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©Gina Sanders/Fotolia

„Neben“wirkung Depression

Manche Arzneimittel bekommen der Psyche nicht!

Beim Thema Medikamente und Depressionen denken vermutlich viele zunächst an den – durchaus umstrittenen – Nutzen, den Antidepressiva haben können. Aber manchmal geht es um etwas anderes: Bestimmte Medikamente sind für die psychische Stabilität riskant. Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA nennt über 50 Wirkstoffe, die als unerwünschte Wirkung depressive Symptome oder Selbsttötungsgedanken hervorrufen können.

Schon länger ist bekannt, dass Arzneimittel schwere psychische Störungen auslösen können, bis hin zu dem Gedanken, sich umzubringen – auch bei Menschen, denen das bisher noch nie in den Sinn gekommen war. Und besteht bereits eine Depression, können solche Medikamente die Suizidgedanken verstärken.

Diese gravierende „Neben“wirkung ist glücklicherweise selten. Wie es dazu kommt und welche biochemischen Prozesse die Medikamente im Gehirn auslösen, ist trotz intensiver Forschung unklar.

Die meisten der kritischen Substanzen (siehe Tabelle) können sowohl Depression wie Suizidalität auslösen (mehr zur Suizidalität in GPSP 2/2013 S. 10). Wie häufig das bei einem bestimmten Medikament vorkommt, ist schwer zu sagen. Da solche psychischen Effekte meist sehr selten sind, werden sie auch nur selten bei den üblichen Arzneimittelstudien erfasst. Insofern ist es besonders wichtig, dass Ärzte etwaige Beobachtungen an zuständige Kontrollinstanzen übermitteln.

Ein klarer Fall

Sehr gut belegt ist das Risiko für Interferon alfa (z.B. Intron® A). In Kombination mit Ribavirin lässt sich damit z.B. die Hepatitis C gut behandeln. Aber: Depressionen und Selbsttötungsgedanken treten bei dieser Therapie ausgesprochen häufig auf. Und offenbar ist das oft der Grund für einen frühen Behandlungsabbruch. Eine umfassende Untersuchung kam zum Schluss, dass von 100 mit Interferon alfa behandelten Menschen 7 innerhalb eines halben Jahres depressiv erkrankten. Wer bereits unter Depressionen litt oder akut depressiv ist, sollte besser nicht mit Interferon alfa behandelt werden.

Auch für das Anti-Malariamittel Mefloquin (Lariam®) ist belegt, dass es depressive Zustände auslösen kann, und zwar besonders bei Frauen. Erfahrene Fernreisende meiden deshalb das Medikament – wenn möglich. Es handelt sich um eine für diesen Wirkstoff typische, aber relativ seltene unerwünschte Wirkung.3 Da Mefloquin lange im Körper bleibt, besteht das Risiko auch noch Wochen nach dem Ende der Einnahme. Psychische Störungen können auch bei anderen Malariamitteln vorkommen, z.B. bei einer Kombination von Atovaquon und Proguanil (Malarone®).

Schwierige Ursachenforschung Der Wirkstoff Isotretinoin (Isotret-Hexal® u.a.), mit dem schwere Akne behandelt wird,4 kann ebenfalls depressiv machen. In einer großen Studie war das Risiko fast dreimal so hoch (2,7- fach erhöht) wie bei Aknepatienten ohne Isotretinoinbehandlung. 5 Andere Studien konnten diesen Zusammenhang nicht immer bestätigen. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie schwierig ein Zusammenhang nachzuweisen ist. Etwa jeder dritte Patient mit schwerer Akne hat – unabhängig von der Medikation – Depressionen.6

Es ist oft methodisch schwierig, herauszufinden, ob Medikamente, beispielsweise so genannte SSRI-Antidepressiva wie Sertralin (Zoloft® u.a.), Paroxetin (Seroxat® u.a.) oder Citalopram (Cipramil® u.a.) für suizidale Ideen und Handlungen verantwortlich sind, oder eher die behandelte Erkrankung. Ärzte verordnen diese Medikamente Menschen, die depressiv sind und ein erhöhtes Suizidrisiko haben. Suizidalität in Verbindung mit Antidepressiva-Einnahme wurde anfangs nicht als Ergebnis kontrollierter klinischer Studien berichtet, sondern von aufmerksamen Wissenschaftlern und kritischen Medien in Großbritannien bekannt gemacht. Auch in Deutschland haben das arznei-telegramm8 und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft7 und früh gewarnt. Zwar gab es schon in den ersten klinischen Studien Hinweise auf das Suizidrisiko; sie wurden aber systematisch verschleiert. Manche Psychiater halten auch heute noch diese Gefahr für ein Hirngespinst von angeblich zu kritisch eingestellten Ärzten und Pharmazeuten,9 obwohl sorgfältige gut dokumentierte Fallsammlungen das Risiko eindeutig beschreiben.10 Einige Wissenschaftler und die amerikanische Zulassungsbehörde kamen zum Schluss, dass das Risiko nur bei Kindern und Jugendlichen bzw. bei jungen Erwachsenen bis zum 24. Lebensjahr besteht.11

Depressive und suizidale Effekte sind bei den Wirkstoffen Vareniclin (Champix®) und Bupropion (Zyban®) häufiger aufgefallen – beide sollen die Tabakentwöhnung erleichtern (GPSP 2/2007, S. 3). Wiederum ist der ursächliche Zusammenhang schwer zu belegen, denn Tabakverzicht- bzw. Tabakentzug selbst kann depressive Zustände auslösen.

Mit Finasterid (Proscar® u.a.), das die Wirkung des Sexualhormons Testosteron beim Mann abschwächt, wird eine gutartige Prostatavergrößerung behandelt – und auch der Haarausfall bei Männern (Propecia® u.a.). Mehrere Studien belegen, dass unter der Medikation depressive Symptome entstehen können. Teilweise hatten sie sich drei Wochen nach Absetzen des Medikaments zurückgebildet, aber teilweise waren sie sogar noch nach drei Monaten zu beobachten.12

Psychische Probleme kann es auch bei der Einnahme bestimmter Antibiotika geben. Die Gruppe der Gyrasehemmer wie Ofloxacin (Tarivid®) kann nicht nur Depression und Suizidalität auslösen, sondern auch andere psychische Veränderungen bewirken, beispielsweise Verwirrtheit.

Zahlreiche Arzneimittel können Depression oder Selbsttötungsgedanken auslösen. Sollten Sie während einer Arzneimitteltherapie solche Tendenzen verspüren, sprechen Sie unbedingt mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt darüber.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2013 / S.10