheitlichen Verbraucherschutz & Vorsorge oder Meduni.com aus.
Häufig handelt sich bei Anbietern unseriöser Gesundheitsinformationen um Briefkastenfirmen im Ausland, die nur auf dem Papier existieren. Die Seitenbetreiber platzieren Drittwerbung mit unzulässigen gesundheitsbezogenen Aussagen und verdienen Geld mit jedem Klick, der von ihrer Seite zu einem Onlineshop führt. Dafür könnten sie grundsätzlich abgemahnt werden. Es ist allerdings schwierig, Unterlassungsansprüche durchzusetzen, wenn werbende Dritte wegen eines falschen Impressums nicht identifizierbar oder wegen Firmensitzen im Ausland für hiesige Behörden nicht greifbar sind.
Extrakte sind Geldverschwendung
Mit Traubenkernextrakt und der Hoffnung hilfesuchender Menschen auf eine einfache Lösung für gesundheitliche Probleme ist leicht Geld zu machen. Einhundert Gramm Kapseln kosten 15 bis 40 Euro. Die Nahrungsergänzungsmittel sind eine Verwertung der Traubentrester, die als Rest beim Keltern von Wein anfallen. Diese Resteverwertung mag aus nachhaltiger Sicht sinnvoll sein. Für die Gesundheit ist sie es nicht.
Aus ernährungsphysiologischer Sicht sind derartige Nahrungsergänzungsmittel nicht sinnvoll oder gar notwendig. Überdies werden die darin enthaltenen Inhaltsstoffe mit einer ausgewogenen Ernährung über viele pflanzliche Lebensmittel aufgenommen. Gesundheitliche Risiken durch Traubenkernextrakt sind zwar noch nicht bekannt. Dennoch sollten hochdosierte Extrakte aus pflanzlichen Materialien generell nicht über Nahrungsergänzungsmittel aufgenommen werden, da es teilweise wenige oder gar keine Daten für die Sicherheitsbewertung gibt.
- medizin transparent (2016) Traubenkernextrakt als Jungbrunnen? (Abruf: 7.6.2022)
- Seitdem hat sich der Wissensstand offenbar nicht wesentlich verändert. Wir haben keine neueren Studien mit längerfristigen patientenrelevanten Endpunkten gefunden, die einen gesundheitlichen Nutzen von Traubenkernextrakt belegen.
- EFSA (2021) MegaNatural®-BP grape seed extract and maintenance of normal blood pressure: evaluation of a health claim pursuant to Article 13(5) of Regulation (EC) No 1924/2006. (Abruf 7.6.2022)
- EFSA (2010) Scientific Opinion on the substantiation of a health claim related to OPC Plus and reducing the risk of chronic venous insufficiency by increasing microcirculation pursuant to Article 14 of Regulation (EC) No 1924/2006. (Abruf 7.6.2022)
- EFSA (2011) Scientific Opinion on the substantiation of health claims related to a combination of lycopene, proanthocyanidins, vitamin C, vitamin E, selenium and beta-carotene and contribution to normal collagen formation (ID 1669) and protection of the skin from UV-induced damage (ID 1669) pursuant to Article 13(1) of Regulation (EC) No 1924/2006. (Abruf 7.6.2022)
Stand: 1. September 2022 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2022 / S.06