Zum Inhalt springen
©Annika_Ucke

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Kontrolle von Nahrungsergänzungsmitteln

„Mehrere Todesfälle“ werden gepanschten Nahrungsergänzungsmitteln angelastet, warnte kürzlich das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Die Bundesoberbehörde ist unter anderem für „Managementaufgaben“ zuständig, so auch für die Koordination der Arbeit von Bund, Bundesländern und EU.1

Wer ein Nahrungsergänzungsmittel herstellt oder importiert, muss dieses beim BVL anzeigen, also auch über die Zusammensetzung Auskunft geben, bevor er es verkaufen darf. Und er ist für die Sicherheit seiner Kunden verantwortlich.1

Dies bleibt weitgehend Theorie. Denn der Internethandel macht an keiner Grenze Halt. Eine unüberschaubare Zahl von Anbietern verkauft Nahrungsergänzungsmittel über im Ausland angesiedelte deutschsprachige Internetseiten und versendet diese – oft auch aus Ländern außerhalb Europas – direkt an die Verbraucher und Verbraucherinnen. Die rechtlichen Rahmenbedingun­gen hierzulande sind solchen Firmen egal, denn deutsche Behörden haben auf sie keinen Zugriff. Und selbst Menschen, die durch ein Nahrungsergänzungsmittel geschädigt sind, haben kaum eine Chance, die vom BVL beschworene Verantwortung eines Anbieters mit Sitz im Ausland oder gar in Übersee durchzusetzen. Auch Anbieter, die von anderen EU- Staaten aus operieren, können sich oft ohne viel Aufwand dem Zugriff deutscher Behörden und Gerichte entziehen.

Etwas übersichtlicher ist die Situation, wenn Firmen ihren Sitz in Deutschland haben. Das BVL betont, dass die Überwachungsbehörden der Bundesländer, die für die Kontrolle zuständig sind, Nahrungsergänzungsmittel stichprobenartig kontrollieren.1 Ob das in nennenswertem Ausmaß geschieht, bleibt aber offen, denn über die Ergebnisse wird die Öffentlichkeit weder konkret noch systematisch informiert.

2013 hat das BVL die Zentralstelle G@ZIELT gegründet.2 Im Auftrag der Bundesländer soll diese im Internet nach Produkten fahnden, die das Lebens- und Futtermittelgesetzbuch reguliert  – darunter auch Nahrungsergänzungsmittel – und online angeboten werden, aber in Deutschland nicht „verkehrsfähig“ sind. Das heißt, sie entsprechen nicht den deutschen Vorschriften.

G@ZIELT soll dafür sorgen, „dass die deutschen Verbraucher … vor unseriösen Anbietern und Produkten mit potentieller Gesundheitsgefahr aus dem Internet geschützt werden“, versprach der Präsident des BVL vor einem Jahr.3

Das BVL weckt hohe Erwartungen, denn die deutschen Kontrollbehörden wollen sich mit G@ZIELT „weltweit an die ­Spitze in der Durchsetzung des Verbraucherschutzes im Online­handel“ in diesem Bereich setzen.4 Eine solche überzogene Selbstdarstellung ist fern jeder Realität. Die Zentralstelle – immerhin besetzt mit sechs Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen – meldet von ihr als risikobehaftet identifizierte Produkte an zuständige nationale und internationale Behörden weiter. Sie verfolgt aber danach nicht, ob diese überhaupt tätig werden. G@ZIELT verfasst zwar Tätigkeitsberichte, macht diese aber nicht öffentlich.5 Die Zentralstelle ignoriert somit eine der wichtigsten Forderungen für mehr Verbraucherschutz: Es muss im Internet öffentlich gemacht werden,6 welche Produkte von Behörden geprüft wurden – und mit welchem Ergebnis. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man
denken.

In unserer GPSP-Internetdatenbank „Gepanschtes“ nennen wir auffällig gewordene Produkte beim Namen und stellen die Informationen allgemein zugänglich zur Verfügung. Schließlich ist der Verkauf gepanschter Produkte illegal. Sie werden als harmlose Nahrungsergänzungsmittel verkauft, enthalten aber undeklariert stark wirkende chemische Stoffe. In den zwei Monaten seit der vorherigen Ausgabe von GPSP haben wir 18 illegale Produkte neu aufgespürt, die bei Überprüfung im Labor als gepanscht aufgefallen sind, und unsere öffentliche Datenbank um diese bedenklichen Produkte erweitert.

Im Internet (www.gutepillen-schlechtepillen.de/heft-archiv/gepanschtes) finden Sie inzwischen Näheres zu rund 1.700 illegalen Nahrungsergänzungsmitteln. Damit haben Sie Zugriff auf die weltweit umfangreichste öffentlich zugängliche Datenbank zu gepanschten Produkten. Aber: Auch das ist leider nur die Spitze des Eisbergs, weil eine sys­tematische Überprüfung von Nahrungsergänzungsmitteln fehlt.

Mit chemischen Potenzmitteln gepanscht

Produkt: gepanscht mit

  • 90° Jiushidu Kapseln: Sildenafil
  • African Viagra: Sildenafil
  • Big Penis Male Sexual Stimulant: Sildenafil
  • Bl4ck 4K Kapseln: Sildenafil
  • Black Mamba 2 Premium: Sildenafil
  • Duramaxxx: Sildenafil
  • Lang Yi Hao: Sildenafil
  • Power Male Sexual Stimulant: Sildenafil + Phenolphthalein
  • Rhino 5 1500 Kapseln: Sildenafil
  • Rhino 7 K 9000 Male Performance Booster: Sildenafil
  • Rhino 8 Platinum 8000: Sildenafil
  • Rhino 9 Premium 3500: Sildenafil
  • Triple Green Kapseln: Sildenafil
  • XtraHRD: Desmethyltadalafil
  • XXXPlosion (identisch mit dem bereits 2015 von uns gelisteten La Pepa Negra): Sildenafil

Sildenafil ist der Wirkstoff des Arzneimittels Viagra® (auch in zahlreichen Generika erhältlich), Tadalafil der Wirkstoff von Cialis®. Die Tadalafilvariante Desmethyltadalafil ist überhaupt nicht als zugelassenes Arzneimittel erhältlich. Ihre/Seine Wirkungen sind daher unkalkulierbar. Die Panscherei von Nahrungsergänzungsmitteln mit solchen verschreibungspflichtigen bzw. ungeprüften Potenzmitteln ist besonders heimtückisch und kriminell. Sie gefährdet Verbraucher ganz erheblich, denn manche Menschen müssen gerade solche chemischen Erektionsförderer meiden, beispielsweise Herzkranke, die gleichzeitig Nitropräparate wie Isosorbiddinitrat (ISDN) oder ähnliche Arzneimittel gegen Angina pectoris einnehmen (GPSP 2/2013, S. 4 – https://gutepillen-schlechtepillen.de/angina-pectoris/). In Kombination mit einem chemischen Erektionsförderer wie Sildenafil kann der Blutdruck lebensbedrohlich abfallen. Vor allem wer aus medizinischen Gründen chemische Erektionsförderer meiden muss, erhofft sich jedoch möglicherweise Hilfe von den als harmlos erachteten Nahrungsergänzungsmitteln und ist unwissentlich gefährdet, wenn er an ein gepanschtes Produkt gerät.

Mit Appetithemmern und Antidepressivum gepanscht

Produkt: gepanscht mit

Queen Slimming Soft Gel: Sibutramin + Fluoxetin

Sibutramin: Sibutramin war 1999 bis 2010 als verschreibungspflichtiges Arzneimittel (Reductil®) im Handel. Dann musste es – längst überfällig – weltweit wegen seines Herz-Kreislauf-schädigenden Potenzials aus dem Handel gezogen werden (GPSP 2/2010, Seite 8 – https://gutepillen-schlechtepillen.de/kurz-und-knapp-endlich-sibutramin-reductil-vom-markt/). Sibutramim kann den Blutdruck und die Herzschlagrate erhöhen und gefährdet vor allem Menschen mit koronarer Herzkrankheit (Angina pectoris), Herzrhythmusstörungen oder Schlaganfall in der Vorgeschichte. Es drohen Herzinfarkt, Herzstillstand, Schlaganfall u.a. Auch wenn gleichzeitig bestimmte andere Medikamente eingenommen werden, sind lebensbedrohliche Folgen möglich.

Fluoxetin: Untersuchungen im Labor förderten den verschreibungspflichtigen Wirkstoff Fluoxetin zutage. Offensichtlich versucht der Anbieter des angeblichen Nahrungsergänzungsmittels, die unerwünschten Wirkungen von Fluoxetin zu nutzen, um darüber eine Gewichtsreduzierung zu bewirken. Denn zu den unerwünschten Wirkungen des Antidepressivums gehören Appetitlosigkeit, Übelkeit, Durchfall und Veränderungen des Geschmackempfindens. Außerdem kann es unter anderem zu Desorientiertheit, Schlafstörungen und Störungen der Sexualfunktion kommen.

Mit Abführmittel gepanscht

Produkt: gepanscht mit

Accelerator Boost: Phenolphthalein

Phenolphthalein: Die abführende Chemikalie Phenolphthalein wurde vor Jahren z.B. als Darmol® Abführschokolade verkauft. Das Abführmittel kann zwar einen vorübergehenden Gewichtsverlust vorgaukeln, weil der Darm entleert wird. Aber es macht nicht schlank, sondern vielleicht sogar krank: Arzneimittel mit Phenolphthalein sind nämlich bereits vor vielen Jahren wegen ihres krebsauslösenden Potenzials vom Markt verschwunden. Wer langfristig ein Phenolphthalein-haltiges Mittel einnimmt, riskiert Magen-Darm-Störungen, Herzrhythmusstörungen, Krebs und andere unerwünschte Folgen.

Mit Kortikoid, Antiallergikum und entwässerndem Mittel gepanscht

Produkt: gepanscht mit

Tu Cho Pan Chi Pain: Dexamethason + Chlorpheniramin + Furosemid

In diesem angeblichen Nahrungsergänzungsmittel werden bei einer Überprüfung der Inhaltsstoffe im Labor drei nicht auf der Packung deklarierte chemische Wirkstoffe gefunden: der stark wirksame Kortikoidabkömmling Dexamethason, das müde machende Antiallergikum Chlorpheniramin sowie das stark entwässernde Mittel Furosemid.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2017 / S.26