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Lohnt die Vitamin-D-Messung?

Keine überzeugenden Belege für Nutzen bei Gesunden

„Sollte ich mal meinen Vitamin-D-Spiegel messen lassen, um bei niedrigen Werten Vitamin D einzunehmen?“ Klingt plausibel, aber der Nutzen ist nicht belegt. Das zeigt eine aktuelle Auswertung der wissenschaftlichen Literatur.

Vitamin-D-Enthusiasten empfehlen die Messung des Vitamin-D-Spiegels (Lexikon S. 27) und treiben so den Hype um das „Sonnenvitamin“ weiter an. Aber ist das für Gesunde tatsächlich sinnvoll? Ist man wirklich vor allen möglichen Krankheiten geschützt?

Was sagen Studien?

Diese Frage hat sich der US-amerikanische Ausschuss für Präventionsfragen USPSTF gestellt und im April 2021 eine umfangreiche Aufarbeitung der wissenschaftlichen Literatur zum Thema veröffentlicht.1 Dabei ging es ausdrücklich um gesunde Menschen, bei denen auch keine offensichtlichen Risikofaktoren für bestimmte Erkrankungen bekannt waren. In erster Linie suchten die USPSTF-Wissenschaftler:innen nach Studien, in denen zwei Gruppen verglichen wurden: Die eine sollte sich einer Reihenuntersuchung (Screening) auf Vitamin-D-Mangel unterzogen haben, die andere Gruppe nicht. Das Screening sollte so aussehen, dass sich die Teilnehmenden den Vitamin-D-Spiegel im Blut messen lassen. Läge der unter einem bestimmten Wert (siehe Kasten), sollten die Teilnehmenden Vitamin D in Form von Nahrungsergänzung einnehmen. Nach einer gewissen Zeit sollte das Forschungsteam dann auswerten, ob in der Gruppe mit der Reihenuntersuchung zum Beispiel weniger Herzinfarkte, Krebserkrankungen, Knochenbrüche oder andere Gesundheitsprobleme aufgetreten waren. Leider scheint es solche vergleichenden Studien, die für die Frage am aussagekräftigsten sind, bislang nicht zu geben, denn trotz intensiver Literaturrecherche konnte die USPSTF keine finden.

Was bringt die Ergänzung?

Weil keine Screening-Studien aufzufinden waren, hat die USPSTF ersatzweise Untersuchungen ausgewertet, die sich mit dem Nutzen einer Vitamin-D-Einnahme bei gesunden, nicht-schwangeren Erwachsenen mit niedrigen Vitamin-D-Spiegeln beschäftigen. Denn wenn das nichts bringt, ist auch die Messung überflüssig.

Berücksichtigt wurden 27 Studien von ausreichender Qualität. Bei diesen lagen die Vitamin-D-Spiegel der meisten Teilnehmenden zu Beginn der Untersuchung unter einer bestimmten Schwelle (meist 20 oder 30 Nanogramm pro Milliliter). Für die Untersuchungen waren die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Gruppen zugeordnet: Die eine Gruppe nahm Vitamin D ein, die andere erhielt Placebo oder keine Nahrungsergänzung. Die Behandlungsdauer lag in den Studien zwischen acht Wochen und sieben Jahren. Die Analyse konzentrierte sich auf Personen, die selbstständig leben, also nicht etwa in einem Pflegeheim wohnten.

Nutzen nicht belegt

Die USPSTF hat den Nutzen für eine ganze Reihe von Aspekten geprüft: Senkt die Vitamin-D-Einnahme etwa die Gesamtsterblichkeit, das Risiko für Typ-2-Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Knochenbrüche?

Für die meisten dieser Aspekte standen Daten von einigen Tausend Teilnehmenden zur Verfügung – aber eindeutige Belege für einen Nutzen waren nicht festzustellen. Ob die Schwelle für niedrige Vitamin-D-Werte bei 20 oder 30 Nanogramm pro Milliliter gezogen wurde, hatte keine Auswirkungen auf das Ergebnis.

Dass die Einnahme von Vitamin D bei niedrigem Blutspiegel das Leben verlängert, Knochenbrüche oder Typ-2-Diabetes verhindert, hält die USPSTF nach den Studienergebnissen für wenig wahrscheinlich. Für die Fragen von Herz-Kreislauf-Gesundheit oder Krebsentstehung sind die Daten bislang nicht ganz eindeutig negativ, sodass nach Einschätzung der USPSTF weitere Studien gerechtfertigt sind.

Unklare Risikoeinschätzung

Laut der USPSTF traten in den Studien bei den Personen, die Vitamin D einnahmen, nicht häufiger Nebenwirkungen auf als mit Placebo oder ohne Nahrungsergänzung. Allerdings unterschieden sich die Studien deutlich darin, wie sie Nebenwirkungen erfassten. Deshalb ist das Ergebnis nicht besonders sicher. Außerdem lag die Dosierung in den meisten Studien zwischen 400 und 4.000 Internationalen Einheiten (I. E.) pro Tag. Aussagen zu den Risiken von höheren Dosierungen lassen sich aus der Auswertung daher nicht ableiten.

Vitamin D einnehmen?

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sieht eine tägliche Zufuhr von 20 Mikrogramm Vitamin D (entsprechend 800 I.E.) als ausreichend an, dabei ist die körpereigene Vitamin-D-Produktion durch das Sonnenlicht noch nicht berücksichtigt.3

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) weist darauf hin, dass Erwachsene, wenn sie nicht zu einer Risikogruppe gehören, bei ausreichendem Aufenthalt im Freien und ausgewogener Ernährung eine gute Vitamin-D-Versorgung auch ohne die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten erreichen können.

Besonders Präparate mit Dosierungen oberhalb der von der DGE genannten Menge, beispielsweise 50 oder 100 Mikrogramm (2.000 beziehungsweise 4.000 I.E.) werden vom BfR als nicht notwendig eingestuft. Bei gelegentlicher Einnahme sind sie vermutlich nicht gesundheitsschädlich, können aber problematisch sein, wenn sie längerfristig und täglich eingenommen werden.4

Gefahr Nierenschaden

Bei stark erhöhtem Vitamin-D-Spiegel steigt der Kalziumwert im Blut. Dadurch entstehen leichter Nierensteine, längerfristig können auch Nierenschäden bis hin zum Nierenversagen auftreten. Gefährlich sind vor allem Produkte mit sehr hohen Dosierungen, bei denen Einnahmefehler riskante Folgen haben können.5

Fazit

Eine aktuelle wissenschaftliche Auswertung findet für gesunde Erwachsene selbst bei niedrigen Vitamin-D-Werten keine eindeutigen Nutzenbelege für eine Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln mit Vitamin D. Damit dürfte auch die Messung des Vitamin-D-Spiegels für diese Bevölkerungsgruppe wenig sinnvoll sein. Direkte Screening-Studien gibt es aber nicht.

Die Analyse bestätigt unsere bisherige Einschätzung: Die meisten Menschen brauchen unter normalen Lebensumständen keine zusätzliche Zufuhr von Vitamin D.

Vitamin-D-Hype
GPSP 2/2019, S. 12

Schäden durch Vitamin D
GPSP 2/2018, S. 13

  1. USPSTF (2021) Vitamin D Deficiency in Adults: Screening. https://uspreventiveservicestaskforce.org/uspstf/recommendation/vitamin-d-deficiency-screening (Abruf 18.6.2021)
  2. www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Vitamin_D/Vitamin_D_FAQ-Liste.html#FAQId11855876 (Abruf 7.7.2021)
  3. DGE (2012) Ausgewählte Fragen und Antworten zu Vitamin D. www.dge.de/wissenschaft/weitere-publikationen/faqs/vitamin-d (Abruf 18.6.2021)
  4. BfR (2020) Vitamin D: Einnahme hochdosierter Nahrungsergänzungsmittel unnötig. www.bfr.bund.de/cm/343/vitamin-d-einnahme-hochdosierter-nahrungsergaenzungsmittel-unnoetig.pdf (Abruf 18.6.2021)
  5. arznei-telegramm® (2020) 51, S. 55

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2021 / S.25