Auf den Cent genau
Eigenanteil bei Medikamenten und Krankengymnastik usw.
Die Praxisgebühr betrifft seit dem 1. Januar 2004 jeden, der einen Arzt aufsucht und nicht privat versichert ist. Aber kaum jemand weiß genau, unter welchen Umständen man zur Zuzahlung verpflichtet ist und in welchen Situationen diese entfällt.
Im Sozialgesetzbuch V ist beschrieben,1 welche Belastungen der Gesetzgeber den gesetzlich Versicherten zusätzlich zu den monatlichen Krankenkassenbeiträgen zumutet. Kinder und Schwangere sind meist von Zuzahlungen befreit (siehe Kästen). Die Regelungen für Zahnbehandlung haben wir wegen ihrer Komplexität in dieser Aufstellung nicht berücksichtigt.
Praxisgebühr
Erwachsene müssen jeweils 10 € pro Quartal bei dem Besuch des Arztes zahlen. Ausgenommen davon sind Termine für Schutzimpfungen und Vorsorgeuntersuchungen, da der Gesetzgeber keinen Widerstand gegen diese vorbeugenden Maßnahmen erzeugen möchte.
Stellt der Arzt, an den die Praxisgebühr gezahlt wurde, eine Überweisung an einen weiteren Arzt aus, fällt dort keine weitere Praxisgebühr an. Kinder müssen keine Praxisgebühr bezahlen (Regelungen für Schwangere siehe Kasten).
Notfälle
Nimmt der Versicherte einen Bereitschaftsarzt in Anspruch oder sucht er die Notfallambulanz eines Krankenhauses auf, werden auch dort 10 € pro Quartal fällig.
Medikamente
Grundsätzlich zahlt die Krankenkasse nur noch rezeptpflichtige Arzneimittel (Ausnahmen siehe weiter unten). Dabei müssen Personen über 18 Jahre 10% des Preises der verschriebenen Medikamente als Rezeptgebühr in der Apotheke entrichten; mindestens jedoch 5 € und höchstens 10 € pro Arzneimittel. Man muss aber nie mehr als den Preis des Mittels zahlen. Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre zahlen nichts.
Zuzahlung (Rezeptgebühr): Für ein 24 € teures Medikament zahlt der Versicherte 5 €, also mehr als 10%. Bei einem Preis von 68 € beträgt die Zuzahlung 6,80 €, also 10%. Für ein Präparat, das 500 € kostet, zahlt man 10 €, also deutlich weniger als 10%. Liegt der Preis unter 5 €, bezahlt der Versicherte nur den tatsächlichen Preis des Arzneimittels.
Eine weitere Besonderheit ergibt sich für Medikamente, die der Festbetragsregelung unterliegen. Dabei handelt es sich überwiegend um Arzneimittel, die auch als preiswerte Kopien – so genannte Generika – angeboten werden (siehe GP-SP Nr. 1/2005, Seite 9), oder um Medikamente mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung. Für diese werden obere Preisgrenzen festgelegt (Festbeträge), bis zu denen die Krankenkassen die Kosten übernehmen. Ist ein Arzneimittel aus dieser Gruppe teurer als der Festbetrag, muss zusätzlich zur Zuzahlung von 5 € bis 10 € Rezeptgebühr die Differenz zum Festbetrag in der Apotheke bezahlt werden. Diese Regel gilt auch für Kinder (bei denen jedoch die Rezeptgebühr entfällt)! Es gibt aber immer gleichwertige Mittel, für die keine zusätzliche Zahlung erforderlich ist, weil der Festbetrag nicht überschritten wird.
Arzneimittel über dem Festbetrag: Hat der Arzt beispielsweise den Blutfettsenker Sortis® (Atorvastatin) verordnet (100 Tabletten zu 10 mg kosten 102,61 €), sind in der Apotheke 10 € Zuzahlung plus 35,25 € für die Differenz zwischen dem Verkaufspreis von Sortis® und dem Festbetrag von 67,36 € zu bezahlen. Da dieses Mittel keine Vorteile gegenüber anderen Bluttfettsenkern bietet, ist diese Extra-Ausgabe allerdings in der Regel überflüssig (siehe Kasten: Firmen fürchten Festbeträge).
Für rezeptfreie Arzneimittel gibt es Ausnahmeregelungen. Sie werden für Kinder bis zum 12. Lebensjahr und für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr erstattet. Die Kosten für rezeptfreie Medikamente werden bei Erwachsenen nur bei der Behandlung schwer wiegender Erkrankungen übernommen, wenn diese zum Therapiestandard gehören – also üblich und notwendig sind. Eine Liste dieser Medikamente kann man beim Gemeinsamen Bundesausschuss einsehen.3
Verbandmittel
10% des Preises des verschriebenen Verbandmittels sind als Rezeptgebühr in der Apotheke zu entrichten; mindestens jedoch 5 € und höchstens 10 € pro Mittel. Man muss aber nie mehr als den Preis des Mittels zahlen. Windeln können von der Hausärztin oder dem Hausarzt für Patienten mit Blasen- oder Darmschwäche verordnet werden und kosten 10% des Preises; höchstens jedoch 10 € im Monat.
Krankengymnastik, Massagen, Logopädie, Ergotherapie
Der Patient muss 10 % der Kosten und zusätzlich 10 € pro Rezept aus eigener Tasche bezahlen. Seit dem 1. Juli 2005 haben sich die Kriterien für die Verschreibung dieser Heilmittel drastisch verschärft. So wurde für jede Krankheit eine Höchstmenge an Massagen, Krankengymnastik usw. festgelegt.
Fahrtkosten
Die Krankenkassen übernehmen anteilig die Fahrtkosten zur Dialyse, Chemotherapie oder Bestrahlung. Schwerbehinderten, die vom Versorgungsamt einen Ausweis mit dem Merkmal aG, Bi oder H erhalten haben, sowie Patienten mit anerkannter Pflegestufe 2 oder 3 kann der Arzt medizinisch notwendige Fahrten verordnen. In allen Fällen trägt der Fahrgast 10 % der Fahrtkosten, jedoch mindestens 5 Euro und höchstens 10 Euro pro Fahrt.
Stationäre Aufenthalte in Krankenhäusern, Reha-Kliniken und Kurkliniken
Pro Tag zahlt der Patient 10 €. Maximal 28 Tage im Jahr werden berechnet.
Häusliche Krankenpflege
Mit 10% und zusätzlich 10 € pro ärztlicher Verordnung müssen sich die Patienten an den Kosten der Hauskrankenpflege beteiligen. Üblicherweise stellt der behandelnde Arzt einmal im Quartal eine Verordnung aus.
Firmen fürchten Festbeträge – Versicherte sparen
Mit sogenannten Festbeträgen wird versucht, die Krankenkassen und ihre Versicherten vor zu hohen Arzneimittelkosten zu schützen. Die Firma Pfizer probt den Aufstand und will auf Kosten der Patienten den Preis für ein häufig verordnetes Medikament hoch halten.
Eine Krankheit kann man häufig mit verschiedenen Medikamenten behandeln. Um die Preise zu senken, fasst der Gemeinsame Bundesausschuss zunächst Arzneimittel mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung in einer Gruppe zusammen (siehe Kasten: Wer bestimmt was die Kasse zahlt?).4 Die Krankenkassen setzen dann einen Höchstpreis fest, bis zu dem sie die Kosten für Arzneimittel erstatten, das ist der Festbetrag. Fast immer senken dann die Hersteller teurer Produkte die Preise, damit die Ärzte diese Produkte auch weiterhin verordnen. Normalerweise gibt es also immer genügend Mittel, die nicht teurer sind als der Festbetrag. Für sie muss man nur die Rezeptgebühr bezahlen.
Die Firma Pfizer wehrt sich dagegen, dass der Cholesterinsenker Atorvastatin (Sortis®) in eine Festbetragsgruppe einbezogen wird. Sortis® war zuvor mit Verordnungen im Wert von über einer halben Milliarde Euro das kostspieligste Arzneimittel für die Kassen.5 Pfizer ging nicht nur vor Gericht, sondern versuchte auch, mit ganzseitigen Anzeigen in großen Tageszeitungen Stimmung zu machen. Mit dem Slogan „Ab Januar wird gespart. An der Gesundheit von Millionen Herz-Kreislauf-Patienten“ wurden Patienten massiv verunsichert: Es gibt nämlich gar keine Belege dafür, dass Atorvastatin anderen Cholesterin-senkenden Mitteln überlegen ist.6 Pfizer senkte die Preise von Sortis® nicht auf den Festbetrag. Mit dieser Strategie hatte die Firma allerdings keinen Erfolg: Atorvastatin wird 2005 praktisch kaum noch verordnet. Die meisten Patienten sind offensichtlich nicht bereit, pro Packung bis zu 50 Euro zusätzlich zu bezahlen.
Belastungsgrenze
Man kann sich leicht vorstellen, dass die Zuzahlungen schnell zur finanziellen Belastung werden können. Aus diesem Grund gibt es eine Obergrenze für Zuzahlungen.3 Ausgaben für rezeptfreie Arzneimittel, die selbst bezahlt werden müssen, können dabei allerdings nicht geltend gemacht werden. Die Belastungsgrenze beträgt 2% des Bruttoeinkommens eines Jahres. Leben mehrere Personen im Haushalt, wird deren gemeinsames Einkommen zugrundegelegt, allerdings verringert sich für jedes Familienmitglied auch die Belastungsgrenze. Ein Zuzahlungsrechner hilft bei der Berechnung (siehe „Was ist wichtig?“).
Leidet der Versicherte an einer dauerhaften, so genannten chronischen Erkrankung, reduziert sich die Belastungsobergrenze auf 1%. Dann zahlt der chronisch Erkrankte also maximal 1% seines Bruttojahreseinkommens. Dies entspricht bei einem Bruttoeinkommen von 2000 € im Monat (24.000 €/Jahr) 240 € im Jahr. Der Hausarzt stellt für dauerhaft Kranke die erforderliche Bescheinigung aus.
Zahlt der Patient so viel, dass die Belastungsgrenze erreicht wird, erhält er von seiner Krankenkasse einen Befreiungsausweis, der ihn von weiteren Zuzahlungen befreit. Wenn sich am Anfang des Jahres schon abzeichnet, dass die Belastungsgrenze erreicht werden wird, besteht die Möglichkeit, 2% des Bruttojahreseinkommens, bzw. bei chronischer Erkrankung 1%, direkt an die Krankenkasse zu überweisen. Im Gegenzug stellt die Kasse einen Befreiungsausweis aus, der dem Kranken das lästige Sammeln der Quittungen erspart.
Was ist wichtig?
Vorsorgeuntersuchungen und Schutzimpfungen sind immer zuzahlungsfrei. Kinder und Schwangere sind von Zuzahlungen befreit.
Versicherte können sich von Ihrer Krankenkasse ein Heftchen geben lassen, in dem sie alle Zuzahlungen eintragen lassen – das erleichtert den Überblick.
Weitere Informationen über Zuzahlungen gibt Ihnen Ihre Krankenkasse. Die Kassen informieren auch im Internet.
Die BKK bietet z.B. einen relativ guten Überblick über die verschiedenen Zuzahlungsregelungen und einen Zuzahlungsrechner, mit dem Sie ausrechnen können, wann Ihre Belastungsgrenze erreicht ist: http://www.bkk.de/bkk/powerslave,id,239,nodeid,.html
Wer bestimmt was die Kasse zahlt?
Für welche Art von Leistungen die Krankenkassen aufkommen müssen, ist im Sozialgesetzbuch festgelegt. Doch viele Einzelentscheidungen sind an ein anderes Gremium delegiert: Der Gesetzgeber hat damit den „Gemeinsamen Bundesausschuss“ (G-BA) beauftragt. In diesem Gremium sitzen Vertreter der Ärzte, Krankenhäuser und Kassen. Seit 2004 dürfen auch Patientenvertreter mitreden, haben aber kein Stimmrecht. Der G-BA entscheidet, welche Arzneimittel in Festbetragsgruppen einbezogen werden, gibt Therapieempfehlungen und beschließt, welche rezeptfreien Arzneimittel bei schweren Erkrankungen auf Kassenkosten verordnet werden dürfen. Der G-BA entscheidet natürlich nicht nur über Medikamente, sondern im Rahmen der Gesetze auch über alle anderen Bereiche der Versorgung, wie z.B. Krankenhausleistungen, Zahnbehandlung, Schwangerenfürsorge.
- Die Pflicht zur Zuzahlung ist in § 61 des Sozialgesetzbuches (SGB V) verankert, die Befreiung in § 62. Die konkreten Regelungen sind aber über die Paragraphen 28 bis 41 des Gesetzes verstreut. http://www.sozialgesetzbuch.de/gesetze/05/index.php?norm_ID=0506100
- Gemeinsamer Bundesausschuss. Abschnitt F der Arzneimittel-Richtlinien (OTC-Übersicht) http://www.g-ba.de/cms/upload/pdf/news/2004-12-21-AMR-OTC.pdf
- http://www.sozialgesetzbuch.de/gesetze/05/index.php?norm_ID=0506200
- Gemeinsamer Bundesausschuss. Entscheidungsgrundlagen vom 15. Februar 2005 http://www.g-ba.de/cms/upload/pdf/abs5/richtlinien/2005-02-15-Entscheidungsgrundlagen.pdf
- Schwabe, Ulrich und Paffrath, Dieter (Hrsg.) (2004). Arzneiverordnungs-Report 2004. Berlin: Springer
- IQWiG. Überlegenheit von Atorvastatin nicht belegt. http://www.iqwig.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung_28.html
Fotos in diesem Artikel: Jörg Schaaber
Stand: 1. Dezember 2005 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2005 / S.06
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