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Hebammen: Gebären braucht gute Begleitung

Wird ein Kind geboren, muss in Deutschland eine Hebamme1 dabei sein. Auch während der Schwangerschaft und im Wochenbett sind sie erfahrene Expertinnen. Wir sprachen mit der Hebammenwissenschaftlerin Claudia Hellmers darüber, warum es gut ist, wenn Frauen in dieser Lebensphase von Hebammen ihres Vertrauens begleitet werden.

GPSP: Eine persönliche Frage. Was wäre Ihnen selbst wichtig, wenn Sie jetzt schwanger wären und sich auf die Geburt gut vorbereiten wollten?

Prof. Dr. Claudia Hellmers: In der Tat wäre das, eine Hebamme zu finden, zu der ich Vertrauen entwickeln kann, weil sie zum Beispiel auf Schwangerschaft und Geburt denselben Fokus hat wie ich.

Was meinen Sie damit?

Dass sie Schwangerschaft und Geburt als ganz bedeutsame Lebensphase sieht und nicht nur den technischen Vorsorgeaspekt im Auge hat. Dass sie mich berät, aber mich entscheiden lässt. Ideal wäre es, wenn sie mich schon bei den Vorsorgeuntersuchungen betreuen, bei der Geburt begleiten und die Nachbetreuung übernehmen würde.

Das geht aber bei einer „normalen“ Klinikgeburt nicht. Da müssten Sie sich für eine Hausgeburt oder das Geburtshaus entscheiden.

Es gibt noch Alternativen, etwa eine Beleghebamme, die die Frau bereits in der Schwangerschaft betreut und dann beim Einsetzen der Wehen mit in die Klinik geht. Doch die gibt es nicht überall. Hier in Osnabrück zum Beispiel nicht. In Großstädten oder einigen ländlichen Regionen findet man sie eher. Das ist regional sehr unterschiedlich. Eine weitere Alternative sind Hebammenkreißsäle.

Was ist da besonders?

Während die Beleghebamme einen Vertrag mit einer Klinik hat, weil sie dort Räumlichkeiten sowie Material und Geräte der Geburtshilfe nutzen kann, sind die Hebammenkreißsäle Einheiten innerhalb der geburtshilflichen Abteilung in einer Klinik. Hier arbeiten die Hebammen autonom. Ein Arzt oder eine Ärztin werden nur hinzugezogen, wenn während der Geburt Regelwidrigkeiten oder Gefahren auftreten, z. B. eine Veränderung der kindlichen Herztöne.

Warum ist Ihnen die Betreuung durch eine Hebamme von Beginn der Schwangerschaft an so wichtig?

Weil Gebären auch mit vielen Sorgen, Ängsten und Ungewissheit verbunden sein kann und weil Beratung wichtig ist. Es hat sich gezeigt, dass Frauen, die eine kontinuierliche Hebammenbetreuung hatten, bei der Geburt weniger Schmerzmittel brauchten und weniger operative Eingriffe nötig waren. Wir vermuten, dass diese Frauen besser auf das Ereignis Geburt vorbereitet sind, mehr Vertrauen in ihren Körper entwickeln und von den Erfahrungen und Kenntnissen der Hebammen profitieren.

Aber bei der „normalen“ Klinikgeburt ist doch auch eine Hebamme dabei?

Ja, natürlich. Sie ist allerdings meistens eine fremde Person, und obwohl Hebammen darin geübt sind, eine gute Beziehung zu der Gebärenden aufzubauen, fehlt ihnen für ein intensives Kennenlernen häufig die Zeit. Hebammen beklagen, dass auch in der Geburtshilfe am Personal gespart wird. Dabei wünschen viele Gebärende, dass mehr auf ihre Wünsche und Ängste eingegangen wird, sie in Entscheidungen einbezogen werden und die Kontrolle behalten können. Diese Aspekte sorgen für eine höhere Zufriedenheit, setzen aber Empathie, Zeit und eine gute Kommunikation voraus.

Kommt es durch Zeitmangel zu Interventionen, die eine Geburt beschleunigen sollen? Sogar zu überflüssigen Kaiserschnitten?

Das ist schwer zu belegen, aber zu befürchten. Eine 1:1 Betreuung ist für das Wohlbefinden sicher meistens ideal. Stress und Zeitmangel spüren Gebärende, und wenn ich beispielsweise mit einem Wehenmittel die Geburt voranbringe, dann kann das weitere Eingriffe nach sich ziehen.

Gibt es denn keinen Schlüssel, der festlegt, wie viele Hebammen eine Klinik beschäftigen muss, wenn sie soundso viele Geburten pro Jahr hat?

Nein. Aus den 1980er Jahre existiert eine Empfehlung, aber die ist nicht bindend. In unserem Verbund Hebammenforschung gibt es ein Projekt, dessen Ziel ein solcher Schlüssel ist. Der sollte einberechnen, dass Hebammen viele Aufgaben haben: Sie begleiten Geburten, erledigen Aufräumarbeiten, besuchen Schwangere auf der Station und untersuchen Frauen, die in die Klinik kommen, weil z.B. ein CTG2 geschrieben werden soll. Der Schlüssel muss auch den Anteil an Risikogeburten berücksichtigen.

Sind sie beim Kaiserschnitt dabei?

Bei jeder Geburt besteht in Deutschland die „Hinzuziehungspflicht“ einer Hebamme. Wir begleiten die Frau zur Anästhesie und in den Operationssaal, nehmen das Neugeborene entgegen und unterstützen die frühe Mutter-Kind-Bindung. Wir wollen die Situation so angenehm wie möglich machen, auch wenn ein Kaiserschnitt nicht geplant war oder sich der Wunsch nach einer „leichten“ Geburt nicht erfüllt hat.

Geht das denn?

Wenn ich in Ruhe erklären kann, warum jetzt ein Dammschnitt gemacht werden sollte oder die Saugglocke nötig ist und die Gebärende in diese Entscheidungen einbeziehe, dann behält sie das Gefühl beteiligt zu sein, fühlt sich nicht übergangen oder als Opfer.

Also nicht Augen zu und durch?

Möglichst nicht. Die Stunden um die Geburt herum begleiten Frauen das ganze Leben, sie sind immer wieder Thema. Und wenn etwas wirklich nicht gut gelaufen ist, sollte unbedingt die Möglichkeit bestehen, das in Gesprächen zu verarbeiten.

Kommen wir noch mal auf die Vorsorge zurück. Stimmt es, dass Hebammen die ebenso machen können wie Ärztinnen und Ärzte?

Ja, bei unkomplizierten Schwangerschaften. Lediglich die Ultraschalluntersuchungen und bestimmte Maßnahmen der pränatalen Diagnostik müssen Ärztinnen übernehmen. Es gibt neben Hebammenpraxen und der häuslichen Betreuung auch Gemeinschaftspraxen, in denen Hebammen und Gynäkologinnen die Vorsorge abwechselnd oder gemeinsam gestalten. Schwangere profitieren davon. Hebammen nehmen sich in der Regel viel Zeit für Gespräche und Beratung.

Wie funktioniert die Nachbetreuung?

Wenn die Mutter wieder zu Hause ist, kommt ihre Hebamme in den ersten zehn Tagen täglich oder sogar zweimal am Tag. Danach werden die Besuche nach Bedarf abgesprochen. Optimal ist es, wenn es dieselbe Hebamme ist, die schon die Vorsorge übernommen und die Geburt begleitet hat. Sie berät beim Stillen, hat ein Auge auf das Baby, auf die Rückbildung der Gebärmutter oder die Wundheilung beim Dammschnitt. Es geht nicht nur um medizinische Themen, sondern gerade auch um das Wohlbefinden von Mutter und Kind. Die Nachsorge erstreckt sich heute über die gesamte achtwöchige Wochenbettphase. Sogar danach übernehmen Krankenkassen Hebammenbesuche, allerdings muss dafür ein ärztliches Rezept vorliegen.

Ist eine so lange Betreuung nötig?

Unbedingt, denn vor allem beim ersten Kind muss die Mutter ihre neue Rolle übernehmen. Es entstehen viele Fragen. Das Wochenbett sollte als Schutzphase verstanden werden, in der die Frau Unterstützung erfährt und sich auf die Versorgung ihres Kindes und die Beziehungsgestaltung konzentrieren kann. Leider wird das bei uns viel zu oft vernachlässigt.

Frauen sind in dieser Zeit sehr fragil, manchmal auch niedergeschlagen.

Meistens reguliert sich das wieder, aber manchmal entsteht eine anhaltende Depression. Wie man die vermeidet, ist noch nicht befriedigend entschlüsselt, aber Risikofaktoren wie fehlende soziale Unterstützung sind bekannt.3 Hebammen können bei Hausbesuchen das Problem erkennen und sich um professionelle therapeutische Hilfe kümmern.

Frau Hellmers, vielen Dank für das Gespräch und einen guten Start in das neue Semester.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2012 / S.12