Informationen im Internet: Diabinfo
Wie unabhängig ist das Portal zu Diabetes?
Die staatliche Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat 2018 ein Informationsportal für Menschen mit Diabetes gestartet. Es soll aktuelle, relevante und unabhängige Informationen über das Leben mit Diabetes bieten. Eine kritische Einordnung des Portals fehlt.
Es ist der 14. November, Weltdiabetestag: Mit klangvollen Worten wirbt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) für eines ihrer Informationsportale: „diabinfo“.1 Es liefere qualitätsgesicherte und wissenschaftlich fundierte Informationen über die Vorbeugung der Erkrankung und über das Leben mit Diabetes. „diabinfo“ sei industrieunabhängig und beinhalte keine Werbung. Patientinnen und Patienten sowie Angehörige und Interessierte sollen zudem die Möglichkeit erhalten, „direkt mit Expertinnen und Experten in Kontakt zu treten“ und „individuelle Fragen an sie zu richten“. Der Aufbau des Portals hat laut BZgA 360.000 Euro gekostet, seit 2018 ist es online. Wir haben uns die Seiten einmal genauer angesehen.
Initiiert wurde „diabinfo“ durch die BZgA, gefördert wird es durch das Bundesministerium für Gesundheit sowie das für Bildung und Forschung. Betrieben wird „diabinfo“ als „ein gemeinsames Angebot des Helmholtz Zentrums München, des Deutschen Diabetes-Zentrums in Düsseldorf und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung“.
Welche Qualität aber haben die Inhalte auf dem Diabetesportal, das den Anspruch erhebt, „unabhängige, verständliche und qualitätsgesicherte Informationen“ zu bieten? Laut eigenen Angaben fühlt man sich der „Guten Praxis Gesundheitsinformation“ verpflichtet (daran richtet sich auch GPSP aus). Zudem orientiere man sich an anerkannten Gütesiegeln für medizinische Texte. Ein wichtiges Kriterium für Qualität ist etwa die transparente Darlegung der für die Inhalte verwendeten Quellen.
Tatsächlich wird das Portal seinen selbst gesetzten Anforderungen nicht immer gerecht.
Medikamentenliste ohne Orientierung
Unter dem Menüpunkt „Medikamente“ wird zunächst berichtet, was orale Antidiabetika sind und was sie bewirken. Ohne weitere Einordnung wird darunter eine Liste aufgemacht, in der mit wenigen Ausnahmen alle blutzuckersenkenden Medikamente genannt sind, etwa Alpha-Glukosidasehemmer, Metformin, SGLT-2-Hemmer, Glitazone, Gliptine oder Glinide.2 Teils wird beschrieben, dass ein Mittel mehr unerwünschte Wirkungen hat als ein anderes – doch was dies für die Patienten bedeutet, wird nicht dargestellt. Vor allem gibt es keine Möglichkeit, den Nutzen einzelner Wirkstoffe zu vergleichen.
Bei den Informationen zu Typ-1-Diabetes 3 sieht es ähnlich aus: Hier werden Vorteile für Insulinanaloga genannt – diese sind aber umstritten. So heißt es etwa: „Normales Humaninsulin fängt dagegen erst circa 20 bis 30 Minuten nach der Injektion an zu wirken und wirkt etwas länger (circa 4 bis 6 Stunden). Mit den schnellwirksamen Insulinanaloga kann der Spritz-Ess-Abstand manchmal wegfallen.“
Gerade der angebliche Vorteil des „Spritz-Ess-Abstands“ wird schon jahrelang diskutiert und in der zitierten Leitlinie gar nicht empfohlen. Eine systematische Auswertung von Studien hat den Vorteil für Patient:innen nicht bestätigt.4 Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der über die Aufnahme von Arzneimitteln in den Erstattungskatalog für Kassenpatient:innen entscheidet, sieht keine relevanten Vorteile. Insulinanaloga dürfen deshalb in der Regel nicht auf Kassenkosten verordnet werden, solange sie teurer sind als das übliche Humaninsulin.5
Wer hat den Hut auf?
Auf diese Punkte angesprochen, verweist die BZgA an die „im Impressum von diabinfo.de genannten Herausgeber oder redaktionell verantwortlichen Personen des Portals“. Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) erklärt daraufhin, dass die Analoginsuline beschrieben werden, da diese in allen Diabetes-Leitlinien aufgeführt werden. Auch Fachgesellschaften präferierten Analoginsuline. Nach Ende einer laufenden Prüfung würde man die Informationen „gegebenenfalls anpassen“ und „verschiedene Sichtweisen darstellen, wenn dies erforderlich sein sollte“. Das wird auch höchste Zeit, denn in den neuesten Leitlinien findet sich keine klare Präferenz für Analoginsuline, zumindest nicht von allen Fachgesellschaften und schon gar nicht für alle Analoginsuline.
Vielfältige Interessenkonflikte
„diabinfo“ verweist unter den wichtigen Punkten „Medikamente“ und „Insulintherapie“ auf nur wenige Studien und Leitlinien. Den neueren Leitlinien liegt zwar eine systematische Auswertung der Evidenz zugrunde. Bei diabinfo wird unserer Einschätzung nach aber die relativ differenzierte Diskussion in der Leitlinie nicht abgebildet.
Außerdem muss man noch wissen: Neben soliden Daten spielen bei der Erstellung von Leitlinien immer auch Werturteile eine Rolle. Und hier sind Interessenkonflikte von Bedeutung. Davon gibt es bei den Medizinern, die bei „diabinfo“ als wissenschaftliche Unterstützung genannt werden, eine ganze Menge. Und davon wiederum sind mehrere zugleich Autoren der als Beleg genutzten Leitlinien.6,7
Ein Beispiel dafür: Prof. Andreas Fritsche aus Tübingen. Nach dem Faktencheck „Euros für Ärzte“ des Rechercheprojekts „correctiv“, in dem die Zahlungen von Pharmaherstellern an Mediziner:innen aufgelistet sind, erhielt Fritsche in 2015 rund 9.000 Euro von den Pharmakonzernen Boehringer Ingelheim, Lilly und Sanofi Aventis. Laut Leitlinien-Report gibt es außerdem Verbindungen zu NovoNordisk – allesamt Anbieter von Insulinen.
Nach eigenen Angaben berichtet „diabinfo“ unabhängig, ohne Werbung und neutral. Werbung gibt es tatsächlich nicht. Die Interessenkonflikte lassen aber Zweifel an der Neutralität und Unabhängigkeit aufkommen.
Im Netz der Pharmaindustrie
Das wird noch an anderer Stelle deutlich: Die Träger des Diabetesportals haben durchaus auch direkte Verbindungen mit Arzneimittelherstellern.
Eine Zusammenarbeit von Forschern und der Arzneimittelindustrie im Bestreben, Therapien für Menschen mit einer bestimmten Krankheit – hier Diabetes – zu verbessern, ist nicht ungewöhnlich. Aber dass sie gleichzeitig unabhängige Informationen für Patient:innen produzieren, ist problematisch. Dass diese Verbindungen auf dem Diabetesportal kaum bis gar nicht offen kommuniziert werden, macht es nicht besser. So kooperiert etwa das DZD nach eigenen Angaben mit „EIT Health“.8 In diesem Netzwerk sind alle großen Arzneimittelhersteller vertreten.9
Ein Kooperationspartner des DZD ist INNODIA. Laut eigenen Angaben „eine globale Partnerschaft“ zwischen 31 akademischen Einrichtungen, 6 Industriepartnern, einem kleinen Unternehmen und 2 Patientenorganisationen, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit einem gemeinsamen Ziel zusammenbringen: „Kampf gegen Typ-1-Diabetes.“ 10 Die sechs Industriepartner sind allesamt Hersteller von Diabetesmedikamenten. Unter dem Menüpunkt „Studien“ können sich Interessierte für die Teilnahme an einem Programm melden, in dem ein Medikament getestet wird – für den Pharmahersteller Sanofi.11
INNODIA wiederum wird von der „Innovative Medicines Initiative“ (IMI)12 gefördert, einer „Partnerschaft“ zwischen der EU und Efpia, dem europäischen Verband der Arzneimittelhersteller. Als „Champions League für biomedizinische Forschung“ hatte Janez Potocnik, der damalige EU-Wissenschaftskommissar, die IMI beim Start 2009 bezeichnet. Die EU finanzierte IMI 2014-2020 mit 1,6 Milliarden Euro,13 die Industrie steuert „Sachleistungen“ wie Laborkapazitäten bei, entscheidet aber über die Verwendung der EU-Steuergelder mit.
Das Helmholtz Zentrum München, ein weiterer Träger von „diabinfo“, feiert im Oktober eine „gebündelte Expertise“: Man erforscht nun gemeinsam mit dem Pharmakonzern Eli Lilly wie sich die bei Diabetes geschädigten insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse regenerieren könnten.14
Stand: 5. Januar 2021 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2021 / S.18