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©Zdenka Darul

Was bringt die Gendiagnostik?

Krebs und Gene – Zwischen Hoffnung und Hype

Bestimmte Merkmale in der Erbsubstanz eines Menschen können ein erhöhtes Krebsrisiko bedeuten. Da aber bei weitem nicht jeder Betroffene tatsächlich erkrankt, sind Tests auf solche „Tumorgene“ umstritten. Ist dagegen jemand an Krebs erkrankt, ist es bei manchen Tumoren unerlässlich, das Gewebe genetisch zu untersuchen – das Ergebnis kann für die Wahl der Therapie entscheidend sein.

In GPSP 2/2014 (S. 16) kritisierten wir überflüssige Gentests, die Ihnen zurzeit in Apotheken und bisweilen sogar im Internet für teures Geld angeboten werden. Kurzgefasst: Sie liefern keine Ergebnisse, die Ihre Arzneimitteltherapie verlässlich wirksamer oder sicher machen. Sehr viel komplizierter verhält es sich mit der Tumorgenetik – also genetischen Aspekten von Krebserkrankungen. Dieser Artikel möchte Ihnen helfen, besser durchzublickenGenetisch bedingtes Krebsrisiko

Wer hat nicht von Angelina Jolie gelesen, die sich angesichts eines genetischen Brustkrebsrisikos zum Äußersten, nämlich zur beidseitigen Brustamputation, entschloss? Seitdem wollen immer mehr Frauen testen lassen, ob in ihren Genen gefährliche Mutationen verborgen sind. Viele Labore wittern in dieser genetischen Risikoanalyse ein großes Geschäft und schüren die Angst.

Gene, die Brust- oder Eierstockkrebs auslösen können, haben besonders viel Aufmerksamkeit in den Medien bekommen. Aber auch für andere Krebserkrankungen werden genetische Veranlagungen diskutiert. Deshalb erläutern wir an diesem Beispiel das Für und Wider einer Testung.

Brust- und Eierstockkrebs-Gene

Wenn in Familien Brustkrebs und/oder Eierstockkrebs gehäuft vorkommen, kann das an vererbten Veränderungen der Gene liegen, die BRCA1 oder BRCA2 heißen. Beide spielen bei der Regulierung von Zellwachstum und Zellteilung eine Rolle. Durch diese Veränderung (Mutation) kann ihre normale Funktion, die Wachstumsregulierung, beeinträchtigt sein. Zellen können dadurch unkontrolliert wachsen und sich zu Krebsgewebe entwickeln.

Aber: Lediglich 5 bis 10 Prozent aller Brustkrebsneuerkrankungen sind genetisch bedingt. Viele weitere Faktoren tragen dazu bei, ob ein Krebs entsteht oder nicht. Daher ist der genetische Test auf BRCA1- und BRCA2-Mutationen nur bei familiärer Krebshäufung sinnvoll (siehe Kasten). Wichtig: Bloß beim kleineren Teil der familiär solchermaßen „Vorbelasteten“ wird tatsächlich eine BRCA-Mutation gefunden.

Frauen, in deren Familie bereits gehäuft Brust- oder Eierstockkrebs vorgekommen ist und die eine der BRCA-Mutationen aufweisen, haben ein Risko von bis zu 80 Prozent, an Brustkrebs zu erkranken. Angelina Jolie gehört zu dieser Personengruppe. Ob man dann tatsächlich die Entscheidung zur vorbeugenden kompletten Entfernung des Brustdrüsengewebes (bei Erhaltung der äußeren Brustform, in der Regel unterstützt durch Brustimplantate) trifft oder lieber auf engmaschige Kontrollen baut, müssen die Betroffenen und Arzt oder Ärztin nach sorgfältiger Aufklärung gemeinsam entscheiden.

Wichtig zu wissen: Die allermeisten Brustkrebserkrankungen haben nichts mit BRCA-Mutationen zu tun. Ein negativer BRCA-Test ist also keine Garantie und kann einen nicht in Sicherheit wiegen. Vom Testen ohne familiäre Belastung lässt sich deshalb nur abraten. Die Entscheidung zum Gentest muss sorgfältig entsprechend der gesamten individuellen Risiken abgewogen werden – mit Ärztinnen oder Ärzten, die fachkompetent sind.

Medikamente gegen Tumore im Darm

Anders verhält es sich, wenn bei einer bereits bestehenden Tumor­erkrankung die geeignete Therapie ausgewählt werden muss. Als Beispiel für eine bereits etablierte Genuntersuchung seien hier der Gentest namens K-Ras Mutationsanalyse und das Darmkrebsmedikament Cetuximab herausgegriffen.

Cetuximab ist ein therapeutischer Antikörper. Um zu verstehen, warum dieser nur bei bestimmten Patienten mit Darmkrebs wirken kann, ist ein kleiner Ausflug in die Biologie nützlich: Während gesunde Körperzellen streng kontrolliert wachsen und sich auch kontrolliert erneuern, vermehren sich Krebszellen unkontrolliert. Für die Kontrolle des Wachstums sorgen „Wachstumssignale“. Sie gelangen mit Hilfe von Botenstoffen, den „Wachstumsfaktoren“, an die Zelloberfläche. Dort klinken sie sich ein und setzen eine Kettenreaktion in Gang, die schließlich zur Zellteilung führt. Bei dieser Kettenreaktion spielt ein Eiweiß namens K-Ras eine Schlüsselrolle. K-Ras ist in der Zelle so etwas wie ein zentraler Schalter für die Zellteilung. Wenn zu viel K-Ras produziert wird, wird unablässig das Zellwachstum stimuliert. Es kommt zu unkontrolliertem Wachstum – also Krebs. In 20 bis 30 Prozent aller menschlicher Tumoren ist das Ras-Gen verändert, also mutiert, sodass der Körper zu viel Ras produziert. Patienten mit dieser Mutation, sprechen schlechter auf die Behandlung an und sterben früher.

Das Medikament Cetuximab kann das unkontrollierte Zellwachstum hemmen, indem es einen Wachstumsfaktor hemmt. Das Signal zum Zellwachstum wird nicht an die Zelle weitergeleitet und das Tumorwachstum somit gestoppt. Allerdings funktioniert das nicht bei allen Menschen. Denn wenn der Krebs durch eine Genmutation ausgelöst wird, die zu einer zu starken Ras-Bildung führt, ist Cetuximab wirkungslos – sein Wirkmechanismus setzt an einer anderen Stelle an. Um die passende Therapie zu wählen, ist es also für den Arzt oder die Ärztin wichtig zu wissen, ob das K-Ras-Gen mutiert ist oder nicht.

Wie hier im Fall von Darmkrebs gilt für viele moderne Krebs­medikamente: Sie dürfen erst dann eingesetzt werden, wenn eine genetische Untersuchung zuvor geklärt hat, dass der Patient überhaupt Chancen hat, von der Behandlung zu profitieren. Einen Vorteil von dieser Testung haben damit auch diejenigen Krebspatienten, bei denen der Test negativ ausfällt. Ihnen bleiben so die belastenden unerwünschten Wirkungen einer für sie nutzlosen Behandlung erspart.

Von personalisierter oder individualisierter Therapie zu sprechen wäre in diesem Zusammenhang allerdings etwas zu hoch gegriffen. Denn Ärzte erfahren nur, bei welchen Krebskranken die Behandlung nicht wirkt. Das ist zwar auch schon ein Fortschritt, aber keineswegs der Durchbruch – wie das manche Krebsforscher und die pharmazeutische Industrie gerne darstellen. Die Patienten leben bei den meisten dieser – im übrigen nicht sehr gut verträglichen – neuen Krebsmittel im Schnitt nur etwa zwei Monate länger, was immer auch eine individuelle Abwägung zwischen Lebensverlängerung und Lebensqualität begründen sollte.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2014 / S.07