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©Wolfgang Becker-Brüser

Botox® to go?

Ist das Nervengift gegen Falten wirklich harmlos?

Immer mehr Kosmetikinstitute bieten „Botox® to go“ an. „Beauty shopping“ ist die Devise, die Verschönerung zwischen einer Tasse Cappuccino und Bürojob. Doch die Risiken einer Faltenbehandlung werden oft verschwiegen.

Scheinbar günstige Pauschalen sollen die Entscheidung erleichtern. So verspricht ein Berliner Institut, Falten für einen Betrag zwischen 600 € und 900 € pro Jahr wegzuspritzen – so oft es nötig und „medizinisch sinnvoll ist“. „Ein Jahr lang garantiert faltenfrei“ wird versprochen. Die Behandlung, die nur Ärzten erlaubt ist, kann angeblich „ohne wesentliche Risiken wiederholt werden“.1 Wie so häufig in der Kosmetik haben solche Versprechungen mit der Realität wenig zu tun. Kürzlich wurde über eine Reihe von Todesfällen in Verbindung mit dem Gebrauch von Botulinumtoxin als Arzneimittel berichtet, aber auch ein Todesfall nach kosmetischer Anwendung.

Botulinumtoxin ist ein starkes Nervengift, das von Clostridium-botulinum-Bakterien gebildet wird und als Verursacher von Lebensmittelvergiftungen gefürchtet ist. Die Folgen reichen von Mundtrockenheit, Sehstörungen mit Doppelbildern, Schluckstörungen, verwaschener Sprache bis hin zu Muskelschwäche. Diese kann sogar tödlich enden.

Die muskellähmenden Effekte des Nervengiftes werden seit den 1990er Jahren genutzt. In geringen Dosierungen direkt in die betroffenen Muskeln gespritzt, kann Botulinumtoxin als Arzneimittel beispielsweise schlaganfallbedingte Verkrampfungen der Armmuskulatur lindern oder bei Kindern mit Spastik eine Spitzfußstellung beheben. Als Kosmetikum dient Botulinumtoxin häufig zur „Glättung“ von senkrechten Falten zwischen den Augenbrauen, den so genannten Zornesfalten. Zur Behandlung anderer Gesichtsfalten, beispielsweise auf der Stirn oder in den Augenwinkeln („Krähenfüße“), ist Botulinumtoxin nicht zugelassen. Dennoch wird es auch hierfür verwendet.2 Das bekannteste Präparat Botox® hat in Deutschland anders als Vistabel® überhaupt keine Zulassung zur Faltenglättung. Dennoch wird häufig von Botox® gesprochen – so wie viele Tempo® sagen, wenn sie Papiertaschentücher meinen.

Nebenwirkung Tod

Bereits mehrfach warnten die Behörden in Europa und in den USA vor den Risiken von Botulinumtoxin. Bis August 2007 lagen der europäischen Arzneimittelbehörde mehr als 600 Verdachtsberichte zu Nebenwirkungen vor, darunter 28 Todesfälle.2 In den USA sind 16 Todesfälle erfasst, einer in Verbindung mit der kosmetischen Anwendung und vier bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren.3

Foto: Annika UckeGefährlich kann das Nervengift vor allem dann werden, wenn es nicht nur im Bereich der Injektionsstelle wirkt, sondern sich in benachbarte Muskeln ausbreitet. Die Hälfte aller schweren Schäden, über die berichtet wurde, beruht auf diesem Phänomen. Störungen der Koordination des Schluckreflexes sind beschrieben, wenn das Nervengift in den Bereich der Speiseröhre gelangt. Nahrungsbrocken und Flüssigkeit können dann in die Lunge geraten und lebensbedrohliche Lungenentzündungen verursachen.
Gefürchtet ist auch eine Lähmung der Atemmuskulatur, die eine künstliche Beatmung erforderlich macht. Was bei der Glättung von Falten erwünscht ist, dass nämlich der Effekt einige Wochen oder wenige Monate anhält, kann sich bei Komplikationen verheerend auswirken und eine wochenlange künstliche Beatmung erfordern. Die Behörden gehen von einer hohen Dunkelziffer bei den Nebenwirkungen aus. Ohne Frage ist bisher nur die Spitze des Eisbergs bekannt geworden.

Von den Anwendungseinschränkungen, Nebenwirkungen und Warnhinweisen, die der Arzt mit den Produktinformationen erhält, erfahren die Behandelten in der Regel kaum etwas. So ist das kosmetische Botulinumtoxin-Präparat Vistabel® nur gegen senkrechte Falten zwischen den Augenbrauen beim Stirnrunzeln zugelassen, und auch nur dann, wenn diese „eine erhebliche psychologische Belastung für den Patienten darstellen“.4

Besonders gefährlich kann die Falten­behandlung mit Botulinumtoxin werden, wenn es in Muskelregionen gespritzt wird, für die es nicht zugelassen ist. Sollen beispielsweise Falten im Halsbereich „weggespritzt“ werden, geht man wegen der räumlichen Nähe zur Speiseröhre das Risiko ­anhaltender Schluckstörungen ein.

Botox?
Foto: Annika Ucke

Wir warnen dringend vor so genannten Botox®-Partys, bei denen das Nervengift den „Gästen“ reihenweise gespritzt wird, vor „Beauty shopping“ in der Mittagspause, vor entsprechenden Angeboten in Urlaubs­hotels oder vor „Spritz“-Touren zu ausländischen Schönheits­instituten oder zu so genannten „Beauty-Päpsten“. Dort wird in aller Regel mehr Wert auf eine angenehme und entspannte Atmosphäre gelegt als auf eine seriöse Information über Risiken.

Zur Behandlung schwerer und stark beeinträchtigender Gesundheitsstörungen lässt sich der Gebrauch von Botulinumtoxinen vertreten. Die Anwendung eines Nervengiftes zu kosmetischen Zwecken verbietet sich aber, wenn als „Nebenwirkung“ der Tod nicht auszuschließen ist. Außerdem: Fältchen können auch reizvoll sein.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2008 / S.05