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Kostenfalle Krebs

Medikamente global oft unbezahlbar

In ärmeren Ländern ist Krebs ein rasant wachsendes Gesundheitsproblem. Die Behandlung ist dort vielen Menschen verbaut: Wichtige Medikamente sind enorm teuer oder gar nicht verfügbar. Darauf macht der Pharma-Brief, eine unserer Mutterzeitschriften, aufmerksam.1

Die internationale Gesundheitspolitik hat sich lange Zeit auf Infektionskrankheiten (vor allem HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose) sowie auf die Mutter-Kind-Gesundheit fokussiert. Doch bereits heute sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa 80 Prozent der globalen Krankheitslast auf nicht übertragbare Erkrankungen zurückzuführen. Dazu zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus – und Krebs.

Gab es im Jahr 2012 noch 14,1 Millionen Krebs-Neuerkrankungen weltweit, waren es 2020 schon 19,2 Millionen. Die WHO schätzt, dass 2040 fast 30 Millionen Menschen jährlich neu an Krebs erkranken werden. Der relativ größte Zuwachs wird in Ländern mit niedrigen Einkommen erwartet – bis 2040 wird dort mit einer Verdoppelung gerechnet. Hierzu tragen im globalen Süden insbesondere eine steigende Lebenserwartung, die Globalisierung und Urbanisierung bei. Wachsende Einkommen verändern die Lebensweisen (etwa Ernährung, Bewegungsmangel) und fördern chronische Erkrankungen.

Ungleiches Risiko

Krebshäufigkeit und vorherrschende Krebsarten sind global sehr unterschiedlich verteilt. Und auch die Chancen, dass eine Erkrankung überhaupt aufgespürt wird, um dann dank einer Behandlung zu überleben, sind extrem ungleich.

In ärmeren Ländern, vor allem Ostasiens und Afrikas, wird ein bedeutender Teil der Krebserkrankungen durch Infektionen verursacht – etwa durch HIV, Hepatitis B- und C- oder humane Papillomviren (HPV). So tritt beispielsweise Gebärmutterhalskrebs in Afrika südlich der Sahara viermal so häufig auf wie in reichen Staaten. Das Risiko, daran zu sterben, ist zehnmal so hoch wie in Mitteleuropa.

Die Zahl der Neuerkrankungen an Lungenkrebs wiederum hat sich in Nordamerika und Europa in den vergangenen 30 Jahren nahezu halbiert – die Maßnahmen zum Eindämmen des Rauchens zeigen dort Wirkung. Hingegen bleiben der Tabakkonsum und die Häufigkeit von Lungenkrebs im globalen Süden konstant.

Doch auch innerhalb der Länder ist das Bild nicht homogen: So haben benachteiligte Bevölkerungsgruppen sowohl ein höheres Risiko an Krebs zu erkranken als auch geringere Überlebenschancen bei Krebs. Meist wird Krebs erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert, allein das verschlechtert bei vielen Formen die Prognose, und die Chancen auf eine gute Behandlung sind geringer. Dies zeigt sich beispielsweise bei vielen Indigenen-Gruppierungen, aber auch Kinder im globalen Süden sind generell besonders gefährdet. Das äthiopische Gesundheitsministerium etwa konstatierte 2019, dass jährlich 6.000 Krebsfälle bei Kindern registriert und nur 20 Prozent von ihnen geheilt werden. In Deutschland dagegen überleben 80 Prozent der Kinder solche Erkrankungen.

Sonderfall Therapiekosten

In ärmeren Ländern bestehen extreme Lücken bei den vier Schlüsselkomponenten der Krebs-Kontrolle, also der Prävention, Früherkennung und Diagnose, Behandlung sowie der palliativen Versorgung. Spielraum für Veränderung gäbe es allerdings, denn 40 Prozent aller Krebsfälle wären zu verhindern. Dazu bräuchte es aber mutige politische Interventionen: Verbote und Grenzwerte für krebserregende Stoffe, Aufklärung über gesundheitsförderndes Verhalten, stärkere Besteuerung gesundheitsschädigender Produkte, Arbeitsschutzgesetze und Impfprogramme gegen HPV und Hepatitis B wären zum Beispiel sinnvoll. Bisher profitieren jedoch vorrangig die Bevölkerungen im globalen Norden von solchen Maßnahmen.

Krebstherapien sind wegen der oft exorbitant hohen Behandlungskosten eine besondere Herausforderung. Die ökonomischen Folgen sind sowohl auf individueller Ebene als auch bei volkswirtschaftlicher Betrachtung immens. Schon Industrie­länder haben mit den schnell steigenden Preisen zu kämpfen. Die WHO hat allein 2019 zehn neue Präparate gegen Krebs in die Modellliste unentbehrlicher Medikamente (EML) aufgenommen. Damit finden sich insgesamt 56 Krebsmedikamente (plus 3 alternative Wirkstoffe) auf der EML. Sie sollen in einem Gesundheitssystem jederzeit in adäquater Menge, guter Qualität und zu einem erschwinglichen Preis verfügbar sein. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus.

Realität im Süden

Äthiopien ist eines der ärmsten Länder der Welt, und die WHO geht hier für 2020 von über 77.000 Krebserkrankungen aus, zwei Drittel betreffen Frauen. Brustkrebs ist dabei die häufigste Krebsart, und für die Mehrheit der Betroffenen ein Todesurteil: Rund zwei Drittel der erkrankten Frauen sterben daran – doppelt so viele wie in Deutschland. Selbst alte, aber bewährte Präparate wie Tamoxifen sind häufig für Patientinnen nicht finanzierbar. Längere Behandlungen können ganze Familien in eine Schuldenspirale treiben. Zugleich sind selbst in der Hauptstadt Addis Abeba oft nicht alle für eine Therapie notwendigen Medikamente verfügbar.

Auch Staaten, die über mehr Ressourcen verfügen, haben Probleme, wie das Beispiel Ecuador zeigt. Im privaten Gesundheitssektor sind dort hohe Zuzahlungen von Patient:innen an der Tagesordnung, nicht so im öffentlichen: Seit 2008 sind Präparate gegen Krebs von der nationalen Liste unentbehrlicher Medikamente für Patient:innen kostenlos. Dies veränderte allerdings auch das Verschreibungsverhalten. Neue, teurere Therapien wurden häufiger angewendet. Parallel dazu haben Hersteller wichtige ältere Medikamente vom Markt genommen. Die dadurch ausgelöste Kostenexplo­sion gefährdet mittlerweile die finanzielle Stabilität des gesamten Versorgungssystems.

Harte Bandagen

Die hohen Preise neuer Medikamente gegen Krebs haben nur sehr wenig mit den Aufwendungen für die Herstellung zu tun. Und entgegen den Beteuerungen vieler Hersteller sind hier die Forschungskosten nicht die treibende Kraft der Preisspirale. Stattdessen ist dieser Markt einer der lukrativsten im Gesundheitsbereich, und viele Firmen greifen neben massiver Lobbyarbeit auch zu harten Bandagen, um sich hohe Gewinne zu sichern.

In Südafrika beispielsweise spiegeln momentan die zivilgesellschaftlichen Bemühungen für eine bessere Versorgung bei Krebs viele Kämpfe der AIDS-Bewegung um Aufklärung und bessere Behandlung wider. Damals wie heute wird auch das profitorientierte Geschäftsgebaren von Big Pharma angeprangert.

Heute kommt besonders dem Hersteller Roche eine prominente Rolle zu. Die Firma dominiert den globalen Markt der Krebsmedikamente. Ihre Monopolstellung nutzt sie regelmäßig dazu, Konkurrenz zu blockieren und preissenkenden Wettbewerb zu unterbinden. In Südafrika geschah das etwa mehrfach durch eine Vielzahl von Folgepatenten, die die Einführung preiswerter Generika verzögerten.

Was tun?

Bei kaum einer anderen Erkrankung zeigt sich die große globale Ungleichheit so deutlich wie bei Krebs. Der Handlungsbedarf ist groß und beginnt schon dabei, faire Gesundheitssysteme in ärmeren Ländern zu etablieren und zu stärken. Um generell eine gute medizinische Versorgung aller Menschen weltweit zu erreichen (Universal Health Coverage), müssen auch die Bedürfnisse von Krebskranken global stärker adressiert werden. Dabei gilt es, auch solche Pharma-Firmen aus dem Norden zur Rechenschaft zu ziehen, die aus der gegenwärtigen Situation armer Länder rücksichtslos Profit schlagen.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2021 / S.16