Schweinegrippe: Was schief lief
EU-Parlament kritisiert Chaos
Erinnern Sie sich noch? Im Sommer 2009 hatten wir „Schweinegrippe“-Alarm. Obwohl sich früh abzeichnete, dass sich zwar viele Menschen mit dem Grippevirus H1N1 ansteckten, die Infektionen aber meist mild verliefen, rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die höchste Warnstufe aus. Nach Ansicht des Europäischen Parlaments war das nicht gut begründet. Auch sonst ist so einiges schiefgelaufen.
Die sogenannte Schweinegrippe-Epidemie brach 2009 zuerst im Winter der Südhalbkugel aus. In Australien und Neuseeland starben – verglichen mit einer durchschnittlichen Wintergrippe – nur wenige Menschen in Folge der Infektion (GPSP 5/2009, S. 3). Die Weltgesundheitsorganisation stoppte ihre in Gang gesetzte Krisenmaschinerie aber nicht, sondern rief sogar die höchste Pandemie-Warnstufe aus. Viele Menschen bekamen Angst und Regierungen beschafften massenhaft unzureichend getestete Grippeimpfstoffe, etliche auch antivirale Mittel von zweifelhaftem Nutzen (GPSP 1/2010, S. 5).
Mildeste Grippe seit langem
Das wäre alles nicht nötig gewesen. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) registrierte 2009 in Europa lediglich 2.900 Todesfälle durch Schweinegrippe. Dagegen sterben bei einer milden Grippesaison im Winter durchschnittlich 40.000 Menschen und bei schlimmen Epidemien 220.000.1 Das EU-Parlament stellte jetzt fest, „dass die Ausrufung der höchsten Alarmstufe, die das Vorliegen einer Pandemie signalisiert, zu Entscheidungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit geführt hat, die zum Teil unverhältnismäßig waren“2 und wirft der WHO vor, die Definition von „Pandemie“ so verändert zu haben, dass die Schwere der Erkrankung nicht berücksichtigt wird. Dadurch sei es zu widersprüchlichen Entscheidungen in den EU-Staaten gekommen, die in einigen Ländern – im Vergleich zu einer normalen Grippesaison – zu Mehrkosten in Milliardenhöhe geführt hätten. Polen verzichtete hingegen auf eine Impfkampagne, und die Sterblichkeit war trotzdem nicht höher als in Ländern, in denen viel geimpft wurde.
Deshalb wird für die Zukunft eine bessere Bewertung der tatsächlichen Risiken und eine bessere Koordination der Mitgliedsstaaten gefordert. Es müsse vor allem möglich sein, angelaufene Maßnahmen kurzfristig wieder zurückzufahren, wenn sich die Einstufung der Gefährlichkeit ändert. Behörden und Institutionen in der EU müssten sicherstellen, dass die Experten, die Entscheidungen treffen, keine Interessenkonflikte haben. Also beispielsweise nicht mit Impfstoffherstellern verbandelt sind.
Kritikwürdig findet das Parlament auch die Umstände, unter denen die neuen Grippeimpfstoffe zugelassen wurden. Dass die Hersteller – wie in Deutschland – sich teilweise vertraglich aus der Haftung für ihre Produkte gestohlen haben, wird als inakzeptabel gebrandmarkt.
Außerdem halten die europäischen Volksvertreter Studien zu Impfungen und antiviralen Medikamenten gegen Grippe für notwendig, die unabhängig von den Herstellern sind. Besonders scharf kritisiert das Parlament die Weigerung der europäischen Arzneibehörde (EMA), geheim gehaltene Studien herauszugeben, obwohl dies der EU-Ombudsmann verlangt hatte. Deshalb fordert das Parlament „die Gewährleistung einer stärkeren Überwachung und vollständiger Transparenz bei den Verfahren für die Beurteilung von Arzneimitteln.“
Stand: 1. Juni 2011 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2011 / S.10