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©Elke Brüser

Frischzellen: Ungebremste Quacksalberei

Frischzellen für und gegen fast alles

Die US-amerikanische Kontrollbehörde, die sich um Infektionskrankheiten kümmert, bringt es auf den Punkt: Es gibt keine Belege, die die vielfältigen Wirkbehauptungen für Frischzellen stützen. Erhebliche Risiken sind jedoch bekannt, darunter lebensbedrohliche allergische Reaktionen, Infektionen, Lähmungen und Tod. Die in den 1930er Jahren von einem Schweizer Arzt erfundene Methode sollte eigentlich längst Medizingeschichte sein.

Stattdessen propagieren bis heute manche Therapeuten die Frischzellen ungehindert als Kur gegen Alterserscheinungen und Verschleißkrankheiten, gegen sexuelle Probleme, Depressionen und vieles Andere. Dazu werden frisch gewonnene, verquirlte (homogenisierte) Zellen oder Zellbruchstücke, die oft von Schafen oder deren ungeborenem Nachwuchs (Föten) stammen, in den Gesäßmuskel gespritzt.

Weil die Methode in Ländern wie Kanada oder den USA nicht erlaubt ist, reisen einige Menschen über den großen Teich nach Deutschland. So kam auch 2014 eine Gruppe Frischzellentouristen aus dem Staat New York nach Rheinland-Pfalz zur kostspieligen Frischzellenkur. Ob sie davon profitiert haben, ist weder bekannt noch wahrscheinlich. Zurück zu Hause litten fünf Personen unter Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen und anderen Beschwerden. Sie hatten sich mit Q-Fieber infiziert. Diese hoch ansteckende und potenziell bedrohlich verlaufende Krankheit kommt bei Schafen vor. Sie kann per Injektion von Zellen erkrankter Tiere auf den Menschen übertragen werden.

Dem deutschen Paul Ehrlich-Institut lag bis zum Zeitpunkt dieser Ereignisse in Verbindung mit Frischzelleninjektionen lediglich ein einziger Bericht über eine Infektion mit Q-Fieber vor, die in Deutschland festgestellt worden war. Da in den USA beziehungsweise in Kanada solche Infektionen jedoch bei immerhin insgesamt sieben Personen nachgewiesen wurden, die in Deutschland Frischzellen erhalten hatten, ist hierzulande von einer beträchtlichen Dunkelziffer auszugehen.

Verbot gekippt

Ursprünglich sollte Ende der 1990er Jahre die Frischzellen-Verordnung jede Injektion von Frischzellen verbieten, zumal Todesfälle in Verbindung mit den Injektionen bekannt geworden waren. Immerhin: Als Fertigarzneimittel zur Injektion oder Infusion dürfen sie seither nicht mehr in den Handel gebracht werden. Infolge einer Verfassungsbeschwerde von Anbietern stellte das Bundesverfassungsgericht jedoch klar: Frischzellen, die im Rahmen der Therapiefreiheit frisch hergestellt und bald danach injiziert werden, sind nach wie vor zulässig.

So blieb der vorbeugende Verbraucherschutz auf der Strecke. Schuld an diesen unterschiedlichen Regelungen war eine Formalie: Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes beschränkt sich auf Frischzellprodukte, die als Fertigarznei von pharmazeutischen Unternehmen gehandelt werden. Für Produkte, die in Arztpraxen oder Speziallaboren für den aktuellen Gebrauch hergestellt werden, sind hingegen die Bundesländer zuständig. Zu ihren Aufgaben zählt es, Ärzte und Labore zu überwachen. Sie sind ferner dafür zuständig, die Angebote von Therapeuten in der Region zu überprüfen, um eventuell risikomindernde Maßnahmen einzuleiten – also mögliche Schäden von Patienten abzuwenden.

Im Prinzip könnten und müssten die zuständigen Behörden der Bundesländer, in denen Therapeuten Frischzellen anbieten, endlich aktiv werden. Denn auch neue Wortschöpfungen – etwa pseudowissenschaftlich „biological response-modifiers“ oder schlicht und verschleiernd „Organopeptide“ – ändern nichts daran, dass der Schaden der Einspritzungen eindeutig größer ist als der erhoffte Nutzen. Letzterer ist durch keine Studie nachvollziehbar belegt. Die Landesbehörden sind aber offensichtlich überfordert und bleiben seit Jahren untätig.

Frischzellen und Q-Fieber GPSP 2/2015, S. 15

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2016 / S.25