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© Annika Ucke

Was tun bei Schlaflosigkeit?

Schäfchen zählen oder Baldrian?

Schlaf sei für den Menschen das, was das Aufziehen für die Uhr ist, hat der Philosoph Arthur Schopenhauer einmal gesagt. Schlaf ist in der Tat lebensnotwendig, und den meisten Menschen geht es nicht gut, wenn sie zu wenig oder schlecht schlafen. Oft ist das ein vorübergehendes Prob­lem. Es gibt aber auch anhaltende Schlafstörungen – am häufigsten leiden ältere Menschen und Schichtarbeiter darunter. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.1 Zur Behandlung sind keineswegs immer Medikamente nötig.

Wie Menschen mit Schlafstörungen umgehen, ist individuell sehr verschieden: „Schäfchen zählen“, ein entspannender „Schlummertrunk“ oder ein Schlafmittel sind beliebte Methoden. Andere machen sich wieder Licht, hören Musik oder lesen. Das Wissen über die Ursachen und die Art der Schlafstörungen hilft bei der Behandlung. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen akuten und chronischen Störungen.

Sclafbedarf
©GPSP 2008

Akute Schlafstörungen

Akute Schlafstörungen können vielfältige Ursachen haben und klingen meist ab, sobald der Auslöser verschwunden ist. Das kann eine Erkrankung sein wie Schmerzen, hohes Fieber oder eine Erkältung, aber auch eine ungewohnte oder ungeeignete Schlafumgebung (Hotelunterkunft, überheizter Raum, Straßenlärm). Psychische Belastungen und Stress sind weitere Ursachen: Ein bevorstehendes Examen, Streit mit dem Partner, drohende Kündigung und Geldsorgen verursachen Schlafprobleme. Auslöser sind auch Schichtarbeit oder eine Zeitverschiebung durch einen Langstreckenflug, übermäßiger Genuss von Koffein oder Alkohol, aber auch Alkoholentzug. Werden die Störfaktoren beseitigt, erledigen sich derartige akute Schlafstörungen meist von allein. Wenn es gar nicht anders geht, kann auch die kurzzeitige Einnahme eines Schlafmittels helfen.

Chronische Schlafstörungen

Das viel größere Problem sind dauerhafte Schlafstörungen. Sie können sich als Folge anderer chronischer Krankheiten einstellen, etwa bei einer Schilddrüsenüberfunktion, Bluthochdruck oder Depression. Arzneimittel können ebenfalls den Schlaf beeinträchtigen (z.B. Schilddrüsenpräparate, einige Medikamente gegen Asthma, bestimmte Antidepressiva wie Fluoxetin (Fluctin® u.a.) oder Paroxetin (Seroxat® u.a.). In solchen Situationen muss zuerst die Ursache angegangen, also die Krankheit behandelt oder ggf. das Medikament gewechselt werden.

Oft lassen sich die eigentlichen Ursachen jedoch nicht ermitteln. Dann spricht man von einer primären (chronischen) Schlaflosigkeit. Typische Merkmale sind:

  • Sie schlafen mehr als drei Nächte pro Woche und mindestens einen Monat lang schlecht.
  • Sie setzen sich nachts und tagsüber sehr intensiv mit Ihrer Schlafstörung auseinander.
  • Sie leiden stark unter der unbefriedigenden Schlafdauer und/oder Schlafqualität. Ihre berufliche Leistungsfähigkeit oder die sozialen Kontakte werden gestört.

Eine Behandlung ist hilfreich, wenn Sie selbst unter ihrer Schlaflosigkeit leiden. Eventuell wird Sie der Arzt bitten, mehrere Tage oder Wochen lang ein Schlaftagebuch anzulegen. Bisweilen kann sogar ein Testschlaf in einem Schlaflabor nützlich sein.

Was tun gegen Schlafstörungen?

Das Schlafbedürfnis hängt vom Alter ab. Kinder und Jugendliche benötigen acht Stunden Schlaf und mehr, Menschen über 40 oft nur sieben Stunden, 70-jährige etwa sechs Stunden (siehe Grafik Schlafbedarf). Wer abends schon vor dem Fernseher ein Nickerchen macht, hat einen Teil seines Schlafpensums „verbraucht“ und liegt in der Nacht dann öfter wach.

Es ist keinesfalls besorgniserregend, wenn es etwas dauert, bevor man in tieferen Schlaf sinkt.2 Und dass man nachts mehrfach für wenige Minuten wach wird, ist ganz normal. Nur vergessen wir dieses „Auftauchen“ aus dem Schlaf in der Regel wieder. Manche Menschen meinen, sie haben nachts kaum ein Auge zugetan, und doch haben sie sieben Stunden geschlafen. Für die Fehleinschätzung gibt es mehrere Gründe: etwa Kurzschlafphasen, die wir gar nicht registrieren oder Traumphasen, in denen uns Alltagssorgen beschäftigen. Lassen Sie sich nicht gleich beunruhigen, wenn Sie nicht sofort einschlafen oder nachts wach werden. Stellen Sie vor allem zunächst ungünstige Gewohnheiten um, bevor Sie ein Arzneimittel nehmen.

Hausmittel, wie ein Glas heiße Milch vor dem Schlafengehen, sollte man ruhig ausprobieren, auch wenn ihr Nutzen wissenschaftlich nicht belegt ist.

Schlafrituale, die in immer gleicher Weise das Einschlafen vorbereiten und begleiten, sind wichtig. Gehen Sie erst ins Bett, wenn Sie wirklich müde sind. Wälzen Sie sich nicht von einer Seite auf die andere, wenn Sie nachts länger wach liegen. Machen Sie lieber Licht an und stehen Sie auf oder vertreiben Sie sich die Zeit mit Lesen oder Musikhören, bis sich wieder Müdigkeit einstellt. Aber Vorsicht: Ein spannender Krimi oder flotte Musik erschweren das Einschlafen. Auch Fernsehen ist wegen der optischen und psychischen Reize eher ungeeignet. Entspannungstechniken wie Autogenes Training oder die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson3 sowie Selbsthypnose oder Atemübungen helfen abzuschalten und vor allem, rascher einzuschlafen.3 Zum Schlafritual gehört es auch, morgens immer zur selben Zeit aufzustehen.

Viele leiden unter Dauerstress. Versuchen Sie abzuschalten, den Tag ausklingen zu lassen. Ein kleiner geruhsamer Abendspaziergang kann sich positiv auf den Schlaf auswirken. Größere sportliche Anstrengungen unmittelbar vor dem Schlafengehen bewirken allerdings das Gegenteil.

Störfaktoren sollten Sie soweit wie möglich beseitigen. Tauschen Sie z.B. eine durchgelegene Matratze gegen eine neue aus. Das Schlafzimmer sollte ruhig und abgedunkelt sein und eine angenehme Temperatur haben. Wenn Ihr Partner/Ihre Partnerin schnarcht, verwenden Sie Ohrstöpsel. Bisweilen bringen allerdings erst getrennte Schlafräume den Schlaf zurück.

Essen – zu viel, zu spät, zu schwer verdaulich oder zu scharf gewürzt – kann Sie um den Schlaf bringen. Salat und rohes Gemüse am Abend können Blähungen verursachen.

Alkohol eignet sich nicht als Schlafmittel. Im Gegenteil: Alkoholgenuss kann wahrscheinlich den für die Erholung wichtigen REM-Schlaf unterdrücken (siehe Kasten). Es empfiehlt sich daher, vor dem Zubettgehen allenfalls wenig Alkohol zu trinken.

Auf Koffein (Kaffee, schwarzer Tee, Cola) sollte man mindestens vier Stunden vor dem Schlafengehen verzichten. Bei manchen älteren Menschen kann aber eine Tasse Kaffee in der Nacht geradezu Wunder bewirken und den Schlaf fördern (paradoxer Effekt).

Vor dem Schlafengehen zu rauchen, kann das Einschlafen erschweren.

Medikamente gegen Schlafstörungen4

Verschaffen alle diese Tipps nicht den erhofften Schlaf, ist die Schlafruhe deutlich kürzer als es dem Alter entspricht und besteht zudem ein entsprechender Leidensdruck, kann ein Schlafmittel ausprobiert werden. Dabei ist Zurückhaltung angebracht, denn die Medikamente helfen allenfalls kurze Zeit. Sie sollten das Schlafmittel nur vorübergehend einnehmen, damit Sie zunächst einmal Ruhe finden und dann auch wieder in der Lage sind, andere Möglichkeiten auszuprobieren.3 Grundsätzlich sollen Schlafmittel nicht länger als allerhöchstens vier Wochen eingenommen werden.

Pflanzliche Mittel

Hopfen, Baldrian, Melisse und Eisenkraut gelten als „sanfte“ Medizin. Wissenschaftlich gesehen ist ihre Wirkung nicht hinreichend belegt. In diesem Falle trifft es sich aber gut, dass man bei allen Schlafmitteln mit einem ausgeprägten Plazeboeffekt rechnen kann. Ernsthafte Schäden sind nicht zu befürchten. Das gleiche gilt hier für homöopathische Arzneimittel.

Chemische Schlafmittel

Die unterschiedlichen Eigenschaften von chemischen Schlafmitteln lassen sich für die verschiedenen Formen der Schlafstörungen gezielt nutzen. Die Präparate unterscheiden sich zum Beispiel in der Wirkdauer. Ein kurz wirkendes Mittel eignet sich vor allem gegen Einschlafstörungen. Klingt sein Effekt bei Durchschlafstörungen zu früh ab, ist ein länger wirkendes Mittel erforderlich. Es sollte aber nicht so lange wirken, dass es Sie noch am nächsten Tag müde macht und Ihr Reaktionsvermögen am Tage beeinträchtigt. Besonders bei älteren Menschen kann es durch solche Überhangeffekte zu gefährlichen Stürzen kommen. Alkohol kann erwünschte und unerwünschte Wirkungen aller Schlafmittel verstärken.

Heute werden chemische Schlafmittel seltener eingenommen als noch vor zwei oder drei Jahrzehnten. Am gebräuchlichsten sind die verschreibungspflichtigen Benzodiazepine und die ihnen ähnlichen so genannten Z-Substanzen. Rezeptfreie Alternative ist ein Antihistaminikum.

Schlafphasen

Antihistaminika

Antihistaminika sind eigentlich Mittel, die bei allergischen Erkrankungen helfen. Eine häufige Nebenwirkung der älteren Antihistaminika ist, dass sie müde machen. Vor allem Diphenhydramin (Betadorm® u.a.) und Doxylamin (Hoggar® u.a.) dienen als Schlafmittel. Antihistaminika wirken schwächer schlafanstoßend als Benzodiazepine. Dafür haben sie ein deutlich geringeres Potenzial, Abhängigkeit zu erzeugen. Insbesondere ältere Menschen vertragen Antihistaminika bisweilen schlecht. Beschwerden einer Demenz können verstärkt, eine plötzliche Erhöhung des Augeninnendrucks (Glaukom­anfall) ausgelöst werden und ältere Männer Probleme beim Wasserlassen bekommen.

Benzodiazepine

Benzodiazepine werden seit fast 50 Jahren als so genannte Beruhigungsmittel verordnet. Die ältesten Vertreter wie Chlordiazepoxid (Librium® u.a.) und Diazepam (Valium® u.a.) eignen sich schlecht als Schlafmittel. Sie wirken viel zu lange in den nächsten Tag hinein. Das gilt auch für einige neuere Benzodiazepine, die als Schlafmittel angeboten werden, wie Flunitrazepam (Rohypnol® u.a.), Flurazepam (Dalmadorm® u.a.) oder Nitrazepam (Mogadan® u.a.).

Mittellang wirkende Benzodiazepine wie Lormetazepam (Noctamid® u.a.) oder Temazepam (Planum® u.a.) kommen bei Ein- oder Durchschlafstörungen in Frage. Störende und gefährliche Überhangseffekte am Folgetag sind möglich, aber seltener als bei Diazepam.

Triazolam (Halcion®) wirkt nur kurz. Da der Effekt jedoch sehr rasch einsetzt, kann – insbesondere in Verbindung mit Alkohol –nach der Einnahme eine Erinnerungslücke entstehen. Es ist ein umstrittenes Schlafmittel.5

Alle Benzodiazepine lösen rasch Abhängigkeit aus. Dies ist einer der Gründe, warum die Einnahme auf maximal zwei Wochen begrenzt wird – zuzüglich einer ausschleichenden Absetzphase von zwei Wochen. Abruptes Absetzen kann Entzugserscheinungen auslösen, mit der Folge erneuter Schlafstörungen. Einige Benzodiazepine wirken bei älteren Menschen besonders lange, sie dürfen daher nur höchstens die Hälfte der üblichen Dosis einnehmen.

Z-Substanzen

Die Z-Substanzen heißen so, weil die Wirkstoffnamen mit „Z“ beginnen – beispielsweise Zolpidem (Stilnox® u.a.) oder Zopiclon (Ximovan®). Es gibt sie erst seit den 1990er Jahren. Da sie relativ kurz wirken, eignen sie sich für Einschlafstörungen und solche Durchschlafstörungen, die relativ früh in der Nacht auftreten. Die Gefahr, dass Sie noch am folgenden Tag müde sind, ist gering. Abhängigkeit entsteht bei längerer Einnahme nicht so oft wie bei Benzodiazepinen. Selten können Z-Arzneimittel Unruhe auslösen. Selbst über Schlafwandeln und Autofahren im Schlaf wird berichtet (GPSP 4/2007, S. 9).

Melatonin

Seit Frühjahr 2008 ist Melatonin (Circadin®) als verschreibungspflichtiges Schlafmittel im Handel. Die Wirksamkeit des Zirbeldrüsenhormons bei Schlafstörungen ist wissenschaftlich schlecht belegt. Melatonin wirkt in einer Studie deutlich geringer als Zolpidem. Eine Abhängigkeit von Melatonin soll bislang nicht beobachtet worden sein. Daten zur Sicherheit – insbesondere bei längerer Einnahme – fehlen (siehe GPSP 2/2008 S. 15).

Was kosten Schlafmittel?

Gegen Schlafstörungen kann man oft selbst etwas unternehmen. Vielfach reicht es aus, Gewohnheiten und die Schlafsituation (Ruhe, Abdunkeln u.a.) zu ändern. Entspannungstechniken erleichtern das Abschalten und Einschlafen. Schlafmittel können nur eine Übergangslösung sein. Die angebotenen Medikamente haben unterschiedliche Vor- und Nachteile, die bei der Auswahl berücksichtigt werden müssen.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2008 / S.03