Was muss für mehr Transparenz geschehen?
Nicht immer werden die Daten von klinischen Studien veröffentlicht. Diese fehlende Transparenz macht es schwierig, Nutzen und Risiken von Medikamenten richtig einzuschätzen. Was müsste sich ändern, um die Situation zu verbessern? Und was könnten die Aufsichtsbehörden tun? Darüber haben wir mit Till Brückner von der Initiative TranspariMED gesprochen.
GPSP: Im Mai 2021 haben 18 Organisationen in Europa gemeinsam darauf aufmerksam gemacht: In der EU wurden immer noch nicht die Ergebnisse von mehr als 4.000 Studien veröffentlicht, obwohl die Studienverantwortlichen bereits seit 2014 dazu verpflichtet sind. Warum haben die Regeln das Problem nicht nachhaltig gelöst?
Grundsätzlich ist die Regelung sehr sinnvoll, dass Sponsoren, also die Firmen oder Forschungseinrichtungen, die Studien durchführen, die Ergebnisse innerhalb von einem Jahr nach Studienende im EU-Studienregister veröffentlichen müssen. Denn die Ergebnisse vieler klinischer Versuche werden gar nicht oder erst nach langer Verzögerung publik gemacht, auch in Deutschland.
Allerdings wurde die europäische Richtlinie von den nationalen Aufsichtsbehörden wie dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI)1 in Deutschland viele Jahre lang nie effektiv kommuniziert oder umgesetzt. Viele Sponsoren wissen bis heute nicht, dass es diese Verpflichtung gibt und dass sie derzeit dagegen verstoßen. Andere wissen es, aber ignorieren sie einfach.
Was müssten die Aufsichtsbehörden dann tun?
In unserem gemeinsamen Brief mit Cochrane, Transparency International und anderen Gruppen haben wir die nationalen Aufsichtsbehörden dazu aufgefordert, alle Sponsoren anzuschreiben, bei denen noch Versuchsergebnisse fehlen, und nachzuhaken, bis alle fehlenden Ergebnisse in die EU-Datenbank hochgeladen sind.
Es fällt auf, dass inzwischen viele Pharmafirmen ihrer Verpflichtung zur Veröffentlichung von Studiendaten relativ gut nachkommen, es aber häufig bei Universitäten hapert. Woran liegt das?
Nachdem es in der Vergangenheit mehrere Skandale mit versteckten Versuchsergebnissen gab,2 bemühen sich große Pharmafirmen heute zu zeigen, dass sie transparenter geworden sind. In den Firmen kümmern sich oft spezialisierte Teams darum, dass Studienergebnisse pünktlich und regelkonform veröffentlicht werden. Dagegen haben viele Universitäten keinen Überblick, was alles unter ihrem Dach geforscht wird, und keine Systeme zur Nachverfolgung. Genau deshalb ist es wichtig, dass sich die Aufsichtsbehörden jetzt endlich aktiv einschalten.
Was können Universitäten tun, dass sich die Situation verbessert?
An jeder Universität muss die Universitätsleitung Verantwortliche ernennen, die sich einen Überblick über alle Registereinträge verschaffen und Forscher:innen dabei unterstützen, pünktlich ihre Studienergebnisse in das EU-Register einzuspeisen. Leipzig zum Beispiel hat das hervorragend gemacht, aber etwa die Ludwig-Maximilians-Universität in München hat das erst für fünf ihrer 40 Studien geschafft.3 Da sollten die deutschen Aufsichtsbehörden etwas nachhaken.
Wie könnte das konkret aussehen?
Ein freundlicher Warnbrief allein könnte schon Wunder bewirken. Das BfArM hat nach eigenen Angaben 2020 über 1.100 deutsche Sponsoren angeschrieben, aber es ist unklar, ob die Behörde jetzt weiter nachhaken wird. Das PEI hat meines Wissens nach immer noch keine solchen Briefe geschrieben, obwohl deutsche Universitäten die Ergebnisse von mehr als einem Viertel ihrer klinischen Studien nie irgendwo publik machen – weder in Registern noch in der wissenschaftlichen Literatur.4
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Die Aufsichtsbehörde in Österreich will demnächst alle Sponsoren im Land anschreiben. Die Behörde in Dänemark hat angekündigt, dass sie Sponsoren zukünftig vor Gericht bringen werden will. Am besten sind die Behörden in Großbritannien: Sie haben eine Strategie entwickelt, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse aller klinischen Versuche pünktlich veröffentlich werden, also nicht nur die von Medikamentenstudien.5 Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.
In den USA kann die zuständige Aufsichtsbehörde FDA sogar Verspätungsgebühren erheben: Das hat sie kürzlich zum ersten Mal einer Pharmafirma angedroht – und vier Wochen später waren die Daten im Register. Wäre das in der EU auch möglich?
In den USA besteht dafür seit 2007 eine klare gesetzliche Grundlage. In Europa wird das leider erst ab Februar 2022 der Fall sein, wenn die nationalen Aufsichtsbehörden die 2014 verabschiedete EU-Verordnung in vollem Umfang anwenden können. Aber wenn das Gesetz auf dem Papier bleibt und nicht umgesetzt wird, wie das auch bis vor Kurzem in den USA der Fall war,6 nützt das Patient:innen nichts.
Deshalb sollte die Bundesregierung BfArM und PEI klare Weisung und Befugnisse geben, die Regeln endlich konsequent durchzusetzen und bei Bedarf Sanktionen zu verhängen.
Manche Behörden mauern auch, wenn es um die Herausgabe von Studienberichten geht, die ihnen vorliegen. Was hält sie davon ab?
Detaillierte Studienberichte der Pharmaindustrie sind auf EU-Ebene für Medikamente mit europäischer Zulassung zugänglich.7 Bei Medikamenten mit einer nationalen Zulassung in Deutschland hat sich das BfArM in der Vergangenheit geweigert, sie mit unabhängigen Forschern zu teilen. Da ging es zum Beispiel um ein Medikament gegen das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADHS), das in Deutschland national zugelassen wurde und hier für Kinder verschrieben wird. Das BfArM hat die Geheimhaltung mit kommerzieller Vertraulichkeit begründet, obwohl die europäische Aufsichtsbehörde EMA die Studienberichte nicht als kommerziell vertraulich einstuft.
Welche Folgen hat das?
Im Interesse von Patient:innen ist die Nichtveröffentlichung medizinischer Studienergebnisse sicher nicht. Das verschwendet Steuergelder, schadet der Wissenschaft und gefährdet Patient:innen. Sogar die Mitarbeiter:innen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) können für die Nutzenbewertung manchmal nicht auf wichtige Studienergebnisse von Universitäten zugreifen, die vom deutschen Steuerzahler finanziert wurden. Bislang schauen die deutschen Aufsichtsbehörden dabei weitgehend weg, das muss sich ändern.
Transparenz an deutschen Unis
GPSP 3/2020, S. 3
Nutzenbewertung
GPSP 3/2021, S. 18
Stand: 31. August 2021 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2021 / S.21