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Vergrößerte Prostata: Vor allem der Leidensdruck zählt

In beliebten Fernsehserien ist auffällig oft Prostatakrebs ein schicksalsschweres Thema. Viel verbreiteter ist aber das gutartige Wachstum der Vorsteherdrüse (Prostata). Die damit verbundenen Probleme beim Wasserlassen beginnen meist um die Fünfzig. Von den über 60jährigen Männern ist fast jeder zweite betroffen. Wir fragten Kurt Dreikorn, warum Beschwerden und Leidensdruck individuell sehr unterschiedlich sind, wie der Arzt die Prostata untersucht und wie er helfen kann.

GPSPMit den Jahren wächst die Prostata, ohne dass genau geklärt ist, warum das so ist. Zahlreiche Männer wissen durchaus, dass da früher oder später ein Problem auf sie zukommt. Wann gehen sie zum Arzt?

Kurt Dreikorn: In der Regel, wenn beim Wasserlassen etwas nicht mehr ich Ordnung ist. Der Harnstrahl ist schwach, es tröpfelt nach und manche haben das Gefühl, dass nach dem Pinkeln noch nicht alles raus ist – also noch Restharn in der Blase ist. Die Furcht ist vor allem, dass eine bösartige Veränderung dahinter steckt. Und darum sind die meisten Männer sofort beruhigt, wenn die Diagnose ergibt, dass nichts auf ein Karzinom, also einen bösartigen Prostata­tumor, hinweist.

GPSPBevor wir über die Untersuchungsmethoden genauer sprechen, zuvor noch die Frage: Was heißt es, dass die Männer beruhigt sind?

Kurt Dreikorn: Sofern ihre Probleme relativ gering sind, können sie es besser ertragen, öfter zur Toilette zu gehen und manchmal nachts aufzustehen. Wenn das einmal pro Nacht vorkommt, stört das auch die Partnerin nicht so sehr. Aber wenn man schlecht wieder einschlafen kann, kann es schon Probleme geben.

GPSPUnd wenn die Beschwerden größer sind?

Kurt Dreikorn: Die Schwere der Symptome ist die eine Seite der Medaille, die andere ist der bei jedem Einzelnen unterschiedliche Leidensdruck.

GPSPWie lässt sich das Ausmaß der Beschwerden denn bestimmen?

Kurt Dreikorn: Es gibt einen international verwendeten Fragebogen in vielen Sprachen,1 um das Ausmaß der individuellen Beschwerden zu erfassen. Diesen IPSS-Fragebogen2 mit 7 Fragen zu Problemen der Blasenentleerung und einer Frage zur Lebensqualität lasse ich immer von meinen Patienten ausfüllen. Bei unter 8 Gesamtpunkten sprechen wir von einer geringen Symptomatik, bei 8-19 von einer mittelgradigen, bei 20-35 von schweren Symptomen.3 Wichtig ist auch, wie stark die Lebensqualität eingeschränkt ist.

GPSPMit welchen diagnostischen Schritten muss man dann als Mann rechnen?

Kurt Dreikorn: Schon bei der Anmeldung zur Sprechstunde möchten wir erfahren, warum der Patient einen Termin braucht. Denn bei Blasen- und Prostataproblemen sollte er mit voller Blase kommen, damit wir den Urin untersuchen und zum Beispiel einen Harnwegsinfekt ausschließen können. Außerdem brauchen wir eine volle Blase, weil eine Harnstrahlmessung unerlässlich ist. Man muss das vorher sagen, damit die Patienten wirklich mit möglichst voller Blase zur Erstuntersuchung kommen und für die Harnstrahluntersuchung nicht nochmals kommen müssen.

GPSPWas wird noch untersucht?

Kurt Dreikorn: Wir empfehlen, den PSA-Wert zu bestimmen, um zuverlässiger abzuklären, ob ein Verdacht auf ein Prostatakarzinom vorliegt. In diesem Fall übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen auch die Kosten für diese Bestimmung.

GPSPUnd was wird noch gemacht?

Kurt Dreikorn: Die Bestimmung des Kreatinins, damit man weiß, ob die Nierenfunktion in Ordnung ist. Und bei einem Patienten, der auffällig blass aussieht, würde ich auch ein kleines Blutbild veranlassen.

GPSPWomit muss man noch rechnen?

Kurt Dreikorn: Es gibt noch die rektale Untersuchung, bei der vom Darm aus mit dem Finger getastet wird, wie groß die Prostata in etwa ist. Ist sie so groß wie eine Mandarine oder so groß wie eine Apfelsine? Fühlen lässt sich auch die Konsistenz. Falls sie knotig ist, kann das auf ein Karzinom hinweisen. Und der Arzt merkt natürlich, ob die Abtastung schmerzhaft ist, was ein Indiz für eine Prostatitis, also eine Prostataentzündung, sein kann.

GPSPWie ermitteln Sie denn, ob Restharn in der Blase ist?

Kurt Dreikorn: Früher mit Katheter, heute mit einem Ultraschall der Blase. Eigentlich sollte die Blase nach dem Wasserlassen weitgehend leer sein, aber manche Patienten müssen dazu ein zweites Mal auf die Toilette. Wenn dann noch Urin drin bleibt, kommt es auf die Menge an: Bei 200 Millilitern Restharn umschließt die Prostata die Harnröhre so eng, dass der Abfluss stark behindert ist. Oder die Blase ist bereits geschädigt und bringt für die vollständige Entleerung nicht mehr genug Kraft auf. Bei einer hohen Restharnmenge leuchten bei einem Urologen die roten Lämpchen auf, und er wird das kontrollieren.

GPSPWarum?

Kurt Dreikorn: Es kann passieren, dass der Patient eine Harnsperre bekommt und plötzlich überhaupt kein Wasser mehr lassen kann. Diese Harnverhaltung ist sehr unangenehm, schmerzhaft, und der Arzt muss die Blase fast immer mit einem Katheter entleeren.

GPSPMacht eine größere Restharnmenge noch andere Probleme?

Kurt Dreikorn: Das ist unterschiedlich. Aber wenn der Restharn mit den Jahren immer mehr wird, kann es zu Blasenentzündungen, Blasensteinbildungen, zu einer kompletten Harnverhaltung oder zum Aufstau des Urins in die Nieren mit Schädigung der Nierenfunktion kommen.

GPSPWie bestimmt der Arzt denn die Größe der Prostata?

Kurt Dreikorn: Heute am besten mit dem transrektalen Ultraschall – also mit einer Sonde vom Enddarm aus. Damit lässt sich die Größe in Gramm oder Milliliter genau ermitteln, was auch für die Behandlung – etwa die Wahl des Arzneimittels – wichtig ist. Außerdem kann man im Ultraschall manchmal auch Karzinome erkennen. Vor allem sieht man, ob eine Prostata, die ja die Harnröhre umgibt, diese so eng umschließt, dass der Harn schlecht abfließt.

GPSPWie misst man diese so genannte Obstruktion?

Kurt Dreikorn: Früher mit einem aufwendigen und für den Patienten oft unangenehmen Verfahren, der „urodynamischen Untersuchung“. Heute kann man dazu die Blasenwanddicke per Ultraschall messen, meist bei einem zweiten Arztbesuch. Und wieder muss der Patient mit gefüllter Blase kommen.

GPSPAber das ist noch kein übliches Verfahren. Erstatten es die gesetzlichen Kassen?

Kurt Dreikorn: Den Ultraschall der Blase durchaus. Ich hoffe, dass das Verfahren mit den neuen Leitlinien und Fortbildungsveranstaltungen zu einer Routineuntersuchung wird.

GPSPWas bedeutet eine starke Verengung der Harnröhre oder große Blasenwanddicke für den Patienten?

Kurt Dreikorn: Eventuell muss die Prostata operativ verkleinert werden.4 Dann ist der Abfluss aus der Blase wieder frei und die Verdickung der Blasenwand bildet sich zurück. Wann ein solcher Eingriff nötig ist, steht in den Leitlinien. Aber den meisten Patienten können wir schon im Vorfeld helfen.

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GPSPUnd welche Möglichkeiten gibt es im Vorfeld von Operationen?

Kurt Dreikorn: Sind die Beschwerden gering und es stört zum Beispiel das nächtliche Wasserlassen nur manchmal, reicht es, abends weniger zu trinken – tagsüber dafür etwas mehr – und speziell auf Kaffee oder das große Bier abends zu verzichten. Vor allem muss ich als Facharzt wissen, ob und welche Medikamente mein Patient sonst noch einnimmt. Abends ein entwässerndes Medikament gegen Bluthochdruck einzunehmen, kann zum Beispiel ungünstig sein, und man könnte versuchen, es in Abstimmung mit dem Hausarzt zu ersetzen. Bestehen nur leichte Symptome und hat der Patient keinen Leidensdruck oder Behandlungswunsch, ist es oft sinnvoll, abzuwarten und ein Jahr später – oder bei mehr Beschwerden – erneut zu untersuchen („kontrolliertes Abwarten“). Manche Patienten kaufen sich pflanzliche Mittel und sind damit zufrieden. Der Nutzen pflanzlicher Präparate ist zwar oft unzureichend belegt, aber sie haben in der Regel wenig Nebenwirkungen.

GPSPEigentlich haben die Mittel nicht mehr als eine Placebowirkung.

Kurt Dreikorn: Oft genügt die ja schon.

GPSPUnd bei stärkeren Beschwerden?

Kurt Dreikorn: Ist die Prostata relativ klein, kann ein so genannter Alphablocker nützlich sein. Außer dem in der Urologie sehr verbreiteten Tamsulosin gibt es Doxazosin, Alfuzosin, Terazosin und Silodosin. Diese Mittel wirken oft schon innerhalb von Tagen. Als Arzt muss ich wissen, ob der Patient niedrigen Blutdruck hat oder blutdrucksenkende Medikamente einnimmt, da einige Alphablockern dann zu Benommenheit oder Ohnmacht führen können.

GPSPUnd wenn die Prostata recht groß ist?

Kurt Dreikorn: Dann verordnen wir meist ein Medikament mit dem Wirkstoff Finasterid. Diese Substanz aus der Gruppe der sogenannten 5-Alphareduktasehemmer hemmt ein bestimmtes Enzym (5-Alphareduktase) in der Prostata und behindert auf diesem Wege die Umwandlung von in den Hoden gebildetem Testosteron in die Substanz Dihydrotestosteron. Dadurch wächst die Prostata nicht weiter, sie wird sogar um bis zu 25% kleiner.

Studien haben gezeigt, dass bei größerer Prostata 5-Alphareduktasehemmer das Risiko von Harnverhaltungen und die Notwendigkeit von operativen Eingriffen an der Prostata vermindern können. Finasterid und das teurere bisher nur als Original erhältliche Dutasterid verringern allerdings manchmal die Potenz. Nach einigen Studien nimmt dieser negative Effekt solcher Enzymblocker mit den Jahren ab. Manche Männer klagen über ein Anschwellen der Brustdrüse, was auch schmerzhaft sein kann. In zwei Studien wurde gezeigt, dass unter der Einnahme von 5-Alphareduktasehemmern insgesamt weniger Prostatakarzinome auftreten, die Häufigkeit aggressiverer Karzinome jedoch zunahm, ohne dass die Ursache dafür geklärt werden konnte.

GPSPManchmal werden auch ein Aphablocker und der Enzymblocker kombiniert?

Kurt Dreikorn: Der Grund ist, dass der Alphablocker rasch die Symptome lindert, der Enzymblocker 5-Alphareduktasehemmer aber erst nach sechs Monaten die Prostata ausreichend verkleinert hat. Es hängt von dem jeweiligen Beschwerdebild, den urologischen Untersuchungen und der Verträglichkeit der Medikamente ab, ob und welche Wirkstoffe der Urologe verordnet.

GPSPHerr Dreikorn, vielen Dank für Ihre ausführlichen und anschaulichen Erläuterungen.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2014 / S.19