Atemlos
Die Lungenkrankheit COPD wird unterschätzt
Die chronisch obstruktive Lungenkrankheit (engl.: Chronic Obstructive Pulmonary Disease, COPD) ist nach Herzinfarkt und Schlaganfall weltweit die dritthäufigste Todesursache.1 Und doch ist das Kürzel – anders als Lungenkrebs und Asthma – vielen Menschen unbekannt.2 Wer an COPD erkrankt, hat fast immer vorher geraucht. Daher kennt der Volksmund eher verharmlosende Begriffe wie Raucherhusten und Raucherlunge. Tatsächlich wird bei einer COPD Lungengewebe unwiederbringlich zerstört. Wir fragten Antonius Schneider nach dem Verlauf der Erkrankung und wie man diesen günstig beeinflussen kann.
GPSP: Die Bedeutung der Lungenkrankheit COPD, bei der die Atemwege verengt sind und nicht genügend Sauerstoff in das Blut gelangt, wird von vielen Menschen unterschätzt. Woran liegt das?
Schneider: Das liegt unter anderem daran, dass den Symptomen selbst von den Betroffenen zunächst keine Bedeutung beigemessen wird. 9 von 10 COPD-Patienten rauchen oder haben lange Zeit regelmäßig geraucht. Husten und Schleim auszuspucken, das finden sie normal.
GPSP: Das heißt, sie haben kein Bewusstsein dafür, dass sie krank sind?
Schneider: Ja. Der Leidensdruck ist anfangs gering, zumal es ihnen im Alltag zunächst nicht auffällt, dass sie beim Treppensteigen mehr schnaufen oder öfter als andere an einem Atemwegsinfekt erkranken. Den ständigen Husten und die Kurzatmigkeit kennen Raucher und verharmlosen beides. Genauso wie ihre Nikotinsucht.
GPSP: Wie kommen Betroffene denn überhaupt zu einem Arzt oder einer Ärztin, die sich um ihre chronische Lungenerkrankung kümmern?
Schneider: Da gibt es verschiedene Wege. Manchmal kommt der Patient mit einem anhaltenden grippalen Infekt zum Hausarzt. Husten und Auswurf sind stärker als sonst, und vielleicht kommt auch Fieber dazu. Dann liegt es am Arzt, nach den Rauchgewohnheiten zu fragen. Das Gespräch ist wichtig und bietet die Möglichkeit, gemeinsam darüber nachzudenken, wie ein Rauchstopp zu erreichen ist.
GPSP: Warum ist das so wichtig?
Schneider: Das Rauchen selbst zerstört die Lungen. Es gibt auch andere Inhalationsgifte, etwa Qualm von Holzfeuer in schlecht belüfteten Behausungen in Entwicklungsländern. Daneben gibt es noch seltene angeborene Krankheiten, die zu COPD führen. Aber fast immer ist Rauchen die Ursache. Und ein Rauchstopp, um Ihre Frage zu beantworten, führt dazu, dass nicht noch mehr Lungengewebe geschädigt wird. Die Erkrankung kommt nur so zum Stillstand.
GPSP: Und warum heilt das Lungengewebe nicht wieder aus? Warum ist das irreversibel?
Schneider: Durch den Tabakqualm gelangen Schadstoffe tief in die Lunge, bis in die Lungenbläschen, und verursachen dort in den feinen Wänden Entzündungen. Das führt nicht nur zur Sekretbildung – also gelb-grünlichem Schleim, der abgehustet wird –, sondern auch zu Umbauprozessen. Die Wände verdicken sich und der Gasaustausch durch die Wand hindurch funktioniert nicht mehr richtig. Das heißt, es gelangt zu wenig Sauerstoff in das Blut. Mit der Zeit werden die Lungenbläschen regelrecht zerstört. Man spricht von einem Emphysem. Ein Rauchstopp kann den Zerstörungsprozess aufhalten.
GPSP: Wie unterscheidet sich denn COPD von Asthma?
Schneider: Wir haben zum einen andere Auslöser. Beim allergischen Asthma können das zum Beispiel Pollen bestimmter Gräser sein. In der Blütezeit dieser Gräser belasten einen dann Husten und Atemnot, meist treten Beschwerden anfallsartig auf. Die Beschwerden bei Asthma bronchiale schwanken in der Intensität, im Unterschied zu den konstanten Beschwerden bei COPD. Ein solches allergisches Asthma muss anders behandelt werden. Es gibt daneben natürlich auch chronisches Asthma, das ganzjährig behandelt werden muss, aber das kann der Arzt meist gut von COPD unterscheiden, wobei es auch Mischformen gibt.
GPSP: Was macht der Hausarzt, wenn er den Verdacht auf COPD hat?
Schneider: Nach einer Anamnese, die immer auch die Rauchgewohnheiten abfragt, wird er zuerst die Herzleistung prüfen, da auch eine Herzschwäche, eventuell ebenfalls ursächlich durchs Rauchen, eine Luftnot verursachen kann. Mit dem Spirometer wird er messen, wie kräftig der Atemstrom ist. Durch COPD sind ja die Atemwege verengt, es geht zu wenig Luft in die Lungen hinein und zu wenig hinaus. Die Ausatmung messen wir.
GPSP: Und wenn die Werte normal sind, ist damit eine COPD ausgeschlossen? Selbst bei Rauchern oder Raucherinnen?
Schneider: Zunächst ja, aber sie kann sich jeder Zeit entwickeln, und es gibt doch viele andere Probleme durch Rauchen: Lungenkrebs, wovor viele Angst haben, die schlechte Durchblutung der Beine, ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt, eine Verminderung der geistigen Fähigkeiten. Und bei Männern droht Impotenz.
GPSP: Warum sind so viele Organe betroffen?
Schneider: Bei Rauchern sind die Blutgefäße enger, die Durchblutung wird überall schlechter. Sind die Lungen zusätzlich bereits durch COPD geschädigt, ist darüber hinaus der Gasaustausch in den Lungenbläschen blockiert und das Blut enthält nicht genügend Sauerstoff.
GPSP: Was hilft denn in dieser Situation?
Schneider: Die Patienten haben die Angewohnheit, sich zu schonen. Dadurch kommen sie zwar nicht so leicht außer Atem, bemerken also ihre Einschränkung nicht so sehr.
GPSP: … und müssen sich ihr nicht stellen.
Schneider: Genau, aber sie trainieren auch ihre Muskulatur nicht. Und Sportlichkeit ist ein großer Vorteil für COPD-Patienten. Es gibt daher gezielte Trainingsprogramme, die ich unbedingt empfehle. Man muss nur daran denken, dass keine Medikamente zur Verfügung stehen, die die Veränderungen in der Lunge wieder rückgängig machen. Der angerichtete Schaden ist irreversibel. Aber wir können medikamentös immerhin erreichen, dass der Patient etwas mehr Luft kriegt.
GPSP: Was bewirken denn diese Arzneimittel?
Schneider: Beim Asthma wird heute hauptsächlich Kortison inhaliert, das die Entzündungsprozesse herunterregeln soll. Das macht die Atemwege freier. Bei der COPD sollen die Wirkstoffe die Bronchien erweitern, man spricht von Bronchodilatatoren.3 Zum Einsatz kommen sowohl Inhalationen mit Beta-2-Sympathomimetika4 als auch mit Anticholinergika,5 und die müssen regelmäßig gesprüht werden. Wir Ärzte müssen bei jedem Patienten herausfinden, was dem Einzelnen am besten hilft.
GPSP: Brauchen Sie in der Therapie noch andere Wirkstoffe?
Schneider: Es gibt immer wieder Situationen, in denen sich die Erkrankung plötzlich verschlimmert. Man spricht da von akuten Exazerbationen, etwa durch einen viralen oder bakteriellen Infekt. Meist wird die bakterielle Entzündung mit einem Antibiotikum bekämpft und manchmal benötigen wir auch kurzfristig Kortikosteroide. Ob ein Lungenfacharzt eingeschaltet werden muss oder sogar ein Klinikaufenthalt nötig ist, hängt sehr stark davon ab, wie weit die Lungenschäden durch COPD bereits fortgeschritten sind. Die meisten Patienten können in einer hausärztlichen Praxis gut betreut werden. Dazu gehört auch, dass Arzt und Patient über Ängste sprechen, die bei Atemwegserkrankungen häufig vorkommen. Atemnot empfinden wir als lebensbedrohlich. Patienten müssen also in vielfältiger Weise lernen, mit ihrer Krankheit umzugehen.
Bei manchen sind die Lungenbläschen so stark zerstört und der Sauerstoffgehalt im Blut ist so gering, dass sie eine künstliche Zufuhr benötigen.
Ist die Erkrankung sehr weit fortgeschritten, hilft manchmal nur die Langzeit-Sauerstofftherapie. Die Betroffenen haben zum Beispiel eine Sauerstoffdruckflasche in einem Rucksack oder einem Schiebewägelchen bei sich und atmen über eine Atemmaske eine besonders sauerstoffreiche Luft ein.
GPSP: Man begegnet solchen Patienten manchmal beim Einkaufen oder auf der Straße.
Schneider: Ja, mit diesen Hilfsmitteln können sie ihren Alltag noch einigermaßen bewältigen. Andere haben einen Sauerstoffkonzentrator zu Hause. Der ist etwa so groß wie ein Staubsauger. Wichtig ist, dass die Patienten ihr Gerät 16 bis 24 Stunden am Tag benutzen – und nicht wie eine Sauerstoffdusche. Studien haben gezeigt, dass das nicht reicht, um die Überlebenszeit wirklich zu verlängern.
GPSP: Eigentlich weiß ja jeder Raucher, dass die Qualmerei ungesund ist. Warum fällt es trotzdem so schwer, damit aufzuhören?
Schneider: Es ist eine Entscheidung, die im Kopf getroffen wird. Das Beste ist, man hört einfach auf. Als Arzt kann ich Raucher zum Nachdenken bringen und sie motivieren. Und wenn jemand durch den Nikotinentzug hibbelig wird, dann kann er beispielsweise Nikotinpflaster benutzen. Manchen hilft auch Akupunktur – und sei es nur durch den Placeboeffekt. Es gibt auch Medikamente, die von der Sucht entlasten, weil sie am Nikotinrezeptor ansetzen. Aber solche Arzneimittel haben eben auch unerwünschte Wirkungen und wenn man sich allmählich aus dem Medikament ausschleichen will, kommen leicht die Suchtgefühle wieder. Meines Erachtens ist der eiserne Wille das wichtigste.
GPSP: Was halten Sie denn von der E-Zigarette?
Schneider: Der Nikotingehalt kann je nach Produkt recht hoch sein. Wir kennen die Langzeiteffekte nicht, und ich bin skeptisch, ob sie als Mittel zum Ausstieg aus der Tabaksucht geeignet ist.
GPSP: Der Nikotinkonsum besteht ja weiter, die Sucht wird aufrecht erhalten.
Schneider: Es bleiben vor allem die Gewohnheiten: eine Art Zigarette in der Hand zu halten, sie in den Mund zu stecken, zu ziehen. Ich bin jedenfalls froh, dass nicht mehr so viele junge Menschen anfangen zu rauchen und dass die Öffentlichkeit stark sensibilisiert ist. Das ist das beste Mittel gegen COPD.
Stand: 1. Dezember 2013 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2013 / S.19