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Fumaderm® gegen Schuppenflechte: Viel verwendet, aber riskant

Vor mehr als 50 Jahren berichtete ein deutscher Chemiker, dass er seine Schuppenflechte (Psoriasis vulgaris) erfolgreich mit Fumarsäure behandelt hat. Das ist eine Säure, die in der Natur vorkommt und ihren Namen von der Fumarsäure-reichen Pflanze Fumaria officinalis (Gemeiner Erdrauch) hat. In den folgenden Jahrzehnten wurde vor allem die kombinierte äußerliche und innerliche Behandlung mit Präparaten aus Fumarsäuresalzen oder Fumarsäureestern propagiert, meist in Verbindung mit spezieller Diät.

Seit 1994 ist ein Gemisch aus verschiedenen Fumarsäureestern als Fumaderm®-Tabletten zur Behandlung der Schuppenflechte in Deutschland zugelassen – „wegen des Behandlungsrisikos“ zunächst nur bei schwerer Erkrankung. Deutschland ist nach wie vor das einzige Land der Welt, in dem ein Fumarsäureester-Gemisch zur Behandlung der Schuppenflechte erlaubt ist.1

Lasche Kontrolle

Und auch das ist ungewöhnlich: 2008 erweiterte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Zulassung von Fumaderm® um die Behandlung der mittelschweren Schuppenflechte. Und zwar nicht etwa auf der Basis aussagekräftiger kontrollierter Studien, wie dies heutzutage Standard sein sollte, sondern lediglich auf der Basis einer nachträglichen Auswertung von älteren Berichten. Diese bezogen sich auf Patienten, die Fumaderm® bei mittelschwerer Psoriasis eingenommen hatten, obwohl dies zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell genehmigt war (so genannter Off-label-Gebrauch – also Gebrauch außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereiches).

Fumaderm® ist in Deutschland das am häufigsten eingenommene Mittel gegen Schuppenflechte. Dabei ist sein Nutzen bis heute nur dürftig durch klinische Studien belegt. In einer relativ kleinen Untersuchung mit 100 Patienten – eine Studie, die wegen schlechter methodischer Qualität nur geringe Aussagekraft besitzt, – wirkte das Fumarsäureester-Gemisch innerhalb von 16 Wochen besser als ein Scheinmedikament.

Aber nicht nur der Nutzen ist schlecht belegt. Noch nicht einmal die Dosierung des Gemisches ist hinreichend geprüft. Denn es gibt Hinweise, dass auch geringere als die üblichen Dosierungen ausreichen könnten.1 Unklar ist zudem, ob die vier verschiedenen Fumarsäureester in Fumaderm® tatsächlich alle zum Behandlungseffekt beitragen. Wahrscheinlich ist der eine oder andere enthaltene Fumarsäureester überflüssig, aber verschlechtert möglicherweise die Verträglichkeit des Kombinationspräparates. Dimethylfumarat dürfte der wichtigste der vier Bestandteile von Fumaderm® sein. Und diesen wird es künftig international unter dem Handelsnamen Tecfidera® zur Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) geben. Als Mittel gegen MS wird dieser Fumarsäureester dann bereits bei Markteinführung besser untersucht sein als das Fumarsäureester-Gemisch Fumaderm®, mit dem bereits seit 20 Jahren Schuppenflechte behandelt wird.

Das schlägt auf den Magen

Fumarsäureester sind schlecht verträglich. Sehr häufig kommen Magen-Darm-Störungen wie Durchfall und Bauchkrämpfe vor. 6 von 10 Anwendern leiden darunter. Deswegen muss die Behandlung häufig abgebrochen werden. Auch die Funktion von Leber bzw. Nieren kann beeinträchtigt werden.

Arzt und Patient müssen häufig mit Blutveränderungen rechnen. Denn die Zahl der weißen Blutkörperchen (Leukozyten, Lymphozyten), die wesentlich zur Immunabwehr, also zur Abwehr von Krankheitserregern beitragen, kann beträchtlich abnehmen. Durch die damit verbundene Abwehrschwäche können zahlreiche Keime – Bakterien, Viren und Pilze – die Gelegenheit nutzen und sich leichter im Körper ausbreiten. Dies sind so genannte opportunistische Infektionen, die manchmal sogar tödlich ausgehen. Während der Behandlung der Schuppenflechte mit Fumarsäureester-Gemisch sind mehrere Patienten an einer lebensbedrohlichen opportunistischen Hirninfektion erkrankt, einer sogenannten PML.2,3,4 Ärzte kannten diese bisher vor allem von Patienten mit AIDS und von Menschen, die starke immunsupprimierende Arzneimittel einnehmen müssen. Inzwischen sind auch lebensbedrohliche opportunistische Infektionen anderer Organe aufgefallen.5,6

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Weder der Beipackzettel noch die Fachinformation für Ärzte spiegeln den Kenntnisstand zu diesen bedrohlichen unerwünschten Wirkungen angemessen wider. Dabei sind sie der Aufsichtsbehörde BfArM seit mindestens drei Jahren bekannt. Wiederholt wurde die Untätigkeit der Behörde beanstandet.7,8 Unterbleiben Maßnahmen zur Risikoabwehr, also beispielsweise Warnhinweise, eine Einschränkung der Anwendungsbereiche oder sogar die Marktrücknahme, geht dies zu Lasten der Gesundheit der Patientinnen und Patienten. Zugegeben, die Möglichkeiten, eine schwere Schuppenflechte zu behandeln, sind unbefriedigend. Denn auch die Behandlungsalternativen bergen erhebliche Risiken. Das Fumarsäureester-Gemisch Fumaderm® kommt aber unseres Erachtens derzeit allenfalls im Ausnahmefall bei schwerer Schuppenflechte infrage. Es müssen endlich methodisch gut durchgeführte klinische Studien gemacht werden. Diese sind seit zwei Jahrzehnten überfällig. Erst danach können Nutzen und Schaden des Fumarsäureester-Gemisches gegen den der übrigen Mittel für die Erkrankung abgewogen werden. Grundvoraussetzungen für die Verwendung von Fumaderm® wären Kenntnisse zur optimalen Dosierung und Zusammensetzung des Fumarsäureester-Gemisches sowie eine funktionierende Überwachung der auftretenden unerwünschten Wirkungen und zeitnahe risikomindernde Maßnahmen.

Die häufige Verordnung des Präparates bedeutet für die Patienten unkalkulierbare Risiken. Der Anbieter verdient allerdings gut daran.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2013 / S.17