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©Pfizer Pharma GmbH

Gegenwind für inhalierbares Insulin

Neueinführung Exubera®

Seit Mitte Mai müssen Zuckerkranke das notwendige Insulin nicht mehr unbedingt spritzen. Es gibt jetzt Exubera®, das erste inhalierbare Insulin. Mit Hilfe eines Inhalationsgerätes wird pulverförmiges Insulin über den Mund in die Lunge eingeatmet. Seine Wirkung entspricht kurz wirksamem Humaninsulin oder Kunstinsulinen (siehe GPSP Nr. 2, 2006, Seite 1-3). Zum Jubeln ist es jedoch zu früh, denn es gibt ernst zu nehmende Vorbehalte gegen die Neuerung.

Da Insulin im Magen rasch zerstört wird, wirkt es als Tablette nicht. Seit Jahrzehnten wird es daher in die Unterhaut an Bauch oder Oberschenkel gespritzt. Obwohl die Insulininjektion dank der heute üblichen ultradünnen Pen-Nadeln kaum spürbar ist, kostet es manchen Diabetiker – vor allem zu Anfang der Therapie – Überwindung, sich selbst eine Injektionsnadel in die Haut zu stechen.

Ein Klassiker: Der Pen, klein und handlich ©Wolfgang Steche/medicalpicture

Hier sieht der Hersteller Pfizer für sein inhalierbares Insulin einen bereits „lange erwarteten“ „bedeutenden Fortschritt“.1 Aus Sicht der Firma soll die Inhalation die Akzeptanz der Behandlung mit Insulin und die Zufriedenheit der Diabetiker verbessern. Das Inhalationsgerät sei „einfach zu bedienen“ und die Nebenwirkungen seien „in der Regel mild bis mäßig“.1

Pfizer hat nach eigenen Angaben viel Geld in die Entwicklung von Exubera® investiert. Das sagt aber noch nichts über den Nutzen für die Patienten. Ärzte, die keine finanziellen Verbindungen zum Pfizer-Konzern haben, beurteilen inhalierbares Insulin zurückhaltend.2

Mit den bislang veröffentlichten Studien lässt sich nicht belegen, dass die Zufriedenheit der Patienten, die Insulin inhalieren, tatsächlich generell besser ist als bei Patienten, die die in Deutschland verbreite­ten Insulin-Pens verwenden. Die Inhalation wurde in den Studien nämlich hauptsächlich mit der umständ­lichen Anwendung von Spritzen und Ampullen verglichen.3

Ohne Piks geht es nicht

Auch befreit das inhalierbare Insulin nicht vom Spritzen, wenn eine Grundversorgung mit lang wirksamem Insulin gebraucht wird (bei Typ-1 Dia­betes). Auf jeden Fall muss in der Einstellungsphase mehrmals täglich in die Fingerspitze gepikst werden, um einen Blutstropfen für die Blut­zuckerkontrolle zu gewinnen.

Die Inhalation mit dem eher sperrigen Gerät ist nicht so einfach, wie es der Hersteller glauben machen will: Damit gleichmäßig viel Insulin im Körper ankommt, müssen sich Diabetiker eine „gleichbleibende Standard-Inhalations­technik“ angewöhnen, also langsam und gleichmäßig inhalieren und danach den Atem fünf Sekunden lang anhalten.3 Da erscheint die kurze Injek­tion in die Bauchhaut fast leichter durchführbar zu sein.

Gravierende Nebenwirkungen

Selbst wenn man die Inhalation als grundsätzlich angenehmer empfindet als eine noch so schmerzfreie Injek­tionstechnik, müssen die speziellen Nebenwirkungen der Inhalation bedacht werden: Husten bei jedem vierten Anwender nach Inhalation, sowie Atemnot, Reizungen und Trockenheit im Hals bei jedem 10. bis 100. Anwender, aber auch Nasenbluten, Stimm­veränderungen und andere Beschwerden.4,5

Die Inhalation führt sehr häufig (bei mehr als jedem 10. Anwender) zu Unterzuckerungen – etwa so häufig wie mit injizierbarem Humaninsulin betont Pfizer.1 Das stimmt nicht ganz: Denn in einigen Studien sind bei Inhalation häufiger schwere Unterzuckerungen aufgefallen als bei Injektion – und dies trotz vergleichbarer Senkung des Blutzuckers.3,4 Außerdem entstehen bei Inhalation häufiger Antikörper, die sich gegen Insuline richten.5 Ob dies negative Folgen hat – und wenn ja, welche – ist noch nicht abzusehen.

Langzeitrisiken ungeklärt

Die Pfizer GmbH betont, dass inhalierbares Insulin „bei über 3.500 Patienten in 25 Ländern“1 untersucht worden ist. Bei vielen dieser Studien wird es vorrangig um die Wirksamkeit der Methode gegangen sein und nicht um die gezielte Überprüfung der Verträglichkeit oder gar der Verträglichkeit bei jahrelangem Gebrauch. Beim jetzigen Kenntnisstand ist nicht auszuschließen, dass die Lungen mit der Zeit Schaden nehmen. Hierauf deutet beispielsweise eine Abnahme der Lungenfunktion in klinischen Studien hin. Deshalb sind vor Beginn der Behandlung sowie in den ersten Anwendungsmonaten Lungenfunktionstests vorgeschrieben.5

Viele dürfen es gar nicht nehmen

Kinder und Jugendliche dürfen Exubera® nicht benutzen, obwohl gerade sie davon profitieren könnten. Doch für sie fehlen ausreichende Erfahrungen. Dies gilt auch für Schwangere.5

Auch Patienten mit Asthma dürfen das Insulin nicht inhalieren: Erstens fehlen für die­se genügend Erfahrungen; zweitens gelangt bei ihnen weniger Insulin in den Blutkreislauf. Auch Raucher (und Ex-Raucher, die noch kein halbes Jahr auf Tabak verzichten) sind von der Behandlung mit dem inhalierbaren Insulin ausgeschlossen. Bei diesen sind höhere Insulinblutspiegel zu erwarten. Wer mit dem Rauchen beginnt, muss Exubera® absetzen, da er sonst Unterzuckerungen riskiert. Umgekehrt kann für Nichtraucher selbst ein Kneipenbesuch zum Problem werden: Passivrauchen verringert die Menge Insulin, die in den Blutkreislauf gelangt.4,5

Einen kleinen Vorteil hat die Neuerung jedoch: Insulin zum Sprizen wird im Kühlschrank gelagert, Exubera® bei Raumtemperatur aufbewahrt. Dies erleichtert die Bevorratung.

Die Neuerung kostet etwa dreimal soviel wie die bislang übliche Therapie mit Human­insulin. Würde das Injektions­insulin komplett ersetzt, stiegen die Jahreskosten für die Krankenversicherung in Deutschland um rund eine Milliarde Euro. Und das ohne erkennbaren zusätzlichen Nutzen, aber mit zusätzlichen Risiken.

Fazit

Das inhalierbare Insulin Exubera® kann die Injektion von kurz wirksamem Humaninsulin bzw. Insulinanaloga ersetzen. Beim gegenwärtigen Kenntnisstand können wir die Anwendung von Exubera® jedoch nicht empfehlen. Noch sind zu viele Fragen und Probleme ungeklärt. Diese betreffen vor allem die sehr häufig auftretenden Unterzuckerungen, die schwerer sein können als bei Injektionsinsulin, und die ungeklärte Langzeitverträglichkeit, da die regelmäßige Inhalation die Lungenfunktion einschränken kann. Kinder, Schwangere, Raucher und Personen mit Asthma oder Lungenerkrankungen dürfen Exubera® nicht anwenden. Belege für die behauptete größere Patientenzufriedenheit muss die Pfizer GmbH noch bringen. Der hohe Preis dürfte ein weiteres Hemmnis für die Verbreitung des neuen Produktes sein. Es dürfte deshalb nicht überraschen, wenn der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss Exubera® aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen streicht.

  1. Pfizer GmbH: Inhalierbares Humaninsulin. Publikums-Pressemitteilung, 2. Mai 2006
  2. Der Arzneimittelbrief 2006, 40, 18; arznei-telegramm 2006, 37:54
  3. Morton-Eggleston, E.: Br. Med. J. 2006; 332: 1043-4
  4. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Inhalatives Insulin (Exubera®) – Rapid Report, Stand 2. April 2006 http://www.iqwig.de/index.391.html
  5. Pfizer GmbH: Fachinformation Exubera®, Stand Januar 2006
  6. Pfizer GmbH: Inhalatives Insulin ab Mitte Mai für Diabetes-Patienten verfügbar. Publikums-Pressemitteilung, 2. Mai 2006

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2006 / S.02