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Freiwillig funktioniert nicht

In der Filmbranche gibt es sie seit über 60 Jahren, in der pharmazeutischen Industrie erst seit elf Jahren: eine Freiwillige Selbstkontrolle. Sie soll unethisches Verhalten von Arzneimittelfirmen verhindern. Doch die Realität zeigt, dass eine unabhängige, konsequente staatliche Kontrolle notwendig ist.

Pharmafirmen verkaufen gute Medikamente, die manchmal sogar Leben retten. Aber sie verkaufen auch Medikamente, die der Gesundheit nicht nützen oder ihr sogar schaden. Dass Ärzte und Ärztinnen sie trotzdem verschreiben, liegt oft nur an raffinierten Marketingstrategien: Das Repertoire der Firmen reicht von manipulativer Information, die Nutzen übertreibt oder Risiken herunterspielt, über Werbung für nicht zugelassene Anwendungen eines Medikaments bis hin zu Geschenken und direkter Bestechung von Ärztinnen und Ärzten.

In der Vergangenheit kamen solche unseriösen Marketingstrategien immer wieder ans Tageslicht.1 Aufgedeckt wurden sie meist durch sogenannte Whistleblower, also von Angestellten, die Fehlverhalten ihrer eigenen Firma verpfeifen. Geahndet wurden sie vor allem in den USA. In Deutschland dagegen wurden entsprechende Hinweise mit wenig Eifer verfolgt. Aber durch viele kritische Berichte nahm sich die Politik der Sache an, und die Pharmaindustrie geriet unter Druck.

Nicht ganz freiwillige Selbstkontrolle

Darum forderte 2004 die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt einen staatlichen Korruptionsbeauftragten für die Pharmaindustrie. Das setzte die Firmen mächtig unter Druck und sie schlugen vor, die Korruptionskontrolle freiwillig zu organisieren.2

Im selben Jahr wurde in Deutschland der Verein „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“ (FSA) gegründet. Er soll dafür sorgen, dass die selbst gesetzten Regeln für den Umgang mit Ärzten, Apothekern und Krankenhäusern auch eingehalten werden. Zu den Gründern gehören 39 Firmen aus dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Im VFA sind vorwiegend die mächtigen internationalen Pharmafirmen organisiert wie Bayer, Pfizer, GlaxoSmithKline, Sanofi und Novartis.

Der FSA-Kodex schreibt fest, dass die ca. 60 Mitglieder Fehlverhalten melden müssen. Man soll sich also gegenseitig kontrollieren – ein nicht uninteressantes Konzept, da die Unternehmen ja in direkter wirtschaftlicher Konkurrenz zueinander stehen.

Die FSA will erreichen, dass Werbung nicht in die Irre führt, Ärzte nicht durch finanzielle Anreize dazu gebracht werden, ein bestimmtes Medikament zu verschreiben, und klinische Studien nur wissenschaftlichen Zwecken dienen.3 Bei Fehlverhalten werden Geldstrafen bis zu 400.000 € verhängt, was angesichts der erzielbaren Gewinne eine lächerlich niedrige Summe ist. In den USA ging es dagegen oft zuletzt um Strafzahlungen von mehreren Milliarden US$ (siehe Kasten und GPSP 1/2012, S. 9).

Erst 2006 traten die meisten Mitglieder des „Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie“ (BPI), die rezeptpflichtige Medikamente herstellen, dem FSA-Kodex bei. Aber 2008 traten die meisten Mitglieder wieder aus, wohl weil ihnen die Sanktionen des FSA zu hart erschienen, und gründeten einen eigenen Verein zur Selbstkontrolle:4 „Arzneimittel und Kooperation im Gesundheitswesen e.V.“ (AKG). Im BPI sind im Gegensatz zum VFA vor allem mittelständische Pharmaunternehmen organisiert.

Der AKG will – ebenso wie der FSA – Fehlverhalten ihrer Mitgliedsunternehmen erkennen und sanktionieren. Nach eigenen Angaben soll dabei die Prävention und nicht die Strafe im Mittelpunkt stehen.5 Das heißt, der Verein will seine mittlerweile 107 Mitglieder so informieren, dass sie erst gar nicht gegen die Regeln verstoßen.

Bei den beiden Regelwerken von FSA und AKG geht es nur um verschreibungspflichtige Arzneimittel und die Kommunikation der Industrie mit Ärzten und anderem Fachpersonal.6 Die Werbung für rezeptfreie Arzneimittel bleibt außen vor.

Realitätscheck in Schweden und Großbritannien

Ob eine Selbstkontrolle durch die Pharmaunternehmen funktioniert, haben jetzt Wissenschaftler aus dem schwedischen Lund untersucht.7 Die Autoren wählten für ihre Studie Großbritannien und Schweden aus, weil beide Länder bislang als Beispiele für eine effektive Selbstkontrolle galten.8 Untersucht wurden Inhalte und Strategien beim Marketing von Arzneimitteln, außerdem wurden die einzelnen Regeln für die Selbstkontrolle unter die Lupe genommen. Dazu werteten die Autoren die von 2004 bis 2012 eingegangenen Beschwerden und die Entscheidungen der Gremien aus, die die Selbstkontrolle verantworten.

In Großbritannien betrifft der Kodex nur die Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, in Schweden legt er zusätzlich Standards für die Werbung bei rezeptfrei erhältlichen Medikamenten fest.

In Großbritannien und dem bevölkerungsmäßig deutlich kleineren Schweden wurden ungefähr gleich viele Verstöße gegen Marketingvorschriften festgestellt.9 Interessanterweise beschwerten sich in Großbritannien am häufigsten Menschen aus Gesundheitsberufen: Ärzte, Apotheker oder Pfleger. Also diejenigen, die das Ziel pharmazeutischer Werbeaktivitäten sind. In Schweden spielte das aktive Monitoring der Kontrolleinrichtung die größte Rolle. Von den Unternehmen selbst kam in beiden Ländern nur etwa ein Viertel der Beschwerden. Der wachsame Blick der Konkurrenz funktioniert also nur eingeschränkt. Denn eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus …

Am häufigsten wurden fehlerhafte oder sogar unzutreffende Behauptungen oder Vergleiche angemahnt. Das betraf sowohl Marketingstrategien für Fachkreise wie auch für die Öffentlichkeit. Andere Verstöße bezogen sich zum Beispiel auf Werbeaussagen, die nicht mit den behördlich genehmigten Fachinformationen übereinstimmten.

Unter der Oberfläche

Es wurden nur die Fälle ausgewertet, die von den Gremien der Selbstkontrolle entdeckt und bestraft wurden. Die Autoren gehen davon aus, dass unethisches Verhalten von Pharmaunternehmen viel häufiger vorkommt. Obwohl auch der britische Kodex aktives Monitoring vorschreibt, wurden dort – im Gegensatz zu Schweden – von der Institution selbst fast keine Verstöße aufgedeckt. Selbstkontrolle reicht also nicht aus, und die Autoren empfehlen dringend, die gesetzlichen Vorgaben für Werbung zu verschärfen, in denen es um die Informationen über Arzneimittel geht. Dem hat GPSP nichts hinzuzufügen.10 In den letzten Jahren lagen in Großbritannien die Geldstrafen wegen illegaler Werbung bei etwa 700.000 € jährlich. Das entspricht etwa 0,005% des geschätzten Umsatzes der Unternehmen und juckt sie nicht.

In Deutschland müssen die Unternehmen noch weniger zahlen. Der AKG teilte uns mit, dass von ihm bisher keine Strafzahlungen verhängt wurden.11 Auf der FSA-Webseite finden sich nur juristisch verklausulierte Auslassungen über bisherige Streitfälle und deren Schlichtung.12 Der Spiegel hat für den FSA 2013 und 2014 Bußen in Höhe von 141.000 € ermittelt.13

Erst wenn in Deutschland Verstöße wirklich systematisch erfasst, publik gemacht und vor allem strenger geahndet werden, könnte das die Unternehmen empfindlich treffen und die Beeinflussung von Ärzten unattraktiver machen.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2015 / S.16